Sicherheitslage im öffentlichen Verkehr:Seltener, dafür brutaler

Lesezeit: 2 min

Während das Innenministerium auf rückläufige Kriminalitätsraten im öffentlichen Verkehrssystem in München verweist, spricht die Polizei von einem neuem Gewaltmuster.

T. Neshitov u. D. Petzold

Sind die öffentlichen Verkehrsmittel noch sicher? Die Frage stellen sich dieser Tage viele Münchner. Spätestens nach dem Prügelüberfall auf den Computerfachmann Mirco B. in der S 1 am vergangenen Samstag scheint sich ein Muster der Gewalt herauszukristalisieren: Betrunkene Minderjährige fallen in Gruppen über Fahrgäste her und treten auf sie ein.

Erhöhte Polizeipräsenz im öffentlichen Verkehr in München ist nicht nötig - zumindest nicht, wenn man den rückläufigen Zahlen von Gewaltverbrechen in U- und S-Bahnen glaubt. (Foto: Foto: dpa)

Kurz vor Weihnachten 2007 erlitt ein 76-jähriger Rentner einen mehrfachen Schädelbruch, Tatort: U-Bahnhof Arabellapark. Am 12. September 2008 prügelten zwei Jugendliche am S-Bahnhof Solln Dominik Brunner zu Tode. Auch der letzte Überfall vom 23. Januar in der S 1 passt ins Muster: Es ist Alkohol im Spiel, die Täter legen eine sinnlose Aggression an den Tag und haben eine extrem niedrige Hemmschwelle.

Die Zahl der Gewaltverbrechen im Münchner öffentlichen Verkehr ist rückläufig

Dabei widersprechen alle Statistiken dem Eindruck, der Öffentliche Personennahverkehr sei gefährlicher geworden. Die Zahl der Gewaltverbrechen, die in den Münchner S-Bahnen, Bussen, U-Bahnen und Trams verübt werden, geht seit Jahren zurück. Zwischen 1999 und 2008 verzeichneten die Behörden einen Rückgang von mehr als zehn Prozent. Noch stärker sank die Kriminalitätsrate von 2008 auf 2009: Von Januar bis September 2009 wurden laut Innenministerium 156 Gewalttaten angezeigt; im Vorjahr waren es im selben Zeitraum noch 193 - fast ein Fünftel mehr.

Und das bei stark wachsenden Fahrgastzahlen. Allein in der U-Bahn stieg die Zahl der Passagiere von 2007 auf 2008 um 13 Millionen. Das Risiko, Opfer einer Gewalttat in der Münchner U-Bahn zu werden beträgt also etwa 1 zu 2,5 Millionen: 139 Gewalttaten auf 349 Millionen Fahrgäste. In einer Kundenzufriedenheitsstudie gaben letztes Jahr 95 Prozent der befragten Passagiere an, zufrieden mit der Sicherheit zu sein.

"Neue Qualität der Gewalt"

Was sich in den letzten Jahren verändert hat, ist nicht die Häufigkeit der Überfälle sondern der Grad deren Brutalität. Ein Sprecher der Bundespolizei spricht von "einer neuen Qualität der Gewalt". Immer häufiger seien die Täter betrunken und bereit, nicht nur andere Fahrgäste mit Füssen zu traktieren, sondern auch Polizeibeamten. 2009 zählte die Bundespolizei 69 Widerstandsfälle bei Festnahme, ein Fünftel mehr als im Jahr davor. Außerdem seien minderjährige Ausraster keine Ausnahme mehr.

Polizei und MVG reagieren mit erhöhter Präsenz des Sicherheitspersonalls. Letztes Jahr leisteten Polizeibeamte insgesamt 100.000 Einsatzstunden im MVV-Bereich. Auch die MVG-eigenen Wachen wurden aufgestockt und mit einer sichtbareren Dienstkleidung ausgestattet. Die S-Bahn will in den nächsten zwei Jahren alle noch nicht überwachten Bahnhöfe mit Videokameras ausstatten.

Zuletzt wurden an 21 Bahnhöfen neue Notrufsäulen installiert. Außerdem organisiert die Deutsche Bahn, die Betreiberin der S-Bahn, Präventionsseminare für Schüler. Im vergangenen Schuljahr erhielten 122 Jugendliche das Zertifikat "DB Schülerbegleiter". Das Gefühl der Unsicherheit wird trotzdem bleiben, warnen Kommunikationsforscher.

Die Berichterstattung über blutige Überfälle wird die Leser stärker verunsichern als der Hinweis auf rückläufige Gewaltkriminalität sie beruhigen kann. Zivilcourage bleibt das beste Rezept gegen die eigene Angst. "Ich habe weder Alpträume, noch fühle ich mich als Heldin", schreibt eine junge Journalistin, die beim Überfall auf Mirco B. gegen den Täter eingeschritten ist. "Es klingt banal, doch ich habe einfach funktioniert."

© SZ vom 27.01.2010/tns/dp - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: