Sieben Gärten in sieben Regionen Europas:Friedens-Botschafterin

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München ist längst Heimat geworden für Masumi Schmidt-Muraki. Sie hat die deutsche Staatsbürgerschaft und sagt: "Jeder muss seinen eigenen Weg finden, in der Fremde Fuß zu fassen." (Foto: Stefanie Preuin)

Masumi Schmidt-Muraki schreibt Bücher über Frauen, die wie sie selbst Ost und West versöhnen. Und sie baut Zen-Gärten in Europas Mitte

Von Martina Scherf

Mitsuko ist 18 Jahre alt und ein schüchternes Tokioter Mädchen, als ihr Vater sie mit einem böhmischen Grafen verheiratet. Es ist das Jahr 1892, Europäer gelten den meisten Japanern als "weiße Teufel mit roten Haaren". Doch der Botschafter des österreichischen Kaisers ist eine gute Partie. Und so folgt Mitsuko ihrem Mann nach Böhmen, wohnt in einem Schloss, bringt sieben Kinder zur Welt und wird schon mit 27 Jahren Witwe. Nach Japan kehrt sie nie zurück.

Masumi ist 24 und eine wissbegierige junge Frau, als sie Japan verlässt. Es ist das Jahr 1968, die Zeit der weltweiten Studentenrebellion. Masumi nimmt das Schiff von Yokohama nach Wladiwostok, dann die Transsibirische Eisenbahn gen Westen, schaut sich alle europäischen Hauptstädte an, bis sie schließlich in Stockholm landet. Sie hat einen Abschluss in Theaterwissenschaften in der Tasche und ist bereit, es mit der Fremde aufzunehmen, was immer diese für sie bereithalten möge.

Heute ist Masumi Schmidt-Muraki 75, sie lebt seit mehr als 40 Jahren in München, ist zum dritten Mal verheiratet, Mutter von drei erwachsenen, sehr erfolgreichen Töchtern, Großmutter und Autorin von einem Dutzend Büchern auf Japanisch. Die liegen aufgestapelt auf dem Wohnzimmertisch, sie selbst hat sich auf das helle Sofa gesetzt. Sie will kein Aufhebens von sich machen. Aber jetzt, da ihr erstes Buch auf Deutsch erschienen ist, freut sie sich doch über den Besuch einer Journalistin. Und die west-östliche Friedensbotschafterin hat ja auch noch viel mehr zu erzählen als die Geschichte von Mitsuko Coudenhove-Kalergie, von der ihr Buch handelt.

"Ich wollte die Gräfin entmystifizieren", sagt Schmidt-Muraki. Sie ist eine kleine Frau, die leise spricht. Mit erstaunlicher Akribie hat sie sich über Jahre in die Biografie der Mitsuko vertieft, die aus dem gleichen Tokioter Stadtteil stammt wie sie selbst. Sie hat Archive durchforstet, in Japan, Österreich, der Schweiz, Tschechien und Deutschland, hat Schauplätze der Familiengeschichte besucht und Zeitzeugen befragt.

"Das Klischee der Madame Butterfly hat mich geärgert", sagt Schmidt-Muraki. Die schöne, arme Geisha aus der Puccini-Oper, die zum Spielball der Männer wird - auf Mitsuko passt es rein gar nicht, sagt die Autorin, obwohl es in früheren Darstellungen kolportiert worden sei. Sie wollte da etwas zurechtrücken, auch im eigenen Interesse. "Auch ich wurde immer wieder gefragt, ob meine Füße bandagiert seien - dabei lebte ich schon Jahrzehnte lang in Deutschland!", schimpft sie. Nein, das wahre Leben schreibt andere Geschichten. Und so ist ihr Buch "Die Gräfin kam aus Tokyo" (Pilum-Verlag) die Erzählung einer Frau zwischen Anpassung und Selbstbehauptung. "Und ja, ein bisschen hat es auch mit mir zu tun", sagt die Autorin.

Als sie damals in Stockholm ankommt, geht sie an die Filmhochschule, will Drehbücher schreiben, "um meine Schmerzen auszudrücken", wie sie dem verdutzten Rektor erklärt. Sie schwärmt für Ingmar Bergman, den Spezialisten für existenzielle Fragen im Kino. Der Vietnamkrieg, die japanische Regierung, die mit den USA sympathisiert, ihr konservativer Vater, all das hat sie weg von der Heimat und nach Europa geführt. In Schweden hält sie es aber nicht lange aus, auf Empfehlung eines Freundes landet sie in München. Schreibt sich an der Uni ein, lernt Deutsch am Goethe-Institut und jobbt als Kabelträgerin beim Bayerischen Rundfunk, um die Miete für ihre Studentenbude zu bezahlen. Sie heiratet, bekommt eine Tochter, studiert Sozialpädagogik, wird geschieden. Sie unterrichtet Japanisch, heiratet wieder, macht ihr Examen und steht eines Tages allein mit drei Kindern da. "Irgendwie habe ich das alles geschafft", sagt sie und lächelt. Doch als die Mädchen größer sind, wächst ihr Bedürfnis, "endlich etwas für mich zu tun".

Zen-Garten bei Schloss Ronsberg, gestaltet von Masumi Schmidt-Muraki. (Foto: N/A)

Sie beginnt mit dem Schreiben. Und am Anfang steht eine Lebensfrage: Haben meine beiden gescheiterten Ehen etwas mit dem Kulturunterschied zu tun? Wie haben andere Japanerinnen das geschafft?

So entdeckt sie Hana, die im Alter von 14 Jahren den Deutschen Erwin Bälz kennenlernte, er war Leibarzt des Kaisers und Pionier der Tropenmedizin. Sie wurde seine Geliebte, lebte mit ihm 27 Jahre in Tokio, bevor sie nach Deutschland übersiedelten. Die Deutschen, schrieb sie in ihr Tagebuch, lächeln kaum, sie erschienen ihr hart und unnahbar und blieben ihr letztlich fremd.

Dann stößt die Autorin auf Kou Katsuta, die sich in einen Metzger aus der Oberpfalz verliebte und mit ihm nach Bayern durchbrannte - auch deren Geschichte endete traurig.

Schließlich übersetzt sie die Memoiren der Gräfin Mitsuko Coudenhove-Kalergie, und macht sich an deren Biografie. Sie beschreibt den Kulturschock der Japanerin - den Mitsuko erstmals erlebt, als sich ihr Heinrich nach der Ankunft in Furth im Wald ein Bier bestellt und ein Krug gebracht wird, fast so groß wie eine Kinderbadewanne. Aber als Heinrich 1906 stirbt, verwaltet Mitsuko Schloss und Ländereien, auch im Krieg, zieht ihre sieben Kinder auf, arrangiert sich mit den Dorfbewohnern und Adeligen, die es ihr nicht immer leicht machen. Von den Schmerzen der Mitsuko erzählt das Buch; Schmerzen, die man besser nicht nach außen trägt - eine Japanerin muss Haltung wahren. "Es sind die großen und die kleinen Dinge, die das Leben in der Fremde zur Herausforderung machen", sagt Schmidt-Muraki. "Japaner essen rohen Fisch zum Frühstück statt Kaffee und Brötchen. Und sie lächeln, auch wenn ihnen nicht danach zumute ist."

Je mehr die Autorin über die Protagonistinnen ihrer Bücher recherchiert, desto tiefer versenkt sie sich in die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Ein Sohn der Gräfin, Richard Coudenhove-Kalergie, hat 1922 die Paneuropa-Union gegründet. Zwar ist es heute ein recht konservativer Verein - aber dass die Idee eines vereinten Europas in einem böhmischem Dorf geboren wurde, gefällt der Schriftstellerin.

Und damit beginnt ein weiteres Lebenswerk der leisen, aber beharrlichen Frau aus Japan: Sie baut Friedensgärten. Sieben Gärten in sieben europäischen Regionen hat sie bisher gestaltet. Es begann damit, dass sie auf einer ihrer ersten Recherche-Reisen 1989 - kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhangs - in Karlovy Vary, dem einstigen Karlsbad, gelandet ist. "Da waren immer noch Spuren vom Zweiten Weltkrieg zu sehen", erzählt sie, "schrecklich, nach einem halben Jahrhundert." So beschließt sie damals, einen japanischen Zen-Garten zu errichten. Sie sammelt Geld, fertigt eine Skizze an, reist nach Japan und gewinnt einen berühmten japanischen Landschaftsarchitekten für die Gestaltung. Japanische Arbeiter reisen an, 1998 weiht der tschechische Bürgermeister den Garten mit viel Lokalprominenz ein. Er gilt heute als Touristenattraktion in der Stadt.

Seither hat die kleine Frau aus Tokio weitere Gärten geschaffen, in Furth im Wald, in Gstaad in der Schweiz, in Mödling bei Wien - alles Orte, an denen die Frauen, deren Geschichten sie erforschte, gewohnt haben. Einer entstand in Sopron, Ungarn, "wo im Sommer 1989 der Eiserne Vorhang durchschnitten wurde". Einer in Mecklenburg-Vorpommern.

Vor zwei Jahren wurde ihr Zen-Garten im tschechischen Pobežovice eröffnet. Der lag ihr besonders am Herzen, denn dort befindet sich Schloss Ronsperg, das Schloss der Familie Coudehove-Kalergie. Die Rettung dieses Schlosses ist ihr nächstes Ziel. Sie sammelt Geld, überzeugt Kulturverantwortliche in der Region und in der Europäischen Union. Ein Verein gründet sich, gemeinsam mit einer jungen Tschechin treibt sie das Projekt voran.

Die Japanerin mit deutschem Pass tut das alles freiwillig und unentgeltlich. Für ihren ganz individuellen Beitrag zur Völkerverständigung hat ihr der japanische Botschafter in Berlin vor einiger Zeit den Preis des Außenministers verliehen. Sie erwähnt das gar nicht, aber vermutlich war sie doch ein wenig stolz an jenem Tag. Seit vielen Jahren ist ihr dritter Ehemann dabei, als Fotograf, Begleiter bei den Lesereisen mit ihrem jüngsten Buch und neuen Projekten - denn die schwirren immer in ihrem Kopf herum.

Yin und Yang, Japan und Europa, Vergangenheit und Gegenwart begegnen sich in ihren Gärten. "Rund müssen sie sein", sagt die Friedensbotschafterin, "denn der Kreis ist ewig, er ist weiblich und friedlicher als ein Rechteck. Oder haben Sie schon mal eine runde Kaserne gesehen?"

© SZ vom 04.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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