Flüchtlingshelfer im Fünfseenland:"Wir bilden quasi eine Arbeitsagentur"

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Der Breitbrunner Unternehmer Georg Strasser ist Vorsitzender des Sprecherrats. (Foto: Nila Thiel)

Helferkreise im Fünfseenland vernetzen sich, um die Flüchtlinge fit zu machen fürs Berufsleben in Deutschland. Denn nur so kann Integration wirklich gelingen, glaubt Georg Strasser, Chef des Sprecherrates

interview Von Patrizia Steipe

Es gibt kaum eine Kommune ohne Helferkreis. Zu Tausenden sind deutschlandweit die Gruppen von ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern quasi über Nacht entstanden. Sie sind professionell organisiert, agieren effektiv und finden für die meisten Probleme pragmatische Lösungen. Einer der Helfer im Landkreis Starnberg ist der Unternehmensberater Georg Strasser. Seine beruflichen Kenntnisse setzt der Breitbrunner im Helferkreis Asyl Herrsching-Breitbrunn ein. Innerhalb des Helferkreises ist die Arbeitsvermittlung sein Schwerpunktthema. Im Landkreis sind die Helferkreisgruppen, die sich mit "Arbeit" beschäftigen, miteinander vernetzt. Strasser ist Vorsitzender ihres Sprecherrates. Die SZ sprach mit ihm darüber wie Helferkreise bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise mitwirken.

SZ: Wie beurteilen Sie die Flüchtlingskrise? Wird Deutschland es "schaffen"?

Strasser: Wer soll es denn sonst schaffen? Die Probleme kann doch nur der lösen, der es am besten kann und das sind nicht die Türkei oder Griechenland, sondern wir. Die Flüchtlingskrise hat sich keiner gewünscht. Sie ist aber eine Veränderung in der Welt, die man annehmen muss.

Es ist beeindruckend, aber auch erstaunlich wie schnell sich die professionell arbeitenden Helferkreis etabliert haben.

Darüber braucht man sich nicht zu wundern. Deutschland hat eine lange Tradition in der Freiwilligenarbeit. Ich denke da nur an die Sportvereine oder an die Feuerwehren. Da wundert man sich doch auch nicht, wenn ein TSV professionell organisiert ist. Die Organisationsstrukturen im Ehrenamt gibt es doch schon längst. Vieles kommt aus der Wirtschaft. Man weiß, wie man arbeitsteilig ein Problem löst, wie man Spenden akquiriert, eine Satzung aufstellt oder Jahresberichte verfasst. Vereinfacht wird das Ganze natürlich durch das Internet. Das ist eine irrsinnig starke Kommunikationsmaschine.

Kann also Integration mit einer guten Struktur und Arbeitsweise der Helferkreise erleichtert werden?

Ja, aber noch wichtiger sind die menschlichen Kontakte. Integration gelingt weder mit Geld noch geht es automatisch. Man schafft sie vor allem durch Kontakte, durch gemeinsame Erlebnisse. Ostern, Weihnachten, Geburtstag und vor allem der tägliche Kontakt am Arbeitsplatz - davon müssen wir erzählen und die Flüchtlinge mitmachen lassen. Denn wenn solche Kontakte fehlen, können solche Sachen wie in Köln passieren. Ich mache jetzt das, was ich zuletzt mit meinen Kindern gemacht habe: Sie beraten, wie sie in Ausbildung und Arbeit kommen.

Warum ist es ihrer Arbeitsgruppe so wichtig, die Flüchtlinge möglichst rasch in die Arbeitswelt zu integrieren?

Wenn sich die Flüchtlinge nicht in die Arbeitswelt integrieren können, dann ist das dramatisch für die Personen, aber auch für die Gesellschaft. Wenn wir das mittelfristig nicht schaffen, dann ermüden die Helfer-Strukturen und dann droht die Gefahr, dass wir eine Parallelgesellschaft bekommen. Viel Zeit für diesen Integrationsprozess haben wir nicht. Höchstens fünf Jahre. Wenn wir in unseren Gemeinden Probleme vermeiden wollen, dann müssen wir die Flüchtlinge rasch nach der Ankunft sofort in Beschäftigung bringen. Ein-Euro-Jobs in den Kommunen und Vereinen, Praktika und Helferjobs in der gewerblichen Wirtschaft. Darauf kommt es jetzt dringend an. Jeder Tag, an dem ein Flüchtling untätig herumlungern muss, ist ein verlorener Tag für uns alle.

Was sind dabei die Probleme?

Es ist gar nicht so einfach, bis ein Flüchtling sein eigenes Brot verdienen kann. Das liegt nicht nur am fehlenden beruflichen Wissen. Oft fehlen auch Sprachkenntnisse und gemeinsame Lebenserfahrungen. Für uns ist es eine große Herausforderung die Flüchtlinge für den deutschen Arbeitsmarkt "fit" zu machen. Dafür muss es Menschen geben, die die Flüchtlinge unterstützen. Wer Fragen hat oder mitmachen möchte, kann sich gerne an mich wenden: G.strasser@sailbeautiful.com oder 0151/ 11503065.

Wie arbeiten die Landkreis-Helferkreise bei der Integration in den Arbeitsmarkt zusammen?

Alle Gruppen für die Arbeitsvermittlung und sind miteinander verbunden. Wir bilden quasi eine Arbeitsagentur mit 15 bis 16 Filialen und bereits mehr als 100 Helfern. Wir erfassen die Flüchtlinge: wie sie heißen, woher sie kommen, was sie können. Ein Arbeitsbetreuer oder "Jobguide" kümmert sich um zwei bis drei Asylsuchende. Fünf bis sechs Arbeitsbetreuer bilden wiederum ein Team. Wir beraten, was man bei uns für Berufe erlernen kann und versuchen die Unternehmen zu überzeugen, Flüchtlinge zu beschäftigen. Wir empfehlen diese Arbeitsweise und die Vernetzung auf Ebene der Landkreise auch außerhalb des Landkreis Starnberg. So können Synergien genutzt werden. Denn Arbeitsvermittlung geht nur überregional.

Arbeiten Sie mit Behörden zusammen?

Leider ist vielen Behörden noch nicht bewusst, was für ein Potenzial die Helferkreise haben. Im Gegensatz zur Feuerwehr, die sofort gerufen wird, wenn es brennt, haben viele Hemmungen sich an die Helferkreise zu wenden. Sie haben Vorurteile und bemängeln, dass die Helfer nicht autorisiert oder nicht ausgebildet sind, aber langsam ändert sich die Einstellung. Es geht auch gar nicht ohne die Helfer. Das zeigt schon eine einfache Rechnung. Derzeit haben wir 1100 reguläre deutsche Arbeitslose im Landkreis. Wenn von den rund 2000 Flüchtlingen sich die Hälfte arbeitslos melden sollten, dann hat die Arbeitsagentur eine Steigerung um 100 Prozent zu bewältigen.

Wie wollen sie das Problem lösen?

Wir haben der Arbeitsagentur angeboten, dass wir mit ihr zusammen die Vermittlung der Flüchtlinge machen. Und die Arbeitsagentur hat das Angebot freudig angenommen. Sie bekommt mit uns quasi 100 neue Mitarbeiter in 15 "Filialen". Wir besprechen uns alle vier Wochen in "Jour fixes" mit dem Leiter des Arbeitsamts, des Jobcenters und dem Leiter der Ausländerbehörde.

Es wird nicht allen Flüchtlingen gelingen, unabhängig von staatlicher Unterstützung zu werden. Wie schätzen sie diese Belastung für unsere Wirtschaft ein?

Dabei muss man langfristig denken - wie ein Waldbauer. Kein Waldbauer erlebt den Ertrag der Bäume, die er selbst gepflanzt hat. Er vermarktet vielleicht die Bäume, die der Großvater gepflanzt hat. Das ist genauso bei den Flüchtlingen. Die Eltern, die jetzt gekommen sind, werden wir vielleicht zum Teil noch "durchfüttern" müssen, aber deren Kinder werden einmal die Renten von unseren erwachsenen Kindern zahlen. Wenn man das Ganze aus einem rein wirtschaftlichen Aspekt betrachtet, dann ist klar, dass schon allein aus demografischen Gründen so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen sollten, wie es gerade noch geht.

Vielen Bürgern fehlt solch ein Weitblick. Einig würden die Flüchtlinge am liebsten sofort wieder zurückschicken. Stichwort Rassismus. Wie könnte man dagegen vorgehen?

Man wird solche Leute nie ändern können, aber man kann eine starke Mehrheit bilden und man muss die Definitionskraft über die Werte behalten. Es muss klar sein, dass sich Rassismus einfach nicht gehört. Man darf diesen Leuten keine Plattform geben. Dass sie dann im Untergrund hetzen, das wird man nicht verändern.

© SZ vom 06.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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