Gilching:Schrumpelige Gurken als Diebesgut

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Polizei nimmt Studenten fest, die aussortiertes Obst und Gemüse aus dem Container eines Supermarkts entwendet haben.

Stefan Salger;

Sie kommen, vier Mann stark, im Schutz der Dunkelheit und bringen große Taschen zum Abtransport der Beute mit. Weil sie aber den Alarm auslösen, können sie von der Polizei nach vollbrachter Tat dingfest gemacht werden. Nun müssen sie sich wegen Diebstahls und Hausfriedensbruch verantworten.

Klingt wie schwere Bandenkriminalität. Doch der Fall liegt anders: Die vier jungen Männer, alle im Alter von 20 bis 35 Jahren, sind zwar echte Überzeugungstäter und zeigen bei der anschließenden Vernehmung kein Fünkchen Reue. Aktenkundig sind die Studenten, die in einer Gilchinger Wohngemeinschaft zusammenleben, aber nicht. Und den Sachschaden, den sie am Montagabend angerichtet haben, beziffert ein Polizeisprecher "als gegen Null tendierend". Im Polizeibericht ist die Rede von "Lebensmitteln, deren Haltbarkeitsdatum überschritten ist".

Das Quartett hat sich Zugang zum Gelände des Amper-Einkaufszentrums an der Oskar- von Miller-Straße verschafft. Ob die Gilchinger über den Zaun gestiegen oder durch eine Lücke geschlüpft sind, kann Marktleiter Sead Krasnici am Tag danach nicht genau sagen. Die Männer öffnen jedenfalls die Tonnen und fördern Obst und Gemüse zu Tage, das für den Verkauf nicht mehr geeignet ist und deshalb weggeworfen wurde. Die vier, alles überzeugte Veganer, sind sogenannte Mülltaucher. Einer von ihnen aber begeht den Fehler, an der Türe zum Lager zu rütteln. Der Bewegungsmelder löst Alarm aus. Der stellvertretende Marktleiter Alexander Menzinger ist noch im Gebäude. Der 28-Jährige glaubt an einen Einbruch und alarmiert die Polizei. Dann verfolgt er das Quartett, das sich mit vollen Taschen in Richtung S-Bahnhof aufmacht, mit einem Sicherheitsabstand. Die Polizei rückt mit drei Streifenwagen aus und nimmt die Männer fest.

Doch was nun? Was ist so schlimm daran, sich mit Abfall die Taschen zu füllen? Bernd Matuschek von der Germeringer Polizei würde sich lieber auf die Verfolgung wirklicher Krimineller konzentrieren. Rein formal aber handle es sich nun mal um den Verdacht auf eine Straftat. Da bleibt kein Ermessensspielraum. Das bedeutet automatisch: Ermittlung, Anzeige. Denn laut Gesetz ist auch der Diebstahl von Abfall unzulässig - so darf man aus Containern der Recyclinghöfe ebenso wenig ein altes Fahrrad ziehen wie ein noch intaktes Spielzeug aus der Restmülltonne vor dem Nachbarhaus. Gleichwohl glaubt mancher Polizeibeamte nicht daran, dass die Staatsanwaltschaft Fälle wie den Diebstahl von abgelaufenen Lebensmitteln mit großem Eifer verfolgen wird.

Vielleicht auch deshalb, weil es immer mehr Kritik an der Verschwendung von Lebensmitteln gibt und daran, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum gleichgesetzt wird mit der Grenze, ab der Lebensmittel verdorben und nicht mehr für den Verzehr geeignet sind. Der Fürstenfeldbrucker Richard Bartels von der Organisation Slow Food macht für solche Fehlsteuerungen vor allem die Lebensmittelindustrie verantwortlich. Diese profitiere in Form höherer Umsätze davon, dass viel weggeworfen werde. Aber auch Supermärkte und Verbraucher fügen sich nach Bartels Überzeugung manchmal zu widerstandslos in das System - indem sie die Globalisierung der Lebensmittel zu unkritisch hinnehmen und übertrieben großen Wert legen auf die makellose Optik der Lebensmittel oder auf die Einhaltung teils abstruser EU-Vorschriften.

Bartels hat Verständnis für die Gilchinger. Er sagt: "Das Problem ist, dass die Wertigkeit von Lebensmitteln nicht mehr gesehen wird" - stattdessen geht es um die Maximierung des Gewinns. Vor allem regional verwurzelte Supermärkte wie das AEZ unterstützen mit ausgemusterten Produkten zwar auch die örtlichen Tafeln. Schätzungen zufolge landet aber in Deutschland die Hälfte aller Lebensmittel letztlich im Müll - laut Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner jährlich elf Millionen Tonnen. Die Mülltaucher verstehen sich als Teil einer Protestbewegung gegen die Wegwerfgesellschaft. Sie selbst bezeichnen sich eher als "Lebensmittelretter". Denn was sie heraustauchen, sei mitnichten Müll, weshalb sie lieber von "Containern" sprechen. (Kommentar)

© SZ vom 09.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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