Stadt - Land - Rock:Unerhört gut

Lesezeit: 4 min

Die Auswahl ist getroffen: Beim Festival "Stadt - Land - Rock" auf Tollwood treffen sich die besten jungen Bands aus München und Umgebung.

Jochen Temsch

Ein Besuch im Probenraum, und der Mann war überzeugt. "Mir war spontan klar, dass das etwas ganz Außergewöhnliches ist", sagt Christian Heine, einer der Chefs des Atomic Cafés. Er hat Hunderte Bands auf seiner Bühne spielen sehen. Aber diese eine Combo bewegte ihn besonders: "Es war das erste Mal, dass ich den Drang verspürte, Manager zu sein."

Das SZ-Zelt wird zur Bühne für die besten Münchner Bands. (Foto: Foto: Tollwood)

Seitdem vermarktet Heine die Five! Fast!! Hits!!!, ein Quartett aus Atomic-Stammgästen, das sich vor eineinhalb Jahren über einen Suchaufruf auf der Website des Clubs zusammenfand, um dreckigen Rock'n'Roll im Stil der Libertines und Arctic Monkeys zu machen. Die Begeisterung Heines war das Glück der unbekannten Gruppe. Der einflussreiche Club- und Labelchef nützte seine Kontakte zu Bookern und Plattenfirmen, brachte die Five! Fast!! Hits!!! unter anderem ins Vorprogramm von Art Brut in der Elserhalle und der Paddingtons auf Deutschlandtour.

Die Stilvielfalt ist beachtlich

So haben sich die Five! Fast!! Hits!!! schon weiter hochgespielt als andere, die bei "Stadt - Land - Rock" auftreten, dem Festival junger Bands der Süddeutschen Zeitung und von Tollwood, das vom 22. Juni bis 4. Juli bei freiem Eintritt im SZ-Zelt auf dem Tollwood-Gelände im Olympiapark stattfindet. Die SZ-Jugendseite hatte Nachwuchsbands aus München und der Region zur Bewerbung aufgerufen. 200 Combos machten mit, eine Jury wählte die 15 besten aus, die sich nun einem großen Publikum präsentieren können und dabei das in die Jahre gekommene Tollwood verjüngen sollen.

Weitere Bands, die sich beworben haben, aber nicht im eigentlichen "Stadt - Land - Rock"-Rahmen untergekommen sind, treten im Vorprogramm bekannterer Bands auf, die bis 9. Juli, ebenfalls bei freiem Eintritt, im SZ-Zelt zu hören sind. Den Anfang machen an diesem Mittwoch um 19 Uhr Mathilde vor den bekannten Augsburger Indie-Rockern Anajo.

Die Stilvielfalt der Bands ist beachtlich: von Heavy-Metal-Funk-Fusion bis Pop im Gewand der Neuen Deutschen Welle, von Punk bis Discobeats. Die Musiker sind viel zu gut, um im Probenraum zu versauern. Und ohne Plattformen wie "Stadt - Land - Rock" würde kaum jemand davon erfahren.

"Festivals sind wichtig", sagt Frank Feiler, Schlagzeuger der Five! Fast!! Hits!!!. "Wenn man zu einer musikalischen Szene gehört, muss man sich immer wieder zeigen, Leute treffen, Kontakte knüpfen." Er sei noch nie irgendwo aufgetreten, ohne dass sich daraus irgendwas Neues ergeben hätte. Das jüngste Beispiel war ein Konzert in Wien, das ein Booker sah, der Five! Fast!! Hits!!! daraufhin einen Gig im Londoner Notting Hill Arts Club verschaffte - in der legendären Reihe "Death Disco", die der Oasis-Entdecker Alan McGee veranstaltet.

Die Gitarrist der Five! Fast!! Hits!!!. Hier noch im Atomic Cafè und bald auch auf dem Tollwood. (Foto: Foto: oh)

Bei solchen Fortschritten muss sich Frank Feiler schon mal gegen das Vorurteil "Kein Wunder bei dem Manager" rechtfertigen. Dabei hat Feiler lange genug gerackert. Mit seiner Evil Horde ist er Anfang der neunziger Jahre vor 20 Zuschauern als Support von Green Day aufgetreten.

Er kennt "die ganze Ochsentour durch abgeranzte Jugendzentren" und findet es legitim, dass es mit Heine jetzt geschmeidiger für ihn läuft. Ähnlich geht es seinen ebenfalls erfahrenen Bandkollegen, nur dem Sänger Rafael Scheiber nicht. Der ist gerade mal 19 Jahre alt und hat erst durch Five! Fast!! Hits!!! Gitarre spielen gelernt. "Wichtig ist, dass du die Initiative ergreifst", sagt Feiler, "sonst kommst du nie aus dem Probenkeller raus."

Keine Antwort auf Demobänder

Jens Verstaen von Taxgas sieht das genauso. Nur tut sich seine Band schwerer, Bühnen zu finden. Das "Streetlife"-Festival war der bislang größte Rahmen, in dem Taxgas ihren auf Deutsch reflektierenden Indie-Rock im Stile von Tocotronic an ein Publikum brachten. Selbst mehrtägige Festivals, die 50, 60 Bands auftreten lassen, etwa Studentensausen wie "Tunix" oder "Stustaculum", sind wählerisch und schöpfen aus einem großen Angebot an Bands - Taxgas bewarben sich bislang vergeblich.

Auf ihr Demo-Anschreiben ans Atomic Café bekamen sie nicht einmal eine Antwort. Jens Verstaen sagt: "Mit 20 denkt man, wie genial das wäre, groß rauszukommen, mit 30 sieht man das dann langsam realistisch." Sein Wunsch: eine lokale Fangemeinde zu erspielen, so ähnlich vielleicht wie Cat Sun Flower.

"Irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich fragt: Geht es richtig ambitioniert weiter oder nur noch just for fun", sagt auch Markus Valley von der selbst so genannten "Trash-Pop-Poesie"-Combo Silikon, die mit Taxgas und Herz zum Auftakt von "Stadt - Land - Rock" spielt.

Silikon erinnert an die alte Neue Deutsche Welle, obwohl Valley schwört, dass das Zufall ist. "Als Hobby ist die Band zu zeitaufwendig, aber davon leben kann man auch nicht", sagt er. Was bleibt, ist der Spaß an der Musik und die Mühen, sie an die Öffentlichkeit zu bringen: bezahlbare Probenräume kriegen, teure Demoaufnahmen machen, Bühnen finden. Das ist für Stadtbands nicht anders als für die aus der Region.

Die Jungs von Marshmelones sehen das allerdings noch locker. Sie sind im Schnitt 19 Jahre alt und stammen aus dem Würmtal. Seit drei Jahren treten sie mit eigenen Liedern auf, harte Nummern zwischen Punk und Emo-Core, und so energiegeladen wie ihr Sound sind auch die vier Musiker. Sänger Kle Argiropoulos sagt: "Auf dem Land geht alles, außer sonntags."

Proben im Schweinestall

In Lochham haben sie schon in einem ihrer Wohnzimmer geprobt, in Germering in einem umgebauten Schweinestall. Auf teure Stadt-Proberäume, die so klein sind, dass sich der Gitarrist aufs Schlagzeug setzen muss, haben sie keine Lust. Jetzt sind sie in einem Keller in Hörbach untergekommen, wo die Eltern des Drummers wohnen.

Sie haben eine selbst finanzierte EP herausgebracht, Fanartikel kann man über ihre Homepage bestellen. Das Wichtigste aber für die Marshmelones: live zu spielen und immer einen Schritt weiter zu gehen mit den Wunschvorstellungen. Das hieß für sie unter anderem schon: das Finale beim Sprungbrett-Wettbewerb im Feierwerk, Auftritt im Backstage, Support von Szenegrößen wie Flyswatter, Team Rockit und Itchy Poopzkid.

Auch ihre Kollegen von der gefühligen Alternative-Rock-Band Herz haben Größeres vor. Mit den durchgestarteten Sportfreunden Stiller haben sie zumindest schon eines gemeinsam: den Proberaum in der Jugendbegegnungsstätte Germering. "Wir spucken auf den gleichen Boden wie damals die Sportis", sagt Bassist Richard Stöckle, der Herz bald verlässt, weil er im Ausland Philosophie studiert.

Orte wie das Jugendzentrum oder der damit eng verbundene Treff Subkultur in Fürstenfeldbruck, wo sich Musiker gegenseitig unterstützen, hält Stöckle für wichtig - in der Stadt wie auf dem Land. Und dass die Sportfreunde jetzt hinspucken dürfen, wo sie wollen, liegt für Stöckle auch daran, dass sie eines Tages den richtigen Manager trafen, der sie an die Öffentlichkeit brachte. Aber jetzt gehen erst einmal Herz ab und all die anderen talentierten Bands. Es wird spannend, wo sie überall ankommen.

Im SZ-Zelt bei Tollwood sind von 14. Juni bis 9. Juli Popbands zu hören. Von 22. Juni bis 4. Juli findet das "Stadt - Land - Rock"-Festival statt. Beginn aller Veranstaltungen: 19 Uhr. Eintritt frei.

© SZ vom 14.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: