Volleyball:"Die Leute sollen den Schweiß riechen"

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Max Hauser, Trainer und Initiator des wundersamen Herrschinger Aufstiegs, über das Neuland erste Liga, Volleyball-Hooligans, die Wichtigkeit unbeliebter Spieler und die Botschaft, der "Geilste Club der Welt" zu sein

Interview von Sebastian winter

Ein türkisches Café am Goetheplatz. Max Hauser kommt herein und sagt zu der Frau hinter dem Tresen: "Bir çay lütfen." Sofort bekommt der 30-Jährige einen Tee. Der Trainer des Volleyball-Erstligisten TSV Herrsching wohnt mit seiner Freundin in dieser quirligen Ecke Münchens, er ist hier Stammgast. Die paar Brocken Türkisch hat er sich in diversen Volleyballcamps in der Türkei angeeignet. Nun erzählt der Sportlehrer über den kaum fassbaren Aufstieg des Klubs vom Ammersee, der am Samstag (19.30 Uhr) in Rottenburg seine Bundesliga-Premiere feiert.

SZ: Herr Hauser, gleich zum Wesentlichen: Darf man sich als Volleyball-Erstligist "geilster Klub der Welt" nennen?

Max Hauser: Das machen wir ja, seit wir in der Landesliga sind. Und jeder, der damit ein Problem hat, hat das Prinzip nicht verstanden. Uns unterstellen manche Klubs, wir bestehen nur aus Gaudi. Ich unterstelle anderen, dass sie nur aus total aufgesetzter Professionalität bestehen. Kein Klub aus der ersten Liga, wirklich keiner, würde da einer richtigen Überprüfung standhalten. Und wir können uns doch nicht hinstellen und sagen, wir sind der "geilste Klub der Welt", und das völlig ernst nehmen. Da wären wir dann doch zu angreifbar. Das ist ein Marketing-Instrument. Und letztlich sollte man nicht vergessen, dass das nur Volleyball ist. Unterhaltung, nicht mehr.

Welche Ziele hat Herrsching in der ersten Liga - nur unterhalten?

Mein sportliches Ziel ist der Nichtabstieg, die Mannschaft hat intern das Ziel ausgegeben, weiter vorne zu landen. Außerdem wollen wir im Pokal-Achtelfinale gegen Berlin zwei Sätze gewinnen. Und dann gibt es soziale Ziele: Wichtig ist, dass wir uns bei den Heimspielen auf eine gewisse Art und Weise präsentieren. Das heißt, selbst wenn wir ein wichtiges Spiel 0:3 verlieren, müssen wir alles getan haben, um das zu verhindern. Dann werden die Fans uns alles verzeihen. Wir werden sofort nach dem Abpfiff alle auf die Tribüne gehen, es darf keiner vorher duschen. Die Spieler müssen schwitzend da rauf, die Leute sollen den Schweiß riechen, das ist uns wichtig. Denn das schafft Identifikation. Unsere 50 Ultrafans sind eh treu, auch wenn wir verlieren.

Ultras gab es im deutschen Volleyball noch nie: In Herrsching haben sie vergangene Saison allerdings nicht nur Stimmung gemacht, sondern posierten in der Halle gern mit nackten Oberkörpern. Beim Derby in Grafing soll es Sachbeschädigungen in der Halle gegeben haben.

Ach, das war mal eine negative Sache, aber auch ein bisschen aufgebauscht. Grundsätzlich sind die total harmlos und friedlich. Mein Gott, das sind Gymnasialschüler, achte Klasse. Wenn man da jetzt einen Fußball-Hooligan im Kopf hat, ist man ganz schön falsch gestrickt. Und wenn ich auf die Tribüne gehe und sage, sie sollen still sein, dann sind sie still. Das schaffe ich in der Nordkurve bei den Sechzigern nicht.

Volleyball-Boom: Kann man die Situation in Herrsching so auf den Punkt bringen?

Wir haben einen Run auf die Tickets, das ist brutal. Für unser erstes Heimspiel und das Pokalspiel gegen Berlin sollte man sich die Eintrittskarte dringend im Vorverkauf holen. Und wir stellen in der Halle alles um: Die Spielerbänke kommen zu den Zuschauern, auf der anderen Seite gibt es eine Gegengerade, und vor und hinter den Spielfeldenden entstehen noch kleine Tribünen. Das wird einmalig, dass auf so engem Raum so viele Leute sind. Alles für den Heimvorteil. Also ich würde nicht gerne gegen uns spielen.

Haben Sie gar keine Angst vor der Liga?

Mit Sicherheit haben wir einen ordentlichen Respekt. Wir haben gegen einige der schwächeren Erstligateams schon bei den Vorbereitungsturnieren gespielt, und ich fand sie alle sehr stark. Ob nun Rottenburg, Königs Wusterhausen, Coburg/Grub, Dresden oder Lüneburg. Leider gibt es keine schwache Mannschaft. Unser großer Vorteil ist, dass sich bis auf unseren Zuspieler Tobias Neumann jeder verletzen kann. Bis auf ihn könnte ich jeden Spieler ersetzen.

Sie gelten mit 30 Jahren als Urvater des Herrschinger Erfolges, die Mannschaft ist mit Ihnen als Spielertrainer viermal in Serie aufgestiegen, von der Bayernliga in die erste Liga. Jetzt spielen Sie gegen Berlin oder Friedrichshafen. Wie geht das?

Das ging Stück für Stück. Ich habe eine Jugend in Herrsching etabliert, das ist das große Grundgerüst. Sie kommen aber nur, wenn das Training gut ist. Das ist der zweite Punkt. Ich habe dafür gesorgt, dass das Training qualitativ drei Ligen höher angesiedelt ist als die Spielklasse, in der man spielt. Außerdem muss man immer ein oder zwei Jahre vorausdenken. Jetzt bin ich, um ehrlich zu sein, schon im Jahr 2018.

Sieben Ihrer Spieler haben Profi-Erfahrung, die meisten anderen haben mit Ihnen noch in der Bayernliga gespielt. Fast alle kommen aus München und dem Umland. Herrsching hat mit einem Mini-Etat von 300 000 Euro neben Zuspieler Neumann aus Moers den australischen Nationalspieler Luke Smith verpflichtet und von Erstligist Coburg Daniel Malescha. Wie fängt man solche Spieler ein?

Luke Smith war letztes Jahr mit seiner Mannschaft auf der Wiesn und dann mit ein paar Mädels bei unserem Spiel. Er fand es total krass, dass in der zweiten Liga so viel los ist, und wollte unbedingt den Ace-Dance lernen, diesen Tanz, den unsere Mannschaft nach jedem Ass aufführt. Klingt ja ziemlich einfach.

Wäre er nicht bei dem Spiel gewesen, wären wir nie in Kontakt gekommen. Also ich sage Ihnen, das war die schwerste Arbeit, diese Spieler-Scheiße. Wir waren mit 30 Spielern in Kontakt, Fritz (Teammanager Frömming, d. Red.) und ich. US-Amerikaner für ein Probetraining herzufliegen, haben wir nicht im Kreuz. Und die auf so ein Highlight-Video hin zu kaufen, ist gefährlich. Viel können wir nicht zahlen, aber Wohnungen besorgen und, wie bei Neumann, eine Arbeitsstelle.

Was ist Ihre Trainingsphilosophie?

Ich habe immer alles, was ich im Sportstudium gelernt habe, auf den Verein und das Training umgemünzt. Trainingslehre, Medien- und Kommunikationslehre, Krafttraining, Sportpsychologie. Von meinen Jugendteams habe ich Soziogramme erstellt. Die kommen aus der Kleingruppen-Psychologie und zeigen, wer Außenseiter ist, wer Führungsspieler, und was das für Auswirkungen hat. Ich schwöre darauf und kann das jedem Trainer nur empfehlen.

Wie funktionieren diese Diagramme?

Es gibt die drei Kategorien beliebt, unbeliebt und Neutrum. Das Neutrum ist die interessanteste Position, denn wenn einer der beliebten oder unbeliebten Spieler wegfällt, wird das Neutrum in diese Rolle reingedrängt. Und kommt letztendlich damit nicht klar. Verdammt wichtig ist immer der Unbeliebte. Denn er hält die Gruppe zusammen.

Wer ist Herrschings Neutrum?

Das darf man auf keinen Fall thematisieren, auch nie innerhalb der Mannschaft. Denn das bringt alles durcheinander. Ich habe aktuell keine Soziogramme von meinen Spielern gemacht, aber ich weiß ungefähr, wer welche Rolle spielt. Und das passt alles ziemlich gut zusammen. Zum Beispiel haben Florian Malescha und Thomas Ranner eine spannende Rolle, denn sie sind nicht einfach für die Mannschaft.

Die Bösen also, die Unbeliebten?

Sie sind sehr ehrlich, in jede Richtung. Das verträgt erst mal nicht jeder. Gleichzeitig sind sie superfleißig und haben eine sehr professionelle Einstellung. Ich kann mich hundertprozentig auf sie verlassen. Und sie gehen auf die Barrikaden, wenn einer meint, er muss jetzt nicht ins Training kommen, weil seine Oma Geburtstag hat. Das war in Herrsching bisher nicht so da.

Sind Sie ein autoritärer Trainer?

Klassisch in den alten Mustern ordne ich mich nicht ein, das habe ich der Mannschaft auch so gesagt. Allerdings ist das sehr fies von mir, weil ich auf den zweiten Blick absolut autoritär bin. Ich sage die Dinge freundlich, auch wenn mir etwas nicht passt. Aber wenn ein Spieler nicht darauf hört, dann ist er nicht lange hier. Und wenn ich am Ende der Saison sehe, dass bei einem Spieler 30 Trainingsabsagen stehen, dann brauche ich nicht mehr schauen, ob seine Oma krank war. Das ist dann eine reine Statistik, die mir sagt, der hatte einfach keinen Bock.

Ist das die wichtigste Eigenschaft eines Trainers: sich Respekt zu verschaffen?

Es ist ganz wichtig als Trainer, dass man keinen Mist verzapft. Denn dann verliert man die Autorität. Und man muss die Spieler auch mit Respekt behandeln. Ich kann also einer modernen Mannschaft nicht einfach sagen, wir trainieren diese Woche stupide Aufschlag und Annahme. Ich muss sagen: "Unser nächster Gegner ist uns in allen Belangen unterlegen. Außer im Aufschlag und in der Annahme. Wenn wir da noch hinkommen, dann gewinnen wir es." Die Spieler verstehen das. Und dann machen die das.

Was ist am Samstag gegen Rottenburg entscheidend?

Ich weiß, dass Rottenburg auf die Position fünf (links hinten im Spielfeld) sehr gute Flatteraufschläge macht. Das ist absolut unsere Schwäche. Und darauf habe ich im Training den Fokus gelegt. Das wird das entscheidende Kriterium des Spiels. Wenn die uns da raus schießen, dann gewinnen sie. Wenn wir stabil bleiben, gewinnen eigentlich wir.

Ihre Spielstätte, die Nikolaushalle, ist nur mit einer Ausnahmegenehmigung für die erste Liga zugelassen. Und Sie können dort nur zweimal pro Woche üben. Klingt eher amateurhaft.

Ich darf Ihnen nicht einmal sagen, wo wir überall trainieren. Ich darf sagen, dass wir in Gilching trainieren und in Herrsching. Und dann noch in zwei anderen Hallen, wo wir geduldet werden. Ich stehe oft vor der Frage: Wo trainieren wir jetzt? Für mich ist das kein Problem, ich habe ein gutes Netzwerk. Von außen betrachtet finde ich das aber krass lächerlich. Letztendlich brauchen wir eine Heimat. Und eine Heimat ist eine Halle.

Leidet auch die Jugend darunter?

Wir haben gerade mal drei Hallenzeiten für die Jugend beim TSV. Ich wüsste gar nicht, wo die vier Schul-AGs trainieren könnten, die ich initiiert habe. Bei mir am Gymnasium in Gilching sind 40 Kids in der AG. Überall jammern sie, dass die Leute und die Konzepte fehlen, Volleyball-Jugend aufzubauen. Ich stelle mich hin und sage, ich mache das und habe ein Konzept. Aber man muss mir auch die Chance geben. Da ist auch die Politik gefragt, die über die Gelder verfügt.

Sie sagten vorhin, Sie sind schon im Jahr 2018: Wie sieht Herrschings Volleyball-Landschaft dann aus?

Die erste Mannschaft spielt am besten erste Liga, hat aber eine stärkere Jugend. Da gibt es auch eine Halle, die 2500 Zuschauer fasst und neun Meter hoch ist (Mindestanforderung der VBL). Das ist kein Hexenwerk, sondern eine normale Halle mit herausziehbaren Tribünen. Wenn es sie gibt, werde ich mich darum kümmern und vielen Sportlern eine Heimat geben. Das Ding verfällt nicht. Und ich möchte am besten neben der Halle wohnen. Das wäre eine Lebensvorstellung, die mir gefällt.

© SZ vom 17.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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