Festival in Tutzing:Entdecker am Werk

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Linus Roth und Florian Uhlig bei einem Auftritt in Tutzing. (Foto: Arlet Ulfers)

Linus Roth und Florian Uhlig spielen bei den Brahmstagen Werke des zu Unrecht vergessenen Mieczysław Weinberg

Von Reinhard Palmer

Tutzing - Die Gelegenheit, Neues kennenzulernen, schon mal was Gewagtes, dazu aber auch herausragende Interpretationen der Standardliteratur: Damit unterscheiden sich Festivals von mehr oder weniger konventionellen Konzertreihen, bei denen es in erster Linie darum geht, die Wünsche des Stammpublikums zu bedienen.

Mit besonderen Programmgestaltungen schärfen die Tutzinger Brahmstage kontinuierlich ihr Profil. Und mit dem Auftritt des Geigers Linus Roth und des Pianisten Florian Uhlig im Konzertsaal der Evangelischen Akademie Tutzing gelang es, mit einer knackigen Repertoireauswahl das Musterbeispiel eines Festivalprogramms zu kreieren.

Gleich zwei umfangreiche Werke des polnisch-jüdischen Komponisten Mieczysław Weinberg - im Jahr seines 100. Geburtstags - auf den Spielplan zu setzen, hat vielleicht einige potenzielle Konzertbesucher abgeschreckt. Doch der Abend bot die Gelegenheit, den absolut zu Unrecht vergessenen Komponisten in einer beachtlichen Bandbreite seiner Ausdruckssprache kennenzulernen, zumal mit einem weiteren Werk in der zweiten Zugabe, einem meditativen Largo.

Linus Roth war der Hauptinitiator der Internationalen Mieczysław-Weinberg-Gesellschaft. Er ist Mitglied des Vorstands und daher auch ein Kenner des Weinberg-Œuvres. Zudem spielte er als weltweit erster Geiger alle Werke von Mieczyslaw Weinberg für Violine und Klavier (José Gallardo) ein. Aber auch Florian Uhlig hatte keine Mühe, im homogenen Zusammenspiel die komplexe und unentwegt ereignisreiche Diktion des Komponisten mitzutragen, zumal sich Analogien zu Dmitri Schostakowitsch als hilfreich erwiesen.

Das lag daran, dass Schostakowitsch der Mentor Weinbergs war und dass beide Komponisten mit Vorliebe auf die jüdische Musik zurückgriffen. Das war freilich in Weinbergs Rhapsodie über moldawische Themen op. 47/3 deutlicher hörbar, stand doch dort das folkloristische Element im Vordergrund, was das Duo Roth und Uhlig auch mit schwungvollem Schmiss bis zum ekstatischen Taumel spielfreudig annahm.

Weinberg Sonate op. 37 war ein anderes Kaliber: Lange Zeit auf der Flucht vor den Nazis in Richtung Sowjetunion, bot seine Lebenslage kaum Stoff für Versöhnliches. Zum Glück wirkte die Brahms-Sonate op. 108 mit ihrer nostalgisch-leidenschaftlichen Kraft noch eine Weile in den depressiven, elegisch durchsetzten Weinberg hinein.

Der dritte Brahms-Satz kam sogar in maßvoller Weise leicht und spritzig daher, bevor Roth und Uhlig mit wuchtigem Temperament im Schlusssatz ungezügelte Vitalität ausbreiteten. In Ravels Sonate G-Dur von 1927 konnte das Duo vor allem mit dem überschwänglich blühenden, dann lyrisch sinnierenden Kopfsatz, zudem mit dem unaufhaltsam wirbelnden Schlusssatz einiges an Zuversicht zurückgewinnen. Ovationen, umso mehr nach der musikantischen Bartók-Zugabe.

© SZ vom 22.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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