SZ-Serie:Endpunkt für das Unbrauchbare

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An der Landkreisgrenze von Fürstenfeldbruck und Dachau liegt die Kläranlage, der Arbeitsplatz von Christian Kriegner. Er macht aus Abwasser wieder etwas, das möglichst sauber in die Amper laufen kann. SZ-Serie "An der Amper - Menschen am Fluss", Teil 11

Von Erich C. Setzwein, Geiselbullach

Christian Kriegner hat einen anrüchigen Beruf. Das liegt schon allein daran, dass er in Geiselbullach arbeitet. Dieser Stadtteil von Olching markiert die nördliche Grenze des Landkreises Fürstenfeldbruck und ist so etwas wie der Endpunkt für das Unbrauchbare. Denn dort landet per Lastwagen oder auf dem Weg durch den Kanal all das, was die Menschen weiter südlich von sich geben. Restmüll, unter anderem auch aus dem Kreis Dachau, landet in der Müllverbrennungsanlage, das Abwasser aus den großen Kommunen im Osten des Landkreises sowie aus Gilching und Weßling im Kreis Starnberg in der Kläranlage. Die "Stinkerfabrik" an der Amper nennen sie die Grundschüler, die regelmäßig auf das weitläufige Gelände kommen und denen Christian Kriegner erklärt, was passiert, wenn einer der Grundschüler auf die Toilettenspülung gedrückt hat. Manche rümpfen dabei die Nase - völlig zu Unrecht, wie der Betriebsleiter findet, der den über die Anlage schwebenden Duft jeden Arbeitstag wahrnimmt. Eine feine Nase ist im Abwassergeschäft mindestens so wichtig wie bei einer Weinprobe.

An Schnüren in Metallkäfigen hängen Milliarden von Bakterien, die den Dreck aus dem Wasser fressen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Kriegner wohnt, wie man so sagt, nur einen Steinwurf von seinem Arbeitsplatz entfernt. Seine Familie hat schon seit hundert Jahren ihre Wurzeln in Geiselbullach. Damals waren dort nur das Schloss und die Felder, es gab noch mehr als die zwei Landwirte heute, und von einem Gewerbegebiet war seinerzeit auch noch nicht die Rede. Die Amper war für die Menschen an ihrem Ufer ein lebendiger Fluss und kein "Vorfluter". Das hat sich spätestens vor einem halben Jahrhundert geändert, als der Zweckverband für die Abwasserentsorgung im östlichen Landkreis Fürstenfeldbruck eine Kläranlage baute, wodurch die Plumpsklos verschwanden und eine geordnete Abwasserbehandlung begann. Die Methoden waren andere, viel einfachere seinerzeit, und das Abwasser, das in die Amper geleitet wurde, auch nicht zu 99 Prozent wieder sauber, wie das heute der Fall ist.

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(Foto: Carmen Voxbrunner)

Kläranlage und Müllverbrennungsanlage (im Hintergrund) sind Nachbarn in Geiselbullach.

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(Foto: Carmen Voxbrunner)

Bislang wurden die Rettungsringe, die alle paar Meter am Beckenrand hängen, noch nicht gebraucht.

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(Foto: Carmen Voxbrunner)

Christian Kriegner stammt aus Geiselbullach und ist seit 2004 Betriebsleiter.

Einrichtungen wie die Kläranlage machen aus Wasser in seiner schmutzigsten Form eine hochtechnische Angelegenheit, auch wenn diejenigen, die die wirkliche Reinigungsarbeit leisten, nur mit dem Mikroskop zu sehen sind. Das fasziniert den 39 Jahre alten Kriegner jedes Mal kolossal, wenn er die Rädertierchen vergrößert anschaut. Es gibt von diesen Mikroorganismen Abermilliarden, die sich in der biologischen Reinigungsstufe rund um die Uhr abschuften und aus der modrig riechenden Brühe den Schmutz fressen. Dabei bilden sie einen Schlamm, der sich ein paar Meter weiter in kleineren und größeren Nachklärbecken absetzt und das Abwasser immer klarer werden lässt. Das ist der Bereich der Anlage, in dem es am wenigsten stinkt, ja sogar manchmal nach frisch gebackenem Brot oder Nusshörnchen riecht. Das hat weniger mit dem Klärvorgang zu tun, weiß Kriegner, sondern mehr damit, dass die Großbäckerei im nahen Gewerbegebiet von Bergkirchen ihre Backstuben lüftet.

SZ Grafik (Foto: SZ Grafik)

Der Geruchssinn ist wohl bei allen Mitarbeitern besonders gut ausgeprägt. Kriegner sagt, das könne die ganze Anlage retten. Heizöl etwa, ob durch einen Unfall oder vorsätzlich ins Kanalnetz eingeleitet, kann die gesamte Biologie der Anlage zerstören. Wenn er also am Einlauf der momentan für das Abwasser von 250 000 Menschen ausgelegten Anlage Verdächtiges riecht, kann Kriegner noch reagieren. Doch Entscheidungen werden nicht nur der Nase nach getroffen, sondern vor allem durch eine lückenlose elektronische und chemische Überwachung. Jede Abweichung des PH-Wertes löst Alarm aus, jede Unregelmäßigkeit wird protokolliert und von der Leitzentrale abgearbeitet. Denn einen Kilometer weiter soll aus dem Kanal "sauberes" Wasser in die Amper fließen.

Bis es so weit ist, müssen Kriegner und seine Mitarbeiter darauf schauen, dass die Maschinen und Reinigungsanlagen all das tun, wofür sie konstruiert worden sind. Die Rechen am Anfang, zum Beispiel, die die unauflöslichen Papiertaschentücher, die fünflagigen superweichen Toilettenpapiere, die Plastiktüten, die Kondome und die Wattestäbchen aus dem Wasser holen. Ganze Bademäntel, T-Shirts oder Nylon-Strumpfhosen und noch viel mehr werden durch die Toilette gespült und kommen nach vielen Kilometern Kanal in Geiselbullach an. Oder auch nicht, weil sich die Dinge vorher in den Pumpwerken verfangen haben, die Pumpe stehen geblieben ist, dies einen Alarm auslöst und die Techniker zur Schadensstelle ausrücken müssen. Klar, dass die Anlage an sieben Tagen in der Woche läuft, Toilettenspülungen haben ja nur eine Spartaste, aber keinen Wochenend-Spülstopp. Aber Kriegner ist ja in der Nähe, wenn etwas Außergewöhnliches passieren sollte. Und auf Eventualitäten ist er eingestellt. Er ist Mitglied der Geiselbullacher Feuerwehr, die bevorzugt dann alarmiert wird, wenn es auf der nahen A 8 wieder gekracht hat. Er gehört dem TSV Geiselbullach an und ist Vorsitzender des Schützenvereins "Gut Ziel". Kriegner lebt zusammen mit Frau und den beiden Kindern dort, ist mit dem Ort verwachsen, überall dabei, wo Vereine etwas unternehmen. Er wohnt nur wenige Meter von der Amper entfernt und sein Arbeitsplatz liegt an dem Fluss, den er als "Vorfluter" benötigt.

Der gelernte Energieelektroniker hat seine beiden Meisterprüfungen in der Elektrotechnik sowie in der Abwasserinstallation abgelegt, er hat an der bayerischen Verwaltungsschule gebüffelt, um Betriebsleiter zu werden, und diesen Beruf übt er nun seit 2004 aus. Beim Amperverband ist er seit 1999, davor war er in der nahen Müllverbrennungsanlage beschäftigt. Mit seinem früheren Arbeitgeber verbindet ihn nur noch, dass all das, was im Rechen hängen geblieben ist, in der nahen Anlage verbrannt wird. Auch der Klärschlamm, etwa 40 Liter pro 1000 Liter Abwasser, könnte die paar Meter dorthin transportiert und in den Verbrennungsprozess gelangen. Doch stattdessen wird die dunkelbraune Biomasse, der vorher schon beim Faulen das Methangas für das hauseigene Blockheizkraftwerk entzogen wurde, in ein Kohlekraftwerk außerhalb Bayerns gefahren und dort verbrannt. Jetzt, da auf dem ganzen Gelände wieder alles wächst und blüht, mischt der Wind die Gerüche durcheinander. Direkt vor Kriegners Büro riecht es nach Goldfischteich. Tatsächlich schwimmen ein paar Fische und kleine Koi-Karpfen durch einen mit Schilf bestandenen Mini-Weiher. Eine "Stinkerfabrik", wie die Schulkinder bei ihren Besuchen schon mal sagen, ist hier nicht zu erschnuppern.

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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