Frauen in der Politik:Vornehme Zurückhaltung ist nicht gefragt

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Kraillings Bürgermeisterin Christine Borst will Frauen ermuntern, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren. Häufig trauen sich Frauen aber nicht genug zu oder zögern - und dann sind schon die Männer wieder da

interview Von Christiane Bracht

Gleichberechtigung in der Kommunalpolitik - das ist weiß Gott keine Selbstverständlichkeit. Alte Fotos zeigen es deutlich. Bis weit in die 1980er Jahre hinein waren Gemeinderäte illustere Männerrunden. Frauen fand man in diesen Kreisen höchst selten und das war auch in den 1990ern noch so. Ingeborg Bäss war die erste im Fünfseenland, die es an die Spitze eines Kommunalparlaments schaffte. Vor ihrer Wahl prophezeite ihr ein Kontrahent: "Eine Frau, eine Preußin und evangelisch - das schaffst Du nie." Er verlor. Bäss war von 1984 bis 1990 Bürgermeisterin von Seefeld, wurde sogar Vize-Landrätin und Bezirksrätin. Doch als die Liberale ihren Platz im Seefelder Rathaus räumte, war die Frauenpower erst mal wieder vorbei im Fünfseenland. Erst zwölf Jahre später wurden wieder Frauen gewählt - diesmal gleich drei: Monika Meyer-Brühl in Weßling, Christine Hollacher in Herrsching und Brigitte Servatius in Gauting. Ein echter Erfolg für die Frauenbewegung. Anlässlich des Weltfrauentags am 8. März sprach die SZ mit Kraillings Rathauschefin Christine Borst, die seit acht Jahren ihr Amt innehat und jetzt auch Vorsitzende des Arbeitskreises "Frauen führen Kommunen" ist.

SZ: Ist ein Weltfrauentag überhaupt noch nötig?

Christine Borst: Es ist gut, wenn die Medien auf das Frauenthema eingehen. Im Alltag steht es ja nicht an vorderster Front. Es hat sich zwar schon viel getan in Sachen Gleichberechtigung, aber es gibt auch noch was zu tun.

Im Landkreis Starnberg sind inzwischen fünf von 14 Gemeinden von Frauen regiert. Das ist nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass 50 Prozent der Bevölkerung weiblich sind.

Starnberg ist toll gegenüber anderen Landkreisen. Bayernweit ist die Quote deutlich schlechter. Gerade mal 8,6 Prozent der Bürgermeister sind weiblich. Es gibt aber viel mehr tolle Frauen als acht Prozent. Wir haben großen Nachholbedarf. Die Zahl der Frauen in der Kommunalpolitik sollte eigentlich kontinuierlich steigen, aber das Erschreckende ist, dass sie stagniert oder sogar rückläufig ist. In Bundes- und Landtag ist das anders. Auf Bundesebene sind immerhin 36 Prozent der Abgeordneten weiblich, auf Landesebene 28 Prozent. Einen großen Anteil daran hat Angela Merkel. Seit sie Bundeskanzlerin ist, trauen sich mehr Frauen in die Politik - leider gilt das nicht für die Kommunalpolitik. Dabei wäre es gerade dort besonders wichtig, denn da wird an den Stellschrauben gedreht. Da hat man von der Wiege bis zur Bahre mit allem zu tun. Schade, dass gerade dort die männliche Sichtweise vorherrscht.

Woran liegt es, dass sich so wenige Frauen für das Bürgermeisteramt begeistern?

Vielen fehlt das Selbstbewusstsein. Sie trauen sich das nicht zu, obwohl sie hoch qualifiziert sind und beste Abschlüsse haben. Andere mögen nicht in der ersten Reihe stehen, sondern agieren gerne im Hintergrund. Für viele ist es auch ein Problem in der Presse zu stehen.

War das für Sie 2008 auch ein Problem?

Nein. Ich war 20 Jahre lang Kulturveranstalterin und als Firmeninhaberin war ich es gewohnt, vorne zu stehen. Nicht vorbereitet war ich allerdings auf die Angriffe, die von Bürgern, Gemeinderäten oder der Presse kamen. Damit musste ich erst umzugehen lernen. Das müssen Männer zwar auch, aber für Frauen ist es noch unangenehmer, denn sie denken immer sofort weiter. Wie ist das für die Kinder, wenn was Negatives in der Zeitung steht? Was müssen sie jetzt aushalten? Oder wie kommt die Familie damit zurecht. Wir fühlen uns immer verantwortlich. Männer sind da anders. Auch wenn es darum geht, ob man sich überhaupt als Kandidatin aufstellen lässt, sind Frauen selten schnell entschlossen. Meist beraten sie sich erst zwei Wochen lang mit ihrer Familie, ob sie den Posten übernehmen können. Sie wollen sich rückversichern, dass alles passt.

Einiges ist erreicht worden, einiges fehlt noch: Kraillings Bürgermeisterin Christine Borst zieht Bilanz anlässlich des Weltfrauentags. (Foto: Georgine Treybal)

War das bei Ihnen damals auch so?

Nein. Ich habe erst mal drei oder vier Wochen mit niemandem darüber gesprochen - auch nicht mit meinem Mann. Im Stillen habe ich mir überlegt, was das bedeutet. Und als ich eine Freundin in Spanien besucht habe, konnte ich das erste Mal darüber reden. Sie ermunterte mich: Wenn es jemand kann, dann Du. Als ich zurückkam, habe ich es meiner Familie erzählt, aber da war ich eigentlich schon entschieden. Mein Mann ist Kummer gewöhnt, denn ich war schon früher mit dem Kulturbureau viel weg. Aber meine Enkel müssen oft auf mich verzichten. Sie sind aber auch stolz auf mich. Klar wäre es ihnen lieber, wenn ich mehr Zeit hätte. Und meiner Tochter gegenüber habe ich ein schlechtes Gewissen, denn ich kann sie nicht so entlasten, wie meine Mutter mich damals entlastet hat. Wir Frauen haben das schlechte Gewissen eben gepachtet.

Vor zwei Jahren haben Sie eine Initiative in Bayern gestartet, die mehr Frauen ins Bürgermeisteramt bringt. Was ist daraus geworden?

Im April veranstaltete der Bayerische Gemeindetag, bei dem mein Anliegen auf offene Ohren gestoßen ist, den ersten Kongress im Bayerischen Landtag. 80 Rathauschefinnen kamen - 178 gibt es. Wir haben schnell gemerkt, dass Frauen untereinander offener reden. Sie geben zu, wenn sie Probleme mit etwas haben. Deshalb haben wir beschlossen in Kooperation mit der Bayerischen Verwaltungsakademie, Frauenseminare anzubieten, um sie zu unterstützen. Zum Beispiel ein Stimmtraining, denn viele reden zu leise und dann geht die beste Rede unter. Ein anderes Thema ist der perfekte öffentliche Auftritt, denn Frauen stehen mehr unter Beobachtung, schon allein was die Kleidung betrifft. Wichtig ist auch die "gesunde Führung". Für Frauen ist es schwieriger, die Balance zu finden, weil sie neben dem Beruf auch noch die Verantwortung in der Familie haben und sich permanent schuldig fühlen, dass sie zu wenig Zeit für die Kinder und für den Job haben. Das zerreißt Frauen mehr als Männer und saugt ihre Kraft auf. Bis 2020 wollen wir die Zahl der Bewerberinnen nach oben treiben. Das haben wir uns fest vorgenommen.

Ist denn das Problem, dass es zu wenig weibliche Kandidatinnen gibt oder eher, dass diese nicht gewählt werden?

Die Zeiten, dass Frauen keine Frauen wählten, sind vorbei. Das Problem ist wohl eher, dass Frauen gerne vorgeschickt werden, wenn die Wahl völlig aussichtslos ist oder in der Stadt oder Gemeinde eine schwierige Situation ist. Trotzdem gewinnen manchmal die Frauen. Und dann sind oft alle erstaunt, wie gut eine Frau den Job als Rathauschefin meistert.

Welche Strategie haben Sie sich überlegt, um mehr Kandidatinnen für das Bürgermeisteramt zu begeistern?

Ich denke, den größten Anteil hat die Vorbildfunktion von Amtsinhaberinnen. Wenn Frauen vorleben, dass man Familie haben und eine Gemeinde führen kann, und dass es auch noch Spaß macht, dann entscheiden sich vielleicht mehr dafür. Deshalb haben wir einen Film gedreht, indem Bürgermeisterinnen erzählen, wie sie ins Amt gekommen sind und wie vielseitig und interessant der Job ist. Er kann bei Veranstaltungen mit Frauen gezeigt werden. Außerdem sind wir dabei, ein Netzwerk aufzubauen. Männer sind uns da weit voraus. Frauen neigen dagegen oft zum Einzelkämpferdasein. Das muss aber nicht sein. Ehemalige Bürgermeisterinnen wie Brigitte Servatius aus Gauting haben sich bereit erklärt, jüngere Kolleginnen zu beraten und ihnen zur Seite zu stehen. Außerdem haben wir eine Karte erarbeitet, auf der man sieht, welche Kolleginnen in der Nähe sind, damit man sie anschreiben kann, wenn man mal vor Problemen steht, die man allein nicht lösen kann. Außerdem haben wir jetzt einen Arbeitskreis "Frauen führen Kommunen" gebildet. Die konstituierende Sitzung war letzte Woche. Ich bin die Vorsitzende. Es sind Frauen aus allen Parteien und Regierungsbezirken dabei. Wir wollen uns zwei bis drei Mal im Jahr treffen, einerseits um uns gegenseitig zu fördern und zu unterstützen, andererseits um unser Ziel voranzubringen.

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(Foto: Georgine Treybal)

Eva John, Bürgermeisterin der Stadt Starnberg: Dieses Jahr ist der Weltfrauentag für mich ein besonderer Tag - der 18. Geburtstag meiner Nichte Theresa. Sie ist eine starke junge Frau, die in einer Zeit leben darf, in der bereits einige Erfolge für die Gleichberechtigung erzielt wurden. Und doch ist der Weltfrauentag wichtig, damit wir uns immer wieder daran erinnern, dass Gerechtigkeit und Gleichberechtigung eben nicht von alleine kommen. Wir brauchen solche Gelegenheiten, damit wir noch mehr Frauen ermutigen, ihren Weg zu gehen. Als Bürgermeisterin kann ich Frauen fördern und dazu beitragen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert wird. Ich möchte den Männern danken, die Frauen im Beruf fördern - und den Bürgermeisterkollegen, die im Alltag Zeichen setzen für die Belange der Frauen.

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(Foto: Georgine Treybal)

Christel Muggenthal, Wörthseer Bürgermeisterin: Ich nehme mir zwei bis drei Mal im Jahr die Zeit, an Fortbildungsseminaren nur für Bürgermeisterinnen teilzunehmen. Die Organisatoren haben festgestellt, dass männliche Bürgermeister gerne und ausführlich aus ihrem reichen Erfahrungsschatz berichten. Frauen hauen nicht auf den Tisch und sagen nicht: Jetzt erzähl' ich mal was! Frauen unter sich agieren anders. In diesen zwei Seminartagen tauschen die Teilnehmerinnen Erfahrung und Wissen aus. Es herrscht große Offenheit und man findet Unterstützung und Solidarität. Aber auch in unserem Land, in dem nach dem Gesetz Gleichberechtigung herrscht, stehen Frauen häufig hinter Männern zurück, weil die Arbeitszeiten nicht familienfreundlich sind oder weil die Bezahlung schlechter ist.

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(Foto: Nila Thiel)

Anna Neppel, Andechser Bürgermeisterin: Ich schließe mich der Meinung der EU-Kommissarin Viviane Reding an, die feststellt: "Solange wir einen Frauentag feiern müssen, bedeutet das, dass wir keine Gleichberechtigung haben. Das Ziel ist die Gleichberechtigung, damit wir solche Tage nicht mehr brauchen." Die Frauen in Deutschland haben zwar das Wahlrecht und nach dem Gesetz die rechtliche Gleichstellung. Sehen wir aber genauer hin, dann gibt es doch einige Schwachstellen: Frauen verdienen in vielen Jobs immer noch weniger als Männer. Aufgrund von Ausfallzeiten für die Kindererziehung oder Familienpflege müssen sie sich oft mit weniger Rente zufriedengeben. Ungleiche Karrierechancen, häusliche Gewalt und die vielfach schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind ganz aktuelle Themen.

Brigitte Kössinger, Gautinger Bürgermeisterin: In Deutschland ist es heute eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen Bundeskanzlerin, Ministerpräsidentin oder Bürgermeisterin werden können, auch wenn letztere noch weit in der Minderheit sind. Der internationale Frauentag erinnert uns daran, dass hierfür ein langer und engagierter Kampf der Frauen für ihre Rechte wie das Wahlrecht erforderlich war, und sich der Erfolg erst im Laufe der letzten hundert Jahre allmählich eingestellt hat. Der Weltfrauentag ist für mich vor allem eine Mahnung, sich dafür einzusetzen, dass diese Rechte für alle Frauen dieser Erde selbstverständlich werden und bleiben. Es gibt noch viele Länder, in denen Frauen diese Rechte vorenthalten werden. Ich halte deshalb den Weltfrauentag für wichtig, auch wenn ich die Mottotag nicht schätze.

Wie viele Bürgermeisterinnen hoffen Sie denn bei den Kommunalwahlen im Jahr 2020 ins Amt zu bekommen?

25 Prozent wären schön, aber das ist nicht realistisch. Mehr als zehn Prozent sollten es aber mindestens sein.

Muss sich denn auch in den Parteien etwas ändern, damit mehr Frauen eine Chance bekommen, als Bürgermeisterkandidatin aufgestellt zu werden? Gerade in Ihrer Partei, der CSU, herrscht bei vielen ja die Ansicht, dass Frauen zu Hause bleiben sollten.

Am Anfang war ich vehement gegen eine Quotenregelung. Ich wollte es durch eigene Leistung schaffen, gewählt zu werden. Aber je länger man drin ist in der Partei und überhaupt in der Politik, merkt man, dass es anders wahrscheinlich gar nicht geht. Viele Frauen drängen nicht in den Vordergrund, sondern warten, bis sie gefragt werden. Nur das wird nie passieren. Bis dahin sind zehn andere Männer da, die den Job übernehmen wollen.

Wie sollte denn eine Frau sein, die Bürgermeisterin werden will?

Das Wichtigste ist, dass sie Menschen mag, sich für die Sorgen und Nöte anderer interessiert und sich Zeit dafür nimmt. Viele Politiker hören nicht zu, die Menschen spüren das. Außerdem sollte man eine stabile Konstitution haben, denn der Stress ist gewaltig, die zeitliche Belastung auch. 70 Stunden pro Woche nimmt der Beruf schon in Anspruch.

Ist das für eine junge Frau mit kleinen Kindern überhaupt zu schaffen?

Ja, es gibt welche. Die Staatsministerin Melanie Huml lebt es zum Beispiel vor. Ich hätte es schon schwierig gefunden. Aber es gibt tagsüber Betreuungsmöglichkeiten, die gut ausgebaut sind. Das Problem ist wohl eher abends und an Wochenenden. Viele Partner sind aber auch sehr engagiert. Sie helfen viel mehr als die Generation meines Mannes oder gar Vaters. Um das Amt für Frauen attraktiver zu machen, müsste man aber die Rahmenbedingungen ändern. Man müsste über Jobsharing nachdenken. Das gibt es inzwischen auch schon bei Vorstandsposten in großen Konzernen - zumindest vereinzelt. Eine solche Regelung käme auch Männern zugute, denn auch sie haben Familien und legen Wert auf ihre Freizeit. Auch die Rückkehrmöglichkeiten in den alten Beruf müssen unbedingt überdacht werden. Früher wurden Bürgermeister normalerweise öfter wiedergewählt, wenn sie keine goldenen Löffel geklaut haben. Heute ist es nicht selten, dass die Wähler nach sechs Jahren wieder ein neues Gesicht sehen wollen, und dann steht der Amtsinhaber von heute auf morgen mit Hartz IV da. Jüngere Leute schreckt das ab, aber zunehmend auch alle, die nicht in einem Beamtenverhältnis stehen. Volksvertreter sollten aber den Querschnitt der Bevölkerung widerspiegeln. Es ist an der Zeit, Übergangsregelungen zu schaffen.

Gibt es noch etwas, was Sie interessierten Frauen raten?

Vornehme Zurückhaltung ist nicht gefragt. Wenn man Bürgermeisterin werden will, muss man sagen, was man möchte und man muss Aufmerksamkeit erregen. Mir hat das anfangs sehr widerstrebt. Es ist uns anerzogen und eine Hürde, die wir Frauen nehmen müssen. Mein Vorgänger Dieter Hager hat mich anfangs mit auf eine Beerdigung genommen. Es war mir unangenehm, dass ich als erste hinter der trauernden Frau stehen sollte. Aber er sagte zu mir: "Du bist jetzt die Repräsentantin der Gemeinde. Es macht keinen Sinn, wenn Du in der 17. Reihe hinten links stehst und dich keiner sieht. Du muss Dich bemerkbar machen, sonst kannst Du gleich zu Hause bleiben". Das habe ich mir zu eigen gemacht, aber es ist nicht einfach, das Erziehungsmuster zu überwinden.

Es scheint, als wären Sie im Laufe der Jahre Feministin geworden?

Nein. Das weise ich weit von mir. Ich bin nur sehr für Ausgewogenheit und Gerechtigkeit. Das ist mein Antrieb. Und bei acht Prozent Bürgermeisterinnen in Bayern kann man nicht von Ausgewogenheit reden. Da passt etwas nicht.

© SZ vom 08.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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