Skandal nach TV-Bericht:Quälereien im Pflegeheim

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Überfordertes Personal, chaotische Arbeitsabläufe und misshandelte Bewohner: Vor gut vier Monaten hat ein TV-Beitrag die Zustände im Münchner Pflegeheim St. Josef aufgedeckt hat. Nun schildert ein Bericht, was schiefgelaufen ist - und welche Konsequenzen gezogen wurden.

Von Andreas Glas, München

Die Aufnahmen, sagt Siegfried Benker, beschäftigen ihn bis heute. Zum Beispiel die Szene, in der eine alte Frau kraftlos neben ihrem Bett liegt - und die amüsierte Pflegerin erst mal Fotos mit ihrem Handy macht, bevor sie der Frau hilft. Oder die Bilder eines Pflegers, der einen demenzkranken Mann grob in sein Bett stößt. Gesehen hat Benker all das in einer RTL-Sendung, deren Reporterin mit versteckter Kamera im Pflegeheim St. Josef gefilmt hatte.

Viereinhalb Monate ist die Ausstrahlung her, viereinhalb Monate ging der Geschäftsführer des städtischen Altenheimträgers Münchenstift der Frage nach, wie es zu den Misshandlungen kommen konnte. Nun stehen die Ergebnisse fest - und bestätigen weitgehend die RTL-Recherchen: Im St.-Josef-Heim war das Personal überfordert, die Arbeitsabläufe chaotisch, die Personalplanung schwach. So jedenfalls lässt sich ein Bericht des Sozialreferats interpretieren, den der Stadtrat an diesem Donnerstag behandelt. Er schildert chronologisch, was im St.-Josefs-Heim schiefgelaufen ist.

Filmaufnahmen in Pflegeheimen
:"Das war Misshandlung"

Ein Pfleger zerrt einen alten Mann aus dem Bett: Solche Bilder aus dem Münchner Pflegeheim St. Josef waren bei der RTL-Sendung "Team Wallraff" zu sehen. Nun kündigt der Münchenstift-Chef personelle Konsequenzen an. Intern sei das Heim schon länger als Problemfall bekannt gewesen.

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Demnach begann alles im Dezember 2012, lange vor den RTL-Recherchen, als die Heimaufsicht feststellte, dass mehrere Bewohner nicht genug zu Trinken bekamen und deren Wunden schlecht versorgt waren. Als daraufhin das Pflegeteam zum Krisengespräch gerufen wurde, gaben die Mitarbeiter laut Bericht an, "überwiegend überlastet" zu sein. Der Grund: Die 35 Betten im betroffenen Wohnbereich waren restlos belegt, gleichzeitig mehrere Pfleger krankgeschrieben, und ständige Personalwechsel verhinderten, dass sich geordnete Arbeitsabläufe einspielen konnten.

Um die Pfleger zu entlasten, ordnete die Heimaufsicht daraufhin an, frei werdende Betten vorerst nicht neu zu belegen. Die Maßnahme schien zu fruchten: Bei einer Routinekontrolle im März 2013 fand die Aufsicht keinen Grund mehr, etwas zu beanstanden. Doch dann wurde der Neubelegungsstopp aufgehoben, die Betten wieder maximal ausgelastet und es kam erneut zu Problemen - diesmal dokumentiert von der RTL-Reporterin, die im September 2013 eine Woche lang ein Praktikum im St.-Josefs-Heim machte. Sie filmte unter anderem, wie Mitarbeiter die Polizei rufen, weil ein Bewohner starke Blutergüsse unter den Augen hat. Sie hatten den Verdacht, der Mann könnte geschlagen worden sein. Ob das stimmt, ist bis heute ungeklärt, auch der Bericht des Sozialreferats liefert keine Antwort darauf.

Am Tag nach der Ausstrahlung des TV-Beitrags kündigte Benker drei Pflegekräften fristlos. Der nun veröffentlichte Bericht nennt weitere Konsequenzen, die Münchenstift gezogen hat: Die Zahl der Zeitarbeitskräfte wurde reduziert, die Fernsehbilder in allen 55 Wohnbereichen der Münchenstift gezeigt und besprochen, darüber hinaus laufe seit Juli eine Mitarbeiterbefragung, die alle Pflegemängel ans Licht bringen soll. Weil zudem mehrere leitende Positionen neu besetzt wurden, erfährt das Team laut Bericht "seit einigen Monaten Kontinuität". Eine Garantie will das Sozialreferat trotzdem nicht geben: Man könne nicht versprechen, dass Fehlverhalten "für die Zukunft gänzlich ausgeschlossen werden kann".

© SZ vom 18.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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