Ateliertage:Allzu Menschliches

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23 Künstler der Ateliertage Berg-Icking blicken ins Schlafzimmer, hinterfragen Rollenklischees und Paarbeziehungen

Von Stephanie Schwaderer und Katja Sebald, Berg/Icking

Der Mitmensch macht einem das Leben nicht immer leicht. Das sieht man den 24 Frauen und Männern, die Christiane Leimklef mit sicherer Hand auf weißes Papier getuscht hat, auf den ersten Blick an. Wie könnten es all diese Typen zu einem Miteinander bringen? Zwischen ihnen erhebt sich eine doppelwandige Mauer, auf der kryptische Botschaften stehen: "Kyllä" und "oxi", "sim" oder "ingen". Tatsächlich handelt es sich um die einfachen Worte "ja" und "nein". Leimklef hat sie in alle Sprachen Europas übersetzt. "Wenn die Verständigung schon zwischen Europäern so schwer ist", sagt sie, "wie soll es da einem Syrer bei uns ergehen?" Ein nachdenklicher Moment an einem sonnigen Herbsttag, der wie geschaffen dafür ist, ein paar außergewöhnliche Mitmenschen besser kennenzulernen.

23 Künstler laden heuer unter dem Motto "Mitmensch" zu den 30. Ateliertagen Berg/Icking ein, auch am kommenden Wochenende öffnen sie noch einmal Werkstätten und Ateliers. Für Besucher liegt ein großes Vergnügen schon darin, fremde Gartentürchen zu öffnen und Station für Station auf Entdeckungsreise zu gehen. Dass dies nie langweilig wird, ist auch den wechselnden Jahresthemen zu verdanken. Sissi Edler etwa, die ansonsten allein auf die Wirkung der Farbe vertraut, lässt in einem ihrer jüngsten Bilder Menschen Kontur annehmen. Wie Gestrandete treten sie schemenhaft aus einem Meer von Blau heraus. Ihre Künstlerfreundin Gerdi Herz, in deren Haus in Ebenhausen sie traditionsgemäß ausstellt, hat sich dem Thema in Ton genähert, handfest und humorvoll: Auf einer Bank sitzt ein Paar. "Sie beschimpft ihn, aber ihn interessiert das gar nicht", erklärt Herz im Vorbeigehen und lotst ihre Gäste schnell in den nächsten Raum weiter. Sie hat so viel zu zeigen, jeder Winkel ist mit Skulpturen und Assemblagen bestückt.

Das ästhetische Kontrastprogramm wartet ein paar hundert Meter weiter in den lichten Atelierhäuschen von Sophia Hößle und Gabriel Baumüller in Irschenhausen. Die beiden zeigen eine kleine Auswahl ihrer ansprechenden Werke und haben noch zwei Gästen - Rüdiger Mertsch und Isabelle Roth - Platz eingeräumt. Die originellste "Mitmensch"-Arbeit in dieser Runde stammt von Hößle: Sie hat auf Spaziergängen in der Umgebung Ton gesammelt und daraus Köpfchen geformt. Diese sammeln sich nun unter der Fotogalerie ihrer Entstehungsorte - eine bunte Zusammenkunft irdener Geschöpfe, nur scheinbar dem gleichen Boden entsprungen.

Ein Original aus Fleisch und Blut ist Sebastian Heinsdorff, der in seiner kleinen Werkstatt wieder einen aberwitzigen Kosmos aufspannt. Zum Thema steuert er zarte Papierarbeiten bei - und gewaltige Vorträge zu Elementarphysik und Fundamentalphilosophie. Zwischen Urknall, Adam und Beziehungsfragen liegt für ihn allenfalls der Zug an einer Selbstgedrehten. In der urigen Küche nebenan schmiert Conni Schmidtchen derweil Brote - eine Stärkung, die wie gerufen kommt. Werkstattatmosphäre können Besucher auch bei den beiden "Außenseitern" Teresa Erhart in Wolfratshausen und Ernst Grünwald in Ammerland genießen.

Im Westen viel Neues, aber auch viel Altbewährtes: In den Berger Ortsteilen Farchach, Aufkirchen, Aufhausen und Allmannshausen haben acht Künstler ihre Ateliertüren geöffnet. Eine der eindrücklichsten Begegnungen erwartet in diesem Jahr die Besucher im "Oberstübchen" des Ateliers von Juschi Bannaski, wo als Gastausstellerin die Konzeptkünstlerin Adidal About-Chamat zu sehen ist. Unter dem vieldeutig-poetischen Titel "Dreaming of. . ." zeigt sie Fotos von einer Balletttänzerin in der Burka. Auch mit zwei weiteren Fotoarbeiten hinterfragt die syrisch-stämmige Künstlern, die in München lebt, klug weibliche Rollenzuweisungen. Juschi Bannaski selbst zeigt neue Hinterglasbilder und eine sehr feinsinnige Serie von Papierarbeiten, Roman Wörndl schließlich bespielt das Gartenhaus mit einer Video-Arbeit.

Andreas Huber ist seinen Mitmenschen bis ins Schlafzimmer gefolgt: Für eine Fotoserie zum Thema "Mitmensch" bat er Freunde, ihr Bett morgens nicht zu machen. Seine kleinen Schwarzweißbilder haben dennoch nichts Voyeuristisches, sie sind kaum mehr als Detailaufnahmen von zerknüllten Kissen und Falten im Laken, aber gleichzeitig anrührend schön, leise und von großer Intimität. Sabine Beck auf der Maxhöhe begegnet dem Jahresthema mit Heiterkeit: Ihr Gemälde "Nachbarschaft" zeigt eine Gruppe von rothaarigen Damen mit schnippischen oder auch schmallippigen Gesichtern, in der Begegnung mit ihren Mitmenschen halten sie sich jedoch lieber eine Maske mit neutral-freundlichem Ausdruck vors Gesicht.

Eine ganze Reihe neuer Arbeiten zeigt Lucie Plaschka in Aufkirchen. Aus Brandspuren, die sie ihrem Malgrund zufügt, entwickelt sie, im großen wie im kleinen Format, figürliche Zeichnungen von großem Ausdruck. Eine souveräne Hand, aber auch feinsinnigen Humor offenbart sie in den kaum postkartengroßen Zeichnungen, die sie mit einem schwarzen Filzstift während der Aktzeichenstunden anfertigt. Ines Voelchert, die seit einigen Jahren bei ihr als Gast ausstellt, verfolgt weiter das Thema Kleid und Mieder, in jüngster Zeit verzichtet sie dabei auf Farbe. Ganz auf die Farbe hingegen vertraut auch weiterhin Hannelore Jüterbock in Allmannshausen. Sie zeigt zum Thema "Mitmensch" Bilder von Körperbeziehungen, die bis ins Jahr 1982 zurückreichen. Mann und Frau begegnen sich auch auf ihren Stelen aus Plexiglas. Neuere Bilder zeigen das Meer und die verschwimmende Horizontlinie, ein Flüchtlingsboot lässt sich allenfalls erahnen. Holzkünstler Hans Panschar, ebenfalls in Allmannshausen, zeigt eine plakative mannshohe Leiter, die aus den Buchstaben HUMAN gefertigt ist. Auch er hat sich mit dem Schicksal der Flüchtlinge auseinandergesetzt und begleitet sie mit seinen Objekten durchs "Dahinterland" und das "Dazwischenland".

In Farchach schließlich zeigen Dazze Kammerl und Gerd Jäger, beide Gründungsmitglieder der Ateliertage, seit dreißig Jahren bewährte künstlerische Qualität. In ihren eigenwilligen und von Kunst geradezu überwucherten Ateliers lassen sich neue und alte Schätze entdecken.

Die Künstler öffnen ihre Ateliers abermals an diesem Samstag von 14 bis 19 Uhr und am 2. Oktober, von 11 bis 19 Uhr. Infos: www.atelier-tage.de.

© SZ vom 29.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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