SZ-Serie:Ohne Regeln und Zwang

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Hans Schindlbeck erinnert sich an die Amper wie an ein Paradies. Das aber war nur in seiner Kindheit so, heute ist es anders. Der Fluss wird von allen für alles genutzt. SZ-Serie "An der Amper - Menschen am Fluss", Teil 13

Von Katharina Aurich, Haag

Hans Schindlbeck war beruflich auf der ganzen Welt unterwegs, aber er wollte nirgendwo anders leben als in dem kleinen Weiler Haun, der idyllisch nur wenige Minuten von der Amper entfernt inmitten von Feldern und Wiesen zwischen Haag und Zolling liegt. Nur scheinbar ist hier die Zeit stehen geblieben. "Das kleine Paradies, mein Abenteuerrevier am Fluss, gibt es nicht mehr", sagt der 66-Jährige. Inzwischen haben "die Natur und der Fluss ihre Unschuld verloren". Viele Stellen sind nicht mehr zugänglich - sie sind von Weidezäunen versperrt. Und Fischen ist nur noch mit einer Genehmigung erlaubt. "Alles ist geregelt, jede Fläche wird landwirtschaftlich genutzt, wenn es irgendwie geht."

Schindlbeck erzählt gerne aus seiner Kindheit, dann wird der Bub wieder lebendig, der in den Amperauen weit weg von den Augen der Erwachsenen gefährliche Abenteuer bestand. "Ich wohne zwischen zwei Teilen der Amper, dem Flusslauf und dem Amperkanal, der 1923 zur Gewinnung von Strom aus Wasserkraft gebaut wurde. Ich bin sozusagen vom Wasser umgeben", beschreibt er sein Lebensgefühl. Seine Eltern bewirtschafteten den Bauernhof, der Vater arbeitete außerdem als Braumeister in Freising. "Im Sommer nach der Ernte waren wir am Abend staubig und verschwitzt, mit Seife und Handtuch ausgerüstet ging es dann gemeinsam mit den Erntehelfern zum Wasser. Das war herrlich", erinnert sich Schindlbeck.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Beschaulich geht es im Altwasser der Amper zu:

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(Foto: Marco Einfeldt)

Bei Haag steht ein Wasserwerk.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Und Hans Schindlbeck erinnert sich am Fluss an seine Kindheit...

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(Foto: Marco Einfeldt)

...in der die Buben zur Mutprobe von Brücken in die Amper sprangen.

Aber der Amperkanal, der rund einen Kilometer parallel zum Fluss verläuft, war für kleine Buben, die nicht schwimmen konnten, tabu. Dort wohne ein gefräßiger Seelöwe, hatten die Eltern dem kleinen Hans immer wieder erzählt und ihn eindringlich vor der Gefahr gewarnt. Schindlbeck erinnert sich, dass in den Sechzigerjahren tatsächlich ein kleines Mädchen im Kanal ertrank. Sie rutschte wahrscheinlich die steile Böschung hinab und kam nicht mehr heraus. Hans Schindlbeck lernte bald in der Amper schwimmen, denn anders als der Kanal bietet der Fluss damals wie heute eine Fülle an unterschiedlichen Plätzen: Kiesbänke zum Ausruhen oder zum Entzünden eines Lagerfeuers, seichte Stellen, durch die man mit trockener Badehose gegen die Strömung gestemmt an das andere Ufer watet, und Mulden, in denen das Wasser an einigen Stellen zwei Meter tief ist.

"Darin konnte man sehr gut schwimmen lernen", sagt er. Mitte der Fünfzigerjahre war auch die Qualität des Flusswassers sehr gut, niemand machte sich Gedanken über Wasserverschmutzung und es gab viel weniger Mücken als heute, meint Schindlbeck. Dafür musste man sich aber vor den vielen Bremsen in Acht nehmen. Später erweiterten die Buben ihren Radius und sprangen als Mutprobe von den Brücken in den Amperkanal. Dieses beeindruckende, schnurgerade Bauwerk aus Dämmen und Kanalbett wurde in regelmäßigen Abständen abgelassen, um Schäden zu reparieren.

Das ist auch heute noch so und jedes Mal eine aufregende Aktion, wenn in den letzten Wasserlachen am Kanalgrund die Fische zappeln und dann mit viel Mühe abgefischt werden. Während seiner Schulzeit zog es Schindlbeck jeden Tag nach der letzten Stunde sofort an den Fluss, "unsere Eltern wussten sechs oder sieben Stunden nicht, wo wir uns aufhielten. Das war die totale Freiheit. Ich fühlte mich wie ein Indianer, wenn ich auf der von der Sonne beschienen Kiesbank saß und dem Wasser zusah." Die Amper war ein Abenteuerrevier, der Bub von damals kannte jeden Stein, jeden Baum und jedes Altwasser. Die Kinder bauten sich Unterstände oder fuhren mit einem Floß auf den Altwässern herum.

Natürlich hatten sie immer ein Messer dabei, sie bastelten Schiffe, ließen sie schwimmen und stellten sich vor, wie das Wasser in immer größere Flüsse mündet und schließlich ins Meer fließt. "Wir fühlten uns dem Fluss sehr nahe und verbunden, dadurch hatten wir das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein. Und wir hatten großen Respekt vor der Amper, ihren Untiefen und Strömungen". Damals, in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, gehörte der Fluss allen Menschen, die in seiner Nähe lebten. Wenn jemand beispielsweise Kies oder Sand benötigte, fuhr er mit einem kleinen Anhänger zur Amper und holte sich, was er brauchte. Der Fluss war Rohstofflieferant für alle.

SZ-Grafik (Foto: SZ Grafik)

In regelmäßigen Abständen kam das Hochwasser. Da der Weiler Haun ungefähr einen Meter höher liegt als die umliegenden Felder, war er aber nie durch das Hochwasser gefährdet. "Früher, in meiner Kindheit und Jugend, waren die Dämme sehr gut in Schuss", erinnert sich Schindlbeck. Aber da sie nicht gepflegt wurden, sackten sie an manchen Stelle zusammen oder es wuchsen Bäume. Immer wieder seien die Dämme überflutet worden. "Für uns Kinder war das Hochwasser ein besonderes Abenteuer. Wir badeten in den riesigen Seen, die sich auf den Wiesen und Äcker bildeten, das Wasser war warm und ab und zu trieben ein toter Maulwurf oder eine Maus vorbei." Wenn das Hochwasser wieder abgeflossen ist und sich der normale Pegelstand einstellt, ist die Amper damals wie heute voller Überraschungen. An Stellen, wo sich eine Kiesbank befand, strömt plötzlich das Wasser vorbei, an einem anderen Ort ist dafür eine kleine Insel aus Kieseln entstanden. So verändert der Fluss nach jedem Hochwasser ein wenig sein Gesicht. Aber für Hans Schindlbeck haben die Ufergebiete und der Fluss im Laufe der Jahrzehnte ihren Zauber verloren. In seiner Kindheit waren sie unberührte Natur, heute sei alles geregelt und genutzt.

Seine drei Töchter, die inzwischen auch erwachsen sind, sind als Kinder nicht mehr stundenlang allein an die Amper zum Spielen gegangen. Sie hatten schon viel weniger Freiheiten, denn die Eltern befürchteten, dass sie ins Wasser fallen oder auf gefährliche Personen treffen könnten. "Heute ist man ja schon beunruhigt, wenn ein Kind zwei Stunden lang nicht am Handy erreichbar ist", sagt Schindlbeck, der inzwischen Großvater ist. Manchmal fährt er noch mit den Fahrrad an die Stromschnellen nach Haag oder Zolling, die kürzlich abgeflacht und mit Aufstiegshilfen für Fische ausgestattet worden sind. Aber so richtig am Flussufer entlang sei er schon lange nicht mehr gelaufen. "Ich will es gar nicht so genau sehen, wie sich alles verändert, sondern meine Kindheitserinnerungen von unberührter Natur behalten."

Hans Schindlbeck hat fast die ganze Welt gesehen. Als Vertriebsleiter einer großen Baumaschinenfirma war er viele Jahre mehr unterwegs als zu Hause. Aber, so sagt er, "ich habe immer gewusst, dass dieses kleine Stückchen Land an der Amper auf mich wartet".

© SZ vom 09.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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