Stadt der Frauen:"Ich musste lernen, mich durchzusetzen"

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Lieselotte May war 30 Jahre lang Lehrerin - mit großer Leidenschaft. Dass sie arbeitet, stand nie zur Debatte

Protokoll von Katja Riedel

Lieselotte May, 80, pensionierte Lehrerin, aus München: "Mein Vater hatte zwei Töchter, keinen Sohn. Deshalb hat er uns wie Söhne behandelt. In unserem Elternhaus in Nürnberg hat er uns, wenn etwas kaputt war, den Schlagbohrer in die Hand gedrückt. Macht das selbst! Das klingt mir noch heute in den Ohren, ich glaube immer, dass ich alles selbst machen muss. Und ich habe wirklich mein ganzes Leben lang alles selbst gemacht. Als Lehrerin, aber auch als alleinerziehende Mutter meines Sohnes Christian.

Sie hat für ihren Beruf gelebt. (Foto: Florian Peljak)

Eigentlich hatte ich zu Abiturzeiten meinen Klassenkameraden gesagt: Ich will nicht Lehrerin werden, weil es schon genügend schlechte gibt. Über einen Umweg, ein abgebrochenes Jurastudium, bin ich es dann doch geworden. Deutschlehrerin. Und ich hatte einen Vorsatz: Du machst das anders. Erst habe ich junge Männer in einer Berufsaufbauschule unterrichtet. Ich musste lernen, mich durchzusetzen und die Angst vor den Schülern zu verlieren. Dann war ich viele Jahre lang an der Münchner Riemerschmid-Realschule, einer Mädchenschule. Ich bin sehr, sehr gut mit den Schülern ausgekommen. Ich habe gelernt, Stand zu halten. Ich trete selbstbewusst auf, mich tritt man nicht hinunter. Kurz vor der Pensionierung mit 63 hat die Amtsärztin zu mir gesagt: "Ach, Sie sind also mit Ihrem Beruf verheiratet." Und damit hatte sie Recht. Ich hatte zwar im Laufe meines Lebens Bekanntschaften, aber der Beruf stand im Mittelpunkt.

Manchmal haben die Schüler Lieselotte May im Klassenzimmer mit der Kamera erwischt. (Foto: privat)

Dass ich arbeite, stand nie zur Debatte. Wie viele Mädchen aus meiner Grundschule später nicht gearbeitet haben, weiß ich nicht. Aus meiner Abiturklasse von 1954 hat wohl jede zweite eine Ausbildung gemacht oder studiert. Meinen Sohn habe ich noch im Studium bekommen, der Papa hat sich schnell verabschiedet. Dann ziehe ich das Kind eben alleine groß, habe ich mir dann gesagt. Meine Eltern haben ihn zu sich geholt, bis ich Ende der Sechzigerjahre mein Studium in München abgeschlossen hatte, dann ist er schnell wieder zu mir gekommen. Ein Zimmer hatte ich an eine Studentin vermietet, die hat das Kind erst in den Kindergarten gebracht, später in die Schule und nachmittags auf Christian aufgepasst, wenn ich korrigieren musste. Bis heute vermiete ich immer ein Zimmer über das Studentenwerk, so kann ich mir meine Wohnung in Schwabing weiter leisten und erfahre, wie junge Menschen heute denken. 35 Jahre lang hatte ich außerdem immer große Hunde, mit denen ich dann auch viel Arbeit hatte.

Für mich war es immer normal zu arbeiten, ich hatte nur einmal eine Freundin, die Hausfrau war. Aber das war mir schnell langweilig, die erzählte zu viel von Windeln und der vielen Arbeit mit den Kleinen. Für alle anderen war es selbstverständlich, im Beruf zu sein. An der Universität waren wir als Frauen schon in der Minderheit, viel stärker als heute. Aber nicht jeder hat meinen Lebensstil normal gefunden. Einmal brauchte ich ein polizeiliches Führungszeugnis, der Polizist hat mich, die Alleinerziehende mit dem Kleinkind, von oben bis unten gemustert. Gerade im Kontakt mit Ämtern habe ich solche Reaktionen erlebt. Aber wir haben viel unternommen, auch in den Ferien. Wir hatten einen Campingbus, mit dem bin ich mit meinem Sohn durch die Türkei gefahren, bis nach Armenien. Wenn Du mit einem Kind unterwegs bist, passiert Dir nichts, habe ich mir gesagt."

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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