Sport:Athleten in der Prärie

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München ist eine komplizierte Sportstadt - dieses Gesetz spüren vor allem die Vereine hinter dem FC Bayern und TSV 1860.

Gerald Kleffmann

Josef Niedermair ist begeisterungsfähig, das zeigt sich nach wenigen Sekunden. Kommt der 49-Jährige auf seinen Verein, den SV Siegfried Hallbergmoos, und insbesondere die dortigen Ringer zu sprechen, ist er kaum zu bremsen. ,,Das müssen Sie gesehen haben'', schwärmt Niedermair dann, ,,wir haben nur Weltklasseathleten, alles Welt- und Europameister, die Dreifachhalle ist oft gut besucht, die Stimmung toll, bei uns geht die Post ab.''

Erfreulich ist das für den Erstligisten, wenngleich eine Sache Niedermair schon betrübt. Außer in der Welt der Ringer bekommt kaum jemand die Heimspektakel mit. ,,Wir sind wie Tauberbischofsheim im Fechten oder Gummersbach im Handball'', sagt der Vereinschef und betont: ,,Beim Ringen erlebt man die Wurzeln des Sports. Wir hätten mehr Aufmerksamkeit verdient.''

Mit diesem Los ist Niedermair nicht alleine. Die meisten Vereine, die im Münchner Raum Sport auf Spitzenniveau durchführen, vermissen einen ihnen gebührenden Zuspruch. Es ist die alte Klage, mit dem immer selben Inhalt: Der Fußball absorbiere alles, Fans, Sponsoren, Medien, Nachwuchs.

Einerseits stimmt das, der FCBayern und der TSV 1860 sind dominant und schöpfen die für den Spitzensport notwendigen Ressourcen weitgehend ab. Andererseits lassen sich viele Klubs trotzdem nicht davon abhalten, ihr Bestes zu versuchen. Und das ist gut so. Für die Sportler, die Macher und die Besucher - wenn sie mal vorbeischauen.

Mit Stadtplan zum Spiel

Fakt ist: Wegen Menschen wie Niedermair gibt es ihn an vielen Orten, den Spitzensport in Stadt und Region, man muss nur suchen und genau hinsehen, oft mit der Lupe. Bisweilen versteckt er sich wie ein scheues Wesen, in tristen Schulturnhallen, verwinkelten Stadtvierteln und abseits von S- und U-Bahnlinien. Wer die Bundesliga-Badmintonspieler des TSV Neubiberg-Ottobrunn anfeuern möchte, muss einen Stadtplan zur Hand nehmen oder auf der Klubhomepage das Navigationsprogramm starten.

Ähnliches gilt für die Anfahrtswege zu den Hockey-Vereinen Rot-Weiß (dort spielt Weltmeister Philipp Crone) und MSC, deren Strecken ähnlich Besucher-unfreundlich sind. Ohne Automobil ist man fast aufgeschmissen. Auch die Kickerinnen des FCBayern kennen dieses Leid. Man fährt mit der S-Bahn bis Aschheim, läuft eine halbe Stunde durch eine Gegend schön wie Nebraska - schon ist man da.

Glücklicherweise aber ist der Mensch anpassungsfähig, und so existieren nicht nur jammernde Vereinssportler. Viele versuchen, sich mit ihrem Schattendasein zu arrangieren und verwandeln ihre Energie wie zum Trotz in Erfolge. Großhaderns Judokas kämpfen seit Jahren um den Titel des deutschen Meisters, die Footballerinnen der Munich Cowboys sind es gerade geworden.

Die Basketballerinnen des MTSV Schwabing bereichern auch in dieser Saison die höchste Spielklasse, Basket versucht mit den Männern in der zweiten Liga erstmals sein Glück, bezeichnenderweise in einer drittligawürdigen Halle. Und beim Volleyball-Erstligisten TSV Unterhaching zeigen sie, dass selbst in einer kleinen Gemeinde Spitzensport möglich ist.

Die Liste fähiger Mannschaften und Vereine ließe sich fortsetzen, so dass der Eindruck entstehen könnte, die Klage mit dem Fußball, der alles erdrücke, sei übertrieben und ungerechtfertigt. Sie ist beides nicht, nur lässt sich die oft geübte Generalkritik nicht pauschal übertragen, nicht bei jedem Verein klingt sie plausibel.

Stets gibt es Ursachen, warum hier der erstklassige Sport funktioniert, dort aber nicht, und nicht immer ist der Fußball Schuld. Der FC Bayern hätte die Möglichkeit, seine Basketballer bis in die oberste Spielklasse aufsteigen zu lassen, erlaubt es bisher jedoch aus vereinspolitischen Gründen nicht.

Das Münchner Eishockey kreist seit Jahren um das immer gleiche Thema: Was will man eigentlich erreichen? Der einstige Vorzeigetennisklub Iphitos hat aufs Nachwuchskonzept umgeschult und ist bundesweit chancenlos. Die Schwimmvereine sind zerstritten und blockieren sich gegenseitig. Es gibt weitere solcher Beispiele.

München, bleibt als Fazit, ist eine komplizierte Sportstadt, und nur wer die Stadt mit ihren Menschen und dem riesigen Freizeitangebot kennt, versteht, warum es die nichtfußballspielenden Vereine im Wettkampfsport schwer haben.

Internate fehlen

Dabei, es gab sie ja mal, die wirklich goldenen Zeiten, Zeiten, in denen München sportlich Maßstäbe setzte und nicht nur Mitläufer war. Man denke an die Handballer und Milbertshofen, die Volleyballer und Lohhof, die Basketballer und Lotus. Nur: ,,Das ist ewig her, seitdem ist kaum etwas passiert'', sagt Ulrich Hager. Der Abteilungsleiter der FC-Bayern-Turner ist schnell in seinem Element, wenn es um das Erbe der goldenen Zeiten geht. ,,Die nacholympische Lösung fehlt immer noch komplett'', regt er sich auf, ,,die Stadt hat nie eine Politik für den Wettkampfsport betrieben.'' Leistungszentren gebe es zu wenige, Internate fehlten ganz, sagt Hager, so könne nur schwerlich etwas gedeihen.

Hager weiß, wovon er spricht. Obwohl seine Turnmannschaft traditionell Weltklasseathleten vorweist, ,,kamen stets nur 150 Zuschauer zu den Kämpfen''. Hager war das zu wenig. Er dachte nach und fand eine wohl einzigartige Lösung: Nicht der Fan kommt zum Sportler - sondern der Sportler zum Fan. ,,Wir gehen in die Prärie und haben dort wenigstens 500 Zuschauer'', schildert er. Schliersee, Miesbach, Haar, Planegg, Unterhaching, ,,wir turnen da unsere Erstligakämpfe, wo uns Vereine sehen wollen.'' Ungewöhnlich ist dieser Schritt, zumal nicht irgendeine Purzelbaumtruppe übers Land tingelt.

Jewgeni Sapronenko und Marcel Ngyuen zählen zur internationalen Elite. Wer sich nun fragt, wie sich die bescheiden ausgestattete FCB-Turnabteilung solche Sportler leisten kann, dem antwortet Hager: ,,Die kriegen 300 bis 400 Euro im Monat, mehr nicht.'' Für die Turner wiederum besteht die Gegenleistung in der Wettkampfpraxis, die sie sammeln können.

Die Dimensionen sind eben verschoben, stets zugunsten des Fußballs, wo Viertligakicker mehr verdienen und größere Schlagzeilen erhalten als Olympia-Medaillengewinner Sapronenko. An dieser Konstellation wird sich wenig ändern, sofern Vereine nicht eines beachten: ,,In München muss man es entweder erstklassig machen - oder gar nicht.'' Wilfrid Spronk sagt das. Als Geschäftsführer des Olympiaparks weiß er um die Gültigkeit dieses Gesetzes wie kein Zweiter.

Weinmesse und Weltcup

Viele Jahre hatten Bayern und Sechziger ihre Heimat im Olympiastadion, nach dem Umzug des Fußballs in die Arena musste Spronk feststellen: ,,Das war ein gravierender Einschnitt, finanziell und besuchermäßig.'' Um diese Lücken halbwegs aufzufangen, präsentiert der Olympiapark inzwischen Ereignisse wie den Langlauf-Weltcup und die Weinmesse.

Die Hoffnung, dass Erstligasport dauerhaft in sein Reich zurückkehrt, hat Spronk indes nicht ganz aufgegeben. ,,Es gäbe in der Stadt noch Platz für ein, zwei Mannschaften, vielleicht im Handball und Basketball'', glaubt er. Mut macht ihm der Handball-Supercup kürzlich in der ausverkauften Olympiahalle oder der Wunsch der Deutschen Basketball Liga, München als Spielstätte mit eigener Mannschaft wieder aufzubauen.

,,Aber das ist noch ein langer Weg dahin'', sagt Spronk und macht eine Pause. ,,Es gibt kein Patentrezept.'' Nicht für München, diese komplizierte Sportstadt.

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