Volleyball:Ein ergrantelter Punkt

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Zinnsoldaten und Pappkameraden: Bedröppelt stehen Herrschings geschlagene Spieler - von links Tim Peter, Jori Mantha und Jonas Kaminski - in der Corona-konformen Lüneburger Fan-Kulisse. (Foto: Witke/Nordphoto/Imago)

Herrschings Volleyballer verlieren auch in Lüneburg. Trainer Hauser sieht in der 2:3-Niederlage dennoch einen Schritt nach vorne. Für den ersten Zähler seit Mitte Dezember muss er aber in die Psychotrickkiste greifen.

Von Katrin Freiburghaus, Lüneburg/Herrsching

Wenn man mit dem Fahrrad oder Auto in eine tief ausgefahrene Spur gerät, erfordert es einen ordentlichen Schubs, um ihr wieder zu entkommen. Auf Straßen warnen vor solchen Gefahrstellen sogar Verkehrsschilder. Die WWK Volleys Herrsching warnte und schubste am vergangenen Samstag ihr Trainer Max Hauser. Er zählte seine Spieler in den Auszeiten ungewohnt persönlich an und brachte sie absichtlich gegen sich auf. Warum? "Weil Aggression eine sehr starke Emotion ist, die man auch ausnutzen kann", sagte der 37-Jährige. Sein Vorhaben funktionierte immerhin so gut, dass der Abend nicht mit der vierten glatten Niederlage nacheinander, sondern mit einem halbwegs versöhnlichen 2:3 (30:32, 15:25, 25:22, 25:16, 12:15) endete. Es war Herrschings erster Zähler seit Mitte Dezember. "Das ist klar ein gewonnener Punkt und war mental auf jeden Fall ein Schritt nach vorne", resümierte Hauser.

Diese Nachsicht war dem Spielverlauf geschuldet. Die Herrschinger waren in der ersten Spielhälfte vom Frust über ihre 0:3-Niederlage gegen Frankfurt eine Woche zuvor eingeholt worden. Im ersten Satz führten sie 18:14 und 22:20, agierten dann aber zu verzagt und luden Lüneburg so zu einer heißen Schlussphase ein. Die entschieden die Gastgeber mit ihrem vierten Satzball für sich, nachdem sie zuvor ebenso viele Herrschinger Chancen zum Gewinn des Durchgangs abgewehrt hatten. Im zweiten Satz funktionierte bei den Herrschingern kaum noch etwas, obwohl die Gesamtstatistik die Geschichte eines ausgeglichenen Spiels erzählt. Letzteres jedoch war schon gegen Frankfurt kaum anders gewesen - und genau darin lag das Problem.

Aus seinem Kopf "kann keiner raus", sagt Hauser

Taktische Fehler kann man korrigieren, schwache Spieler kann man auf die Bank setzen, doch gegen eine kollektive Blockade nützt all das nichts. Auch gegen die Hessen hatte Herrsching den ersten Durchgang nach einer klaren Führung verloren und nicht zurück in die Erfolgsspur gefunden, "und das ist seitdem natürlich im Kopf von allen drin, da kann keiner raus", sagte Hauser. Er versuchte es dennoch konventionell. Er wechselte im Außenangriff, er wechselte im Diagonalangriff, wechselte wieder zurück - es half nicht. Das Problem war eben keine spielerische Schwäche, sondern das fehlende Erfolgserlebnis. Selbst nach eigenen Punkten kam keine positive Stimmung mehr auf, so dass sich Hauser im dritten Satz für richtig Ärger statt Spaß entschied. "Wenn man merkt, dass man das Spiel wieder aus der Hand gibt, muss man irgendwas probieren", begründete er den Schritt, "ein paar von meinen Spielern in den Auszeiten ein bisschen blöd anzumachen und sie zu provozieren". Die Stimmung auf dem Feld wurde davon keineswegs besser, wohl aber das Spiel. Herrsching biss sich in der Abwehr an jedem Ball der Lüneburger fest und entkam dem Plot der Frankfurt-Niederlage. Herrschings mit 18 Punkten bestem Scorer, Außen-Angreifer Jori Mantha, gelang im dritten Durchgang viel, im vierten fast alles.

"Entscheidend ist, dass die Emotionen echt sind": Wenn man merke, dass eine Mannschaft ein Spiel aus der Hand gibt, "muss man irgendwas probieren", sagt Herrschings Trainer Max Hauser - ein paar Spieler in den Auszeiten "blöd anzumachen und sie zu provozieren", zum Beispiel. Der Teilerfolg in Lüneburg gab ihm Recht. (Foto: Witke/Nordphoto/Imago)

Selbst im vom gesamten Team stark und konsequent gespielten vierten Satz grantelten die Herrschinger ihre Punkte zwar eher an, als sie sie feierten. Hauser fand das aber nicht schlimm. "Das ist besser als gespielte Freude", sagte er. "Entscheidend ist, dass die Emotionen echt sind." Dass sie das waren, konnte man sehen - und hören, denn die Lüneburger Halle war zwar gut besucht, allerdings von knapp 100 sehr schweigsamen Ersatzfans aus Pappe, die der Helferstab vor dem Anpfiff in Position gerückt hatte. Im entscheidenden fünften Satz machten dann auch nicht die Stimmung, sondern vier Lüneburger Asse den Unterschied und verwehrten Herrsching ein echtes Happy End. Aus Hausers Sicht überwog dennoch der positive Aspekt, "dass wir nach dem Start nicht komplett umgekippt sind". Kapitän Johannes Tille sah es ähnlich. Die jüngsten Gegner Berlin, Friedrichshafen und Frankfurt seien "zwar sehr stark" gewesen, fand er. "Aber wir haben uns von ihnen auch unterkriegen lassen und nicht gekämpft. Heute haben wir gekämpft, das war wichtig."

Wie viel ein Punkt in dieser Saison wert sein kann, verrät ein Blick auf die Tabelle. Den Vierten Giesen trennt vom Neunten Frankfurt: ein Punkt. Dazwischen hängen neben Herrsching noch Lüneburg, Bühl und Königs Wusterhausen. Herrsching spielt noch gegen Giesen, Bühl und Königs Wusterhausen und hat es damit selbst in der Hand, ob und auf welchem Platz sie die Playoffs der besten Acht erreichen. "Durch sind wir noch nicht", betonte Hauser, "aber ich mache mir weniger Sorgen als vor dem Spiel".

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