Spezieller Unterricht:Deutsch lernen mit Blibb

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An den Grund- und Mittelschulen läuft derzeit ein Projekt, das zum Ziel hat, die Sprachkompetenz der Kinder zu verbessern und sie zu ermutigen, höflich und in vollständigen Sätzen zu reden

Von Melanie Staudinger

Barbara blickt zur Tafel und sagt bestimmt: "Ich glaube, er will erklären, wie man einen Satz verstehen kann." Dort hängt das Seifenblasenschweinchen Blibb, eine Mischung aus Meerschweinchen und Wasserschwein. Über das Klassentier der 1b der Alfonsschule hat Lehrerin Barbara Stange del Carpio eine Sprechblase gemalt. "auf, Baum, fressen, Nüsse" steht da geschrieben. Ein Wortspeicher, der präsentiert, worauf es ankommt. Buchstaben und Wörter haben die Kinder in ihrem halben Jahr an der Schule schon viele gelernt. Jetzt sind ganze Sätze dran. Oben auf der Tafel prangt der Satz des Tages: "Memo ist auf dem Baum und frisst Nüsse." Die Schüler erkennen schnell, worauf es ankommt. Punkt, sagt Naijla. Die Lehrerin schaut streng. Das Mädchen weiß sofort, was nicht stimmt: "Wenn man einen ganzen Satz gemacht hat, macht man einen Punkt."

Grammatikunterricht in der 1b der Alfonsschule: Lehrerin Barbara Stange del Carpio übt mit ihren Schülern, wie sich ganze Sätze einfach bilden lassen (Foto: Alessandra Schellnegger)

Was wie ein lockeres Spielchen im Unterricht daherkommt, hat einen durchaus ernsten Hintergrund. Immer mehr Kinder an Münchens Grund- und Mittelschulen haben eine andere Muttersprache als Deutsch. In den ersten bis vierten Klassen hat jedes zweite der 22 440 Kinder einen Migrationshintergrund, bei den Mittelschülern liegt der Anteil gar bei 78 Prozent. Und auch bei deutschen Schüler verkümmert die Sprache zunehmend: Wer den Großteil des Tages vor der Glotze hängt, rudimentäre Nachrichten in sozialen Medien verschickt oder im Internet surft und zockt, der verlernt eine angemessene Kommunikation. Das staatliche Schulamt beobachtet diese Entwicklung mit Sorge und hat deshalb heuer erstmals ein Jahresmotto ausgerufen, ein Projekt an dem sich alle 134 Grund- und 44 Mittelschulen beteiligen.

Kleine Hilfen für die Aussprache: Mit Bildern und Spielzeugen wie dem Seifenblasenschweinchen Blibb lernt es sicht leichter. (Foto: Alessandra Schellnegger)

"Sprachsensibler Unterricht" heißt das Vorhaben. Der etwas sperrige Begriff soll für die Tatsache sensibilisieren, wie wichtig Sprache im Alltag ist, welch bedeutende Vorbildfunktion Erwachsene haben. Das Projekt soll der Sprachlosigkeit entgegenwirken, die entsteht, wenn zentrale Worte im Wortschatz fehlen. Und es soll den Kindern zeigen, dass man mit Höflichkeit und Freundlichkeit durchaus etwas erreichen kann und nicht nur mit Rumgepolter, wie es der neue US-Präsident Donald Trump oder türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan beinahe täglich in den Nachrichten vormachen.

Wie gehen wir eigentlich mit unserer Sprache um? Zu diesem Thema coacht Sybille Maiwald Münchner Schulleiter. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Wie genau sprachsensibler Unterricht aussehen kann, erfahren die Schulleiter bei Studienseminarleiterin Sybille Maiwald. An einem Mittwoch ist sie in die Aula der Grundschule an der Alfonsstraße gekommen, im Gepäck zahlreiche Bücher und eine dicke Power-Point-Präsentation. Sie steht vor keiner leichten Aufgabe, schließlich muss sie gleich vor mehreren Dutzend kritischen Rektorinnen und ein paar wenigen Rektoren sprechen. Sie wolle Impulse geben, für einen bewussteren Umgang mit der Sprache werben. Das Publikum ist ein kritisches. Denn viele Schulleiter kämpfen im Alltag zunächst damit, dass immer mehr Kinder überhaupt kein Deutsch sprechen, dass sie etablierte Verhaltensnormen, etwa das Grüßen am Morgen oder das Entschuldigen bei Verspätungen nicht kennen.

Maiwald berichtet von "ganz normale Gespräche unter Jugendlichen", darüber, dass es manchmal so scheint, als gehörten Beleidigungen zum üblichen Umgangston - und unvollständige Sätze. "Kann ich Schere", habe einmal eine Zweitklässlerin zu ihr während eines Unterrichtsbesuchs gesagt. Und ein Drittklässler entschuldigte sein Zuspätkommen mit den Worten "Wir mussten Norma!" Maiwald erzählt: "Ich dachte zuerst, er spreche von einer Frau, dabei meinte er den Billigsupermarkt." In einer Zeit der Superlative, in der alles gleich "meganervig", "supercool" oder "brutal nett" ist, müssten Pädagogen ihre Sprache bewusst zurückfahren, empfiehlt die Lehrerin. Fachsprache lasse sich mit Wortspeichern gut vermitteln.

Dazu zählt auch Blibb, das Seifenblasenschweinchen von der Alfonsschule, das jeden Tag die wichtigsten Worte benennt. Lehrerin Stange del Carpio lässt ihre Schüler nicht stur Vokabeln lernen. Immer wieder fordert sie die Kinder, die im Halbkreis auf dem Boden sitzen, auf, an der Tafel etwas zu zeigen. Wer sich bewegt, merkt sich Dinge besser. Die Kinder beherrschen zudem Gebärdenzeichen. Das hilft vor allem denjenigen unter ihnen, die nicht so gut Deutsch sprechen, denn so verinnerlichen sie die Laute mit verschiedenen Sinnen. Italienische Kinder würden so den Unterschied zwischen e und i, arabisch stämmige zwischen o und u besser erkennen. "Unsere Kinder sind so vielfältig, dass wir uns immer wieder neue Dinge einfallen lassen, um sie zu fördern", sagt Stange del Carpio. Das Projekt des Schulamts setze aber noch einmal einen ganz neuen Fokus.

© SZ vom 17.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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