Volleyball:Heimweh

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Mihai Paduretu, 18 Jahre lang Trainer von Unterhachings letztlich gescheiterten Volleyballern, hat Abstand gewonnen vom Erstligabetrieb. Bodenständig ist er geblieben. Der Erfolgscoach möchte im Klub Geschäftsführer bleiben - und seinem Sohn Eric dabei helfen, Profi zu werden

Von Sebastian Winter, Berg/Unterhaching

Ein Donnerstagabend Mitte Januar in Berg am Starnberger See, Mihai Paduretu steht an der Seitenlinie, er ist jetzt wieder Trainer. Wie früher. Auch wenn auf dem Feld nicht Hachings Profi-Volleyballer stehen, sondern die Talente des Internats Kempfenhausen. Paduretu trägt ein grünes T-Shirt, "gute Qualität", sagt er, es ist die neue Kollektion seines Vereins Unterhaching.

Wie es aussieht, bleibt der TSV seine Heimat. Denn Paduretu hat nicht vor, bei einem anderen Klub anzuheuern. Er treibt das voran, was er seit 18 Jahren hauptberuflich macht: die Geschäftsführung des Gesamtvereins. "Wir fühlen uns sehr wohl im Münchner Raum. Klingt langweilig, oder? Aber es ist so", sagt Paduretu. Zu Hachings Rückzug aus der ersten Liga, der im vergangenen Sommer wegen eines fehlenden Hauptsponsors vollzogen wurde, sagt er nur: "Es ist schade, aber Vergangenheit. Eine schöne Geschichte, die beendet ist. Es wird auch keinen Teil zwei geben." Nicht einmal auf Herrsching scheint er neidisch zu sein, jenen Erstliga-Aufsteiger, der Haching ablöste und die Liga mit dem Motto "Geilster Club der Welt" aufschreckte. "Ich habe sie live gegen Friedrichshafen gesehen. Sie spielten gut, die Halle war voll."

Ein junger Spieler pritscht den Ball in der kleinen, düsteren Internatshalle, er trägt das gleiche grüne Shirt wie Paduretu. Auch er ist Zuspieler, auch er ist sehr ehrgeizig. Der Spieler heißt Eric. Mihai Paduretu ist sein Vater. Jeden Donnerstag bereitet er den 15-jährigen Zehntklässler, der seit diesem Schuljahr das Internat in Kempfenhausen besucht, auf eine mögliche Profikarriere vor. Ihn und die anderen VCO-Talente. Paduretu macht das in seiner Freizeit und entlastet Kempfenhausens Trainer Peter Menyndt. "Ich möchte weitergeben, was ich als Spieler und Trainer an Erfahrung gesammelt habe", sagt Paduretu.

Eric spielt seit acht Jahren Volleyball. Er hat sich die Tricks und Kniffe der Profis in der Unterhachinger Halle als Balljunge abgeschaut, vielleicht fünf Spiele hat er verpasst. Der gewitzte letztjährige Zuspieler Tsimafei Zhukouski ist sein Vorbild - aber irgendwie auch der Vater, obwohl dieser sagt, seinen Sohn zu nichts gedrängt zu haben. Eric, der auch kurz mal Fußball ausprobiert hat, es aber nicht mochte, möchte Paduretu nacheifern, der mit Dachau als Spieler Mitte der neunziger Jahre deutscher Meister wurde und ins Champions-League-Finale kam. "Ich möchte Nationalspieler werden", sagt Eric selbstbewusst.

"Für die Familie ist es eine schönere Lage, dass der Papa mehr Zeit hat", sagt Eric Paduretu (oben in seinem Internatszimmer mit Vater Mihai). (Foto: Franz-Xaver Fuchs)

Dafür trainiert der Junge mit den kurzen, dunkelblonden Haaren seit dieser Saison täglich im Internat. Sein Vater gibt ihm in den Ferien auch Einzeltraining oder geht mit ihm ins Fitnessstudio. Das Pensum sei gut mit der Schule kombinierbar, die Noten hätten sich sogar gebessert, seit er im Internat sei, "entsprechend zufrieden sind meine Eltern". An freien Wochenenden kehrt er heim nach Unterhaching.

Stützpunkttrainer Meyndt hat ihn diese Saison in die erste Mannschaft gezogen, auch weil ein Steller fehlte, er spielt jetzt dritte Liga Ost, am Samstag trifft Kempfenhausen auf Mühldorf. Wegen seines Doppelspielrechts steht Eric auch im Kader der Bayernliga-Mannschaft Unterhachings.

Dort unten, in der fünfthöchsten Spielklasse, findet man das derzeitige Aushängeschild des einstigen Volleyball-Riesen, die erste Mannschaft, die dort unter dem Namen TSV Unterhaching II antritt. Aber im Niedergang steckt auch eine weitere kleine Erfolgsgeschichte; nicht nur die des Balljungen Eric, der Profi werden möchte: Denn das Team des ehemaligen Grafingers Dejan Stankovic ist als Aufsteiger Zweiter, mit einem Punkt Rücktand auf Friedberg, das das Spitzenspiel vor zwei Wochen gewann. Aber das kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Unterhaching von der Volleyball-Landkarte weitgehend verschwunden ist.

Paduretu möchte den Wiederaufbau, er ist sehr zufrieden mit der neuen Abteilungsleitung, bald soll Unterhaching bayerischer Jugendstützpunkt männlich werden. Aber er sieht nun auch, mehr als früher, die anderen TSV-Sparten, die Turner, Handballer, Tänzer, Basketballer. Seine Welt sind nicht mehr große Champions-League-Abende oder Pokalspiele in Halle vor 10 000 tobenden Zuschauern. Dieser Reiz fehlt Paduretu durchaus, die flirrenden Duelle, aber er hat das abgestreift wie eine alte Haut. Voller Ernst sagt er: "Wir wollen die Freizeitabteilung verbessern, da waren wir mal 1200 Mitglieder, jetzt sind es nur noch 700. Damengymnastik, Gesundheitssport, da ist Potenzial drin."

"Ich bin froh, dass ich Eric unterstützen kann." (Foto: Franz-Xaver Fuchs)

Pfingsten 2014 waren die Paduretus in den USA, dorthin hatten sie sich auch 2012 nach dem bitter verlorenen Playoff-Finale gegen Berlin zurückgezogen. Diesmal waren sie in Los Angeles, San Francisco und bei einer David-Copperfield-Show in Las Vegas. "Da konnte man abschalten, wir haben kaum über Volleyball geredet", sagt Eric. Sein Vater findet: "Amerika war schon vor zwei Jahren das beste Arzneimittel. Man vergisst. Die Leute rufen nicht mehr an. Wenn man in Italien oder Polen wäre, würden alle anrufen."

Doch das Volleyballfieber ergriff Mihai Paduretu schon im Sommer wieder, er reiste durch halb Europa, schaute sich Weltliga-Spiele an, Duelle in seiner Heimatstadt Bukarest, die Weltmeisterschaft in Polen, "das war absolut genial". Und dann wieder diese Graswurzelarbeit: Vor knapp drei Wochen ließ er sich bei einem Vorbereitungsturnier in der TSV-Halle blicken, es spielten auch Bezirksligisten mit, Paduretu holte sich wie alle anderen sein Fleisch am Grill. Er wirkte gelöst, manche sagten an jenem Tag: "Er ist viel entspannter als zu Erstligazeiten." Sein Sohn Eric formuliert es anders: "Für die Familie ist es eine schönere Lage, dass der Papa mehr Zeit hat."

Bis vergangenen Sommer war Paduretu ja Trainer und Geschäftsführer in einer Person, es waren zwei Fulltime-Jobs auf einmal, die wenig Platz für anderes ließen. Jetzt hat er diesen Raum, endlich einmal. In Kempfenhausen sagt Paduretu wohl auch deshalb, er habe sich bislang keinen Agenten geholt, der Trainerangebote für ihn sondiert. "Das werde ich auch nicht machen." Die Anrufer, die sich alle drei, vier Wochen bei ihm melden, wimmele er ab. "Ich habe schon Ende Juli gesagt, ich brauche jetzt erst einmal ein paar Monate. Und gerade bin ich zufrieden mit dem Job und froh, dass ich Eric unterstützen kann. Aber ich bin noch in dieser Welt, connected. Ich sage auch nicht, es ist für immer vorbei."

Mihai Paduretu, der Hachings Volleyballer als Trainer zu vier Pokalsiegen geführt hat, sieht das ähnlich. (Foto: Claus Schunk)

Für Eric hat es noch nicht einmal richtig angefangen. Er muss erst einmal wachsen, im wortwörtlichen Sinne. Zurzeit misst er 1,78 Meter, seine Wachstumsprognose: maximal 1,90 Meter. Für einen Angreifer ist das zu klein, aber er hat eine beeindruckende Sprungkraft, das Talent des Vaters, das Ballgefühl des Zuspielers, und auch die finstere Entschlossenheit, die man auf dieser strategischen Position braucht. Einmal schnaubt er im Training zwei ältere Mitspieler an, weil sie einen Ball auf den Boden haben fallen lassen. "Ich kann es nicht leiden, wenn jemand das Spiel nicht ernst nimmt oder die Angreifer nicht das tun, was ich möchte", sagt Eric. Sein Vater ist stolz auf ihn: "Das ist jetzt die dritte Generation, mein Vater hat in Bukarest gespielt, er war Angreifer in der ersten Liga."

Das Training hat noch nicht begonnen, da blickt Mihai Paduretu aus dem Internatszimmer seines Sohnes im dritten Stock aus dem Fenster. Der Starnberger See schimmert wunderschön im Abendlicht, die Berge funkeln dahinter. "Hier lässt es sich leben, oder?", sagt Paduretu. Für immer? Eric beendet voraussichtlich in zweieinhalb Jahren die Schule. Paduretus Tochter Jessica ist 19, quasi aus dem Haus, seine Frau Ofelia arbeitet in der Geschäftsstelle des Bayerischen Volleyball-Verbandes. "Ich weiß noch nicht, was die Zukunft bringt", sagt Mihai Paduretu noch und blickt wieder aus dem Fenster: "Aber Unterhaching ist meine Heimat."

© SZ vom 22.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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