Sommer des Protests:Politik auf der Straße

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Zehntausende demonstrieren gegen Hetze und Polizeigesetze

Von Dominik Hutter

So mancher Anti-Atomkraft-Veteran der Achtzigerjahre dürfte mit feuchten Augen durch den Sommer gegangen sein, einige fühlten sich schon an die nicht immer schönen Szenen am Zaun von Wackersdorf erinnert. 2018 war aus der Demonstrantenperspektive so viel los auf den Münchner Straßen, dass einer der Organisatoren schon von einem "Sommer des Widerstands" sprach - der dann trotz starker Stimmenverluste mit einer bürgerlich-ländlichen Landtagskoalition unter eben dem CSU-Ministerpräsidenten endete, der zuvor zu den Hauptadressaten der Proteste gehört hatte. Immer mit dabei - und den gab es in den Achtzigerjahren so noch nicht: der Hashtag, der beim Verabreden und Kommunizieren über soziale Medien hilft. #nopag, #ausgehetzt und #ausspekuliert hießen die Bündnisse, die gleich mehrmals eine fünfstellige Zahl an Protestlern auf die Straße brachten.

Wer keine Vorstellung hatte, was das Schlagwort "nopag" wohl bedeutet, wurde spätestens im Mai darüber in Kenntnis gesetzt. Am 10. Mai, einem Feiertag, gingen rund 30 000 Menschen gegen das neue Polizeiaufgabengesetz auf die Straße, das nach Auffassung der Demonstranten die Befugnisse der Sicherheitskräfte in einem Maße ausdehnt, das dem Rechtsstaat nur schwer bekommt. Rund 90 Organisationen hatten, zusammengeschlossen im Bündnis Nopag, zu der Kundgebung aufgerufen. Start war am Marienplatz, die Abschlusskundgebung am Odeonsplatz.

Gut zwei Monate später, am 22. Juli, folgte mit #ausgehetzt die nächste Großdemo, diesmal gegen die sich immer weiter verschärfende Rhetorik in der Asylpolitik. Nach Meinung des Aktionsbündnisses, das ebenso hieß wie die Demonstration, ging es zwar nicht explizit nur gegen die CSU. Auf den Plakaten waren aber die Konterfeis von Horst Seehofer, Markus Söder und Alexander Dobrindt zu sehen - was die CSU den Demonstranten sehr übel nahm, da sie ihre Führungsspitze persönlich an den Pranger gestellt sah, vergleichbar einem Fahndungsplakat.

In der Folge kam es zu eher dünnhäutigen Reaktionen, die auch in Teilen der CSU heute als Fehler gesehen werden. So legte sich die Regierungspartei mit der Münchner Theaterszene an, forderte gar personalrechtliche Konsequenzen für Kammerspiele-Intendant Matthias Lilienthal, der die Demo öffentlich unterstützte. Aus demselben Grund boykottierte der damalige Bürgermeister Josef Schmid die offizielle Veranstaltung zur Vertragsverlängerung von Christian Stückl, dem Intendanten des Volkstheaters. In der Folge solidarisierte sich Martin Kušej vom Residenztheater demonstrativ mit den Kollegen. In der Nacht vor der Ausgehetzt-Demo plakatierte die CSU in aller Eile gegen die Veranstaltung - was bei deren Sympathisanten eher Heiterkeit hervorrief.

Aber auch danach noch ging es weiter, unter anderem mit Demos gegen Mietwucher (#ausspekuliert) oder "Wehret den Anfängen" gegen den Rechtsdrall in der deutschen Politik.

© SZ vom 27.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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