Einzigartig in Bayern:Dem sturen Wastl sei Dank

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Alle vier Jahre kürt der "Goaßbockverein" aus Bachhausen am Starnberger See den schönsten Ziegenbock und feiert das Prachtexemplar mit einem großen Fest

Von Astrid Becker

Natürlich war ein Ziegenbock an allem schuld. "Nennen wir ihn Wastl", sagt Benedikt Demmler. Mit dem Namen des Tieres ist er sich nicht mehr so ganz sicher. Aber verständlich: Demmler war damals 18 Jahre alt und man schrieb das Jahr 1979. "Zu der Zeit war das eh alles anders, da haben alle nur vom 'Bock' geredet." Jedenfalls handelte es sich beim Wastl - wir bleiben jetzt hier einfach dabei - um ein äußerst eigenwilliges und stures Geschöpf, das nur Unsinn im Kopf hatte. Und als der Wastl dem Benedikt Demmler eines Tages mal wieder richtig Ärger machte, war dies die Geburtsstunde des "Goaßbockvereins." Eines Vereins, der wohl recht einzigartig in Bayern sein dürfte - und ohne den ein gesellschaftliches oder soziales Leben in Bachhausen kaum möglich wäre.

Schon als kleines Kind hat die Vorsitzende Bernadette Demmler ihr Herz für Ziegen entdeckt. Mittlerweile besitzt sie selbst Geißen und einen Bock. (Foto: Arlet Ulfers)

Wenn es diesen Verein nicht gäbe, wäre wohl noch immer dem einen oder anderen im Landkreis Starnberg die Existenz des kleinen Dorfes Bachhausen entgangen. Denn allein eines seiner Feste erregt regelmäßig die Aufmerksamkeit der Menschen in der Region: Alle vier Jahre veranstaltet der Verein ein "Goaßbockfest", bei dem das Publikum den "Ziegenbock des Jahres" kürt. Zuletzt, im Juni, hat den Titel ausgerechnet der kleinste aller Teilnehmer gewonnen: der Afrikanische Zwergziegenbock "Xaver" - und damit ein echter Bachhausener Bock. Selbstverständlich ist das nicht. Denn zur Wahl stellen sich keineswegs nur einheimische Ziegenbesitzer, bis aus Wallgau waren in diesem Jahr Hobbytierhalter angereist, um die "Leistungsfähigkeit und das Sackgewicht" ihrer Böcke anzupreisen, denn darum geht es im Prinzip bei diesem Fest, wenngleich nur aus Gaudi.

Ihr Vater, Benedikt Demmler, hatte einst mit Freunden den Verein gegründet. (Foto: Arlet Ulfers)

Damals, 1979, freilich war das anders. Außer Demmler besaß kein anderer einen Ziegenbock in dem vielleicht 500, 600 Einwohner zählenden Dorf. So ganz genau kann auch Demmler nicht sagen, wie viele Menschen in Bachhausen leben. Er selbst jedenfalls ist ein echter Bachhausener. Sein Großvater war hier Bürgermeister, als Bachhausen noch selbständig war, und nannte eine Mühle, direkt am Lüßbach, der sich idyllisch durch den Ort schlängelt, sein Eigen. Zur Mühle gehörte auch eine Landwirtschaft, die Demmlers Vater noch betrieben hatte. Ansonsten gab es außer Wohnhäusern und Bauernhöfen in Bachhausen nichts. Keine Kirche, keine Wirtschaft, nichts also, an dem sich Menschen wie selbstverständlich begegnen können, mal ratschen oder dergleichen.

Der damalige Bürgermeisters Josef Ücker (links) unterstützte Benedikt Demmler dabei. (Foto: Arlet Ulfers)

Deshalb traf man sich schon in den Siebzigern einfach privat. Zum Beispiel zum Frühschoppen. Der "Demmler Bene", wie er hier genannt wird, war da meist auch dabei. An einem denkwürdigen Dezembermorgen erzählte er all den anderen von seinem Bock, der wieder einmal nicht nur beim Nachbarn, sondern auch noch in vielen anderen Gärten recht herumgewütet haben soll. "Wenn es wenigstens mehrere wären mit einem Bock, dann wäre die Akzeptanz größer", beschreibt er heute das, was damals beim Bier beredet wurde. Also verfielen die Stammtischfreunde auf die Idee, selbst dafür zu sorgen, dass es in Bachhausen bald mehr Ziegenböcke geben wird. Dafür sollte jeder der neun Vereinsgründungsmitglieder zehn Mark stiften, um so einen zweiten Bock für Bachhausen anzuschaffen. Dieses Tier sollte dann im Rahmen einer Feier an Weihnachten versteigert werden. Und so geschah es auch. Später kamen übrigens noch andere Ideen dazu, wie der Bestand an Ziegenböcken im Ort erhöht werden kann: Zum Beispiel, in dem man sie Paaren zur Hochzeit schenkt - woraus sogar eine Tradition wurde. Aber erst als es den Verein wirklich gab.

Seither wird regelmäßig ein Goaßbockfest gefeiert (Foto: Nila Thiel)

Damit es so weit kommen konnte, weckte Demmler nach dem Frühschoppen seinen jüngeren Bruder auf: "Weil der so eine schöne Schrift hat. Da war es nur schon mitten in der Nacht, der hat mich natürlich für komplett narrisch erklärt", erzählt Demmler. Trotzdem setzte sich der jüngere Bruder aber hin und brachte die Satzung am 4. Dezember 1979 zu Papier. Allerlei stand da zu lesen: Beispielsweise, dass der Verein dem Zweck dienen solle, "anderen durch Unternehmen jeglicher Art Freude zu bereiten". Geregelt wurden aber auch die Beziehungen der Mitglieder untereinander: "Das Human-Relations-Prinzip soll dafür sorgen, dass man den Verein nicht nur als ein technisch-organisatorisches, sondern auch als ein soziales Engagement ansieht, das nach Erkenntnissen der Psychologie und der Organisationssoziologie zur optimalen Leistungsentfaltung gebracht werden kann und zugleich einer verbesserten Selbstverwirklichung des Einzelnen dient." Was recht hochtrabend klingt - im Gegensatz zu anderen, ebenfalls aufgeschriebenen Regeln. Zum Beispiel, dass derjenige, der eine neue Beziehung eingeht, dies den anderen mitzuteilen hat. "Ein völliger Schmarrn war das", sagt Demmler dazu heute, "aber mei".

Jedenfalls zeigte die Vereinsidee Wirkung. Es gab sukzessive mehr Böcke und mehr Feste im Ort. Neben dem Goaßbockfest halfen die Vereinsmitglieder dabei mit, Wein- oder Grillfeste zu organisieren. Vieles davon fand jahrelang vor oder in der Alten Mühle statt, bis Demmler sie abreißen musste und durch einen Neubau für seine Familie ersetzte. Der Grundriss ist übrigens gleich geblieben, auch wenn er jetzt in dem Gebäude wohnt, und neben dran, im einstigen Wohnhaus, seine Brieftauben leben. "Ich war schon immer tiernarrisch, auch wenn ich nicht Bauer geworden bin, sondern eine Banklehre gemacht habe", erzählt Demmler.

Die Tierliebe, gerade auch die zu den Ziegen, hat er an seine Kinder, zwei Töchter und einen Sohn, vererbt. Sie alle engagieren sich längst für den "Goaßbockverein", allen voran Tochter Bernadette und Sohn Benedikt, die mittlerweile zusammen mit Maxi Huber die Gründungsmitglieder im Vorstand abgelöst haben. Das Goaßbockfest im vergangenen Juni war das erste, das sie in Eigenregie organisiert haben. "Ich habe ja schon als Kind ein Vereins-T-Shirt getragen", erzählt Bernadette Demmler, die selbst Ziegen besitzt.

Vor ihrem ersten Fest war sie dennoch ein bisschen aufgeregt, doch dann lief alles bestens. Etwa 500 Besucher waren gekommen - und kürten den kleinen "Xaver" zu ihrem Lieblingsbock. Bernadette Demmler und ihren Vater Benedikt freut dies besonders. Denn die Besitzer, Petra und Andreas Wernetshammer, haben Xaver vor neun Jahren zu ihrer Hochzeit bekommen. Vom wem? Natürlich vom Goaßbockverein.

© SZ vom 04.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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