Para-Reitsport:Ein Kopfdrehen genügt

Lesezeit: 3 min

"Das hat mir gefallen, weil ich es nicht als Therapie empfunden habe, sondern als Sport": Elke Philipp kam über das therapeutische Reiten zur Para-Dressur. Nun hofft die 57-Jährige auf einen Platz bei den Paralympics in Tokio. (Foto: Sharon Vandeput/Stefan Lafrentz)

Elke Philipp saß zehn Jahre lang im Rollstuhl. Heute gehört sie zu den besten deutschen Para-Dressurreiterinnen. Für die Pferd International hat sie sich einiges vorgenommen - und auch für danach.

Von Johannes Müller, München

Normalerweise pflegt Elke Philipp, 57, ihre Website mit regelmäßigen Updates aus ihrem Leben. Doch seit vergangenem November hat die Para-Dressurreiterin nichts mehr verlauten lassen. Eine trügerische Stille, denn Philipp war nicht untätig. Nur soll eben die Konkurrenz nicht mitbekommen, was sie während der wettkampffreien Corona-Monate so getrieben hat. "Wenn man unter den Besten ist, gucken die anderen ganz genau hin, das gehört dazu." In ihrem Grade gehört Philipp zur Weltspitze, aktuell ist sie Achte der Weltrangliste. "Da muss man manchmal ein bisschen mit verdeckten Karten spielen", sagt sie lachend.

An diesem Wochenende starten die Para-Dressurreiter bei der Pferd International in München-Riem, und auch Elke Philipp wird dabei sein. Sie sei stolz, in München anzutreten. "Das ist meine Heimat", sagt die Mittelfränkin. Und sie setzt sich ein ambitioniertes Ziel: "Unter die ersten Drei will ich in der Championatsaufgabe auf jeden Fall kommen", betont sie.

Elke Philipp wurde ohne Behinderung geboren und lebte die ersten 20 Jahre ihres Lebens ohne Einschränkungen. Dann erkrankte sie schwer an einer Hirnhaut- und Kleinhirnentzündung. Seitdem ist sie linksseitig spastisch gelähmt und sehr rumpfinstabil, was eine Rumpfrotation unmöglich macht. Zudem ist die Tiefensensibilität ihrer Muskulatur geschädigt. Wenn sie auf dem Pferd sitzt, spürt Philipp kaum, wo ihre Beine liegen.

Mit Pferden habe sie vor der Erkrankung gar nichts zu tun gehabt, erzählt Philipp. Aber sehr sportlich sei sie gewesen: Basketball, Leichtathletik oder Skifahren gehörten zu ihren Hobbys. Ihr schwerer Krankheitsverlauf fesselte sie plötzlich an den Rollstuhl. In mühsamen Therapien kämpfte sie darum, etwas Beweglichkeit zurückzugewinnen. Vor allem das therapeutische Reiten habe ihr geholfen, sagt sie. "Das hat mir gefallen, weil ich es nicht als Therapie empfunden habe, sondern als Sport." Nach mehr als zehn Jahren konnte Philipp den Rollstuhl gegen Gehhilfen eintauschen.

Philipp lenkt ihr Pferd mit minimalen Gewichtsverlagerungen

Die Begeisterung für Pferde war da längst geweckt. Doch richtig zu reiten lernte Philipp erst, als sie ihren späteren Ehemann Werner kennenlernte. Schnell war ihr sportlicher Ehrgeiz geweckt. Mit starken Leistungen bei ihren ersten nationalen Turnieren überzeugte sie den damaligen Co-Bundestrainer Dirk Mülot, der sie fortan betreute. Es folgten erfolgreiche Jahre, mit Medaillen bei allen großen internationalen Para-Reitsportevents.

Bei der Para-Dressur werden die Athleten in fünf verschiedenen Klassen eingestuft, so genannten Grades - abhängig davon, wie stark sie körperlich eingeschränkt sind. Philipp tritt in Grade I an, also schwerste Behinderung. Sie und ihre Konkurrenz reiten ausschließlich Schritt. Weil ihr Rumpf so instabil ist, könnten sie sich im Trab oder gar Galopp nicht auf dem Pferd halten.

Elke Philipp lenkt ihr Pferd daher nur mit minimalen Gewichtsverlagerungen. Will sie eine Volte reiten, dreht sie ihren Kopf; soll ihr Pferd zum Stehen kommen, spannt sie ihren Körper an, indem sie ihre Atmung variiert. "Je weniger man bei mir sieht, desto besser ist die Kommunikation zwischen mir und dem Pferd", sagt Philipp. Pferd und Reiter müssen höchst sensibel für die Bedürfnisse des anderen sein. Eine derart enge Bindung herzustellen, braucht Zeit. Nach wenigen Monaten könne sie noch nicht sagen, ob sie mit einem Pferd zurechtkommen werde oder nicht, sagt Philipp. "Wir arbeiten länger zusammen, um diesen Erfolg zu haben."

Eine Einzelmedaille in Tokio ist ihr großer Traum

2018 starb Elke Philipps Mann an Krebs, eine Zäsur nicht nur im Privatleben der Reiterin. "Wir haben Tag und Nacht zusammengearbeitet, mein Mann und ich. Da ist ein richtig massiver Bestandteil von mir weggebrochen." Sie gibt zu, dass sie Selbstzweifel plagten, ob sie das alleine schaffen würde. Ihr Mann hatte ihr viel Organisatorisches abgenommen und nicht zuletzt das Wohnmobil gefahren, mit dem sie zu Wettkämpfen reisten. "Ich hätte das Reiten wahrscheinlich aufgegeben, wenn mein Mann mir nicht gesagt hätte, ,reit' weiter'."

Elke Philipp ritt weiter. Seit Oktober 2020 trainiert sie wieder gemeinsam mit Dirk Mülot am Olympiastützpunkt im westfälischen Warendorf. Auch das Wohnmobil fährt sie inzwischen selbst. Bei der Pferd International wird Philipp mit ihrem zweiten Pferd, dem elfjährigen Hengst Fürst Sinclair starten. Für die beiden geht es vor allem um die Qualifikation für die Paralympics in Tokio. Elke Philipp träumt davon, dort eine Medaille in den Einzelwettbewerben zu holen, die sie in Rio 2016 knapp verpasste. In Riem wird zudem die internationale Konkurrenz zu Gast sein, mit der sie sich aufgrund des Coronavirus ein Jahr lang nicht messen konnte. Der Nervenkitzel sei deshalb etwas größer als sonst, "weil wir alle nicht genau wissen, wo wir stehen", sagt Philipp. Höchste Zeit also, die Karten aufzudecken.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: