Serie über die Not in der Großstadt (14):Die Stadt des schönen Scheins

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Erst Scampi-Spieße, dann eine hübsche Scheckübergabe? Gutsituierte Spender haben die Armut in der eigenen Stadt entdeckt: Die Münchner Society engagiert sich mehr und mehr für sozial Schwache. Maximilianstraße trifft Hasenbergl.

Christian Mayer

Es ist nur ein Zufall, aber doch typisch für eine Stadt, in der die Armut gerne verdrängt wird - in Quartiere am Rande des Wohlstands. Jahrzehntelang gehörte die Thalkirchner Straße 54 trotz der repräsentativen Altbaufassade zu den weniger feinen Adressen der Isarvorstadt; in den Büros verwalteten die Sachbearbeiter menschliche Schicksale von A bis Z.

Bis vor kurzem war in dem Gebäude das Arbeitsamt, dann die Arbeitsagentur untergebracht, die dort ein bürokratisches Mammutprojekt auf den Weg brachte - die Einführung von Hartz IV. Nun steht das Haus vor der Umwandlung in eine Luxusanlage: Die Wohnungen hat der französische Stardesigner Philippe Starck entworfen, die Quadratmeterpreise erreichen mit bis zu 7000 Euro Spitzenniveau, die ersten Promis aus der Unterhaltungsbranche haben sich eingekauft - ein Traum für Investoren.

Die Hartz-IV-Fälle werden jetzt anderswo bearbeitet, und die weniger glamourösen Bewohner der Thalkirchner Straße dürfen sich über interessante neue Nachbarn freuen.

Bedürftig in Bogenhausen?

Oft genug sind die Münchner Verhältnisse beschrieben worden: Die Lebensverhältnisse driften auseinander, die Besserverdienenden rücken in immer neue Stadtteile nach. Weite Teile der Innenstadt sind luxussaniert und somit gentrifiziert, wie das im hochtrabenden Fachjargon heißt. Die Menschen am unteren Ende der Gesellschaft müssen sehen, wo sie bleiben.

Natürlich ist das auch ein Münchner Klischee: Hier die Maximilianstraße mit den Markenboutiquen, den gestylten Großkundinnen, den parkenden Bentleys; dort das Hasenbergl und Neuperlach-Süd als soziale Brennpunkte, wo Jugendliche ohne Perspektive aufwachsen und die Alten resigniert haben.

Mal abgesehen von solchen Zuspitzungen, bei denen stets vergessen wird, dass es eine Mittelschicht gibt, die ihren Standard angesichts hoher Mieten und steigender Lebenshaltungskosten nur mit großer Mühe halten kann: Im reichen München ist das Problem der wachsenden Armut weit weniger sichtbar als in vielen anderen Städten, die selbst pleite sind. Um den Unterschied zu erleben, muss man nur mal einen Tag lang mit der Berliner U-Bahn fahren - im Fünf-Minuten-Takt werden die Fahrgäste von Obdachlosen und Mittellosen höflich um eine Spende gebeten.

Wo treffen sie in München aufeinander, die Gutsituierten und die Schlechtgestellten? Gibt es Berührungspunkte? Hannelore Kiethe wohnt im grünen Bogenhausen, sie kennt beide Welten. Seit 13 Jahren engagiert sie sich für die Münchner Tafel, eine Einrichtung, die Lebensmittel an Bedürftige verteilt. Als Initiatorin des Vereins verfolgt sie die Entwicklung in der Landeshauptstadt mit Sorge: "Die Zahl der Menschen, die von uns Hilfe bekommen, hat enorm zugenommen."

"Die Leute stehen jetzt dazu, dass sie arm sind"

Jede Woche sind es 15 000 Münchner, die auf die Tafel angewiesen sind. "Wir erleben, dass gewisse Schamgrenzen wegfallen, die Leute stehen jetzt dazu, dass sie arm sind." Kiethe empfindet die ehrenamtliche Arbeit als Bereicherung. "Ich komme in Gegenden, die ich vorher nicht kannte. Man muss etwas zurückgeben, wenn es einem gut geht."

Ein schöner Frühlingstag, nachmittags um zwei im Hof der evangelischen Dankeskirche in Milbertshofen: Hier versammeln sich diejenigen, die kaum ihre Miete bezahlen können und oft nicht mal das nötige Kleingeld haben für einen Einkauf im Supermarkt. Mit ihren Berechtigungsausweisen warten Rentner, Arbeitslose, junge Mütter und Familienväter auf die Verteilung. Wer glaubt, dass Armut sofort an der Kleidung erkennbar ist, wird hier eines Besseren belehrt. Viele Leute bemühen sich um ein ordentliches Erscheinungsbild, anderen sieht man ihre Not allerdings deutlich an.

Die Helfer haben ihre Tische mit frischem Brot, Käse, Wurst, Gemüse, Obst und Milchwaren aufgebaut, auch Fertigessen und Süßigkeiten teilen sie aus - aber nicht nur das. Dies ist keine anonyme Abfertigung; erfahrene Vereinsmitglieder wie Bettina Hornung kennen Einzelschicksale und die familiären Verhältnisse ihrer Abnehmer aus vielen Gesprächen.

Man könnte diese Art des Kontakts praktisch angewandte Charity nennen. Wohltätigkeit an der Basis. Im Gegensatz zum Versuch der besseren Kreise, gesellschaftlichen Veranstaltungen eine soziale Note zu verleihen und sie damit zu legitimieren: erst Scampi-Spieße, dann Smalltalk über das nächste Golfturnier am Starnberger See, zuletzt eine hübsche Scheckübergabe im Blitzlicht, getreu dem amerikanischen Motto: Tue Gutes, und rede darüber.

Bei der Münchner Tafel ist das anders. Da packen die Damen selbst mit an, unterstützt von Ein-Euro-Jobbern und den hauptberuflichen Fahrern, die das Essen dorthin transportieren, wo viele Arme leben, in der Blumenau oder im Hasenbergl. Doch die Armut macht auch nicht Halt vor den Inseln des Wohlstands. "Kürzlich haben wir eine Ausgabestelle am Rand von Bogenhausen eröffnet", berichtet Kiethe. Oft reicht ja eine Insolvenz, ein Krankheits- oder Todesfall in der Familie, um von gesicherten Verhältnissen in die Armut abzurutschen.

Lehrstunden in sozialer Wirklichkeit

Inzwischen kann der Verein Münchner Tafel auf eine treue Gruppe von Sponsoren zurückgreifen. Darunter sind nicht nur große Lebensmittelketten, Brauereien, die Großmarkthalle oder der Babynahrungsproduzent Claus Hipp. Die Haus- und Hofieferanten der Society, Feinkost Käfer und Dallmayr, spenden ebenfalls; Michael Käfer etwa finanziert ein Vereinsbüro in der Großmarkthalle. Vielleicht ist es ja auch so, dass die Bedürftigen ein gutes, gesundes Mahl gelegentlich noch mehr schätzen als die stets auf ihre Linie bedachten Gäste aus der Champagnerklasse.

Harriet Austen hat einen anderen Ansatz, um zwischen den Extremen der Stadtgesellschaft eine gemeinsame Basis zu finden. Als Geschäftsführerin des Vereins Lichterkette vermittelt sie Freiwilligenprogramme für Münchner Manager, die mal richtig was erleben wollen. Führungskräfte von Siemens renovieren einen Müttertreff in Moosach und machen Internetkurse für junge Flüchtlinge. Allianz-Mitarbeiter richten gemeinsam mit Jugendlichen einen Aufenthaltsraum in einem Asylbewerberheim ein und beraten ausländische Hauptschüler bei der Berufswahl.

Lehrstunden in sozialer Wirklichkeit sind das, bei denen die Anzugträger auch mal die Ärmel hochkrempeln müssen. Austen glaubt, dass solche Projekte sehr wichtig sind, besonders in einer Kulissenstadt wie München, in der die Armut und Arbeitslosigkeit oft "hinter verschlossenen Türen" verborgen bleiben: "Das Problem springt einem bei uns halt nicht so ins Auge."

Unfein

Längst gilt es in der Münchner Society als unfein, sich nur privaten Vergnügungen hinzugeben, ohne an diejenigen zu denken, für die München keinesfalls die für ihre Lebensqualität gerühmte Stadt ist, weil sie sich keine Opernkarte, keinen Biergartenbesuch, noch nicht mal einen Caffè Latte in der Sonne leisten können. Charity-Projekte für die Bedürftigen in aller Welt, das gab es auch früher, aber jetzt haben die gutsituierten Spender, oft aufgeschreckt von Medienberichten, die Armut in der eigenen Stadt entdeckt.

Rudolph Moshammer mit seinem Engagement für die Münchner Obdachlosen gehörte da übrigens zu den prominenten Vorreitern.

Manche Einrichtungen haben das Glück, von den richtigen Leuten wahrgenommen zu werden. Das Projekt Lichtblick Hasenbergl, das Kinder aus schwierigen Verhältnissen versorgt, kann auf die Unterstützung von Verleger Hubert Burda oder Dallmayr-Chef Georg Randlkofer rechnen; die Homepage finanziert der Unternehmer Peter Eduard Meier. Einige Jugendliche aus wohlhabendem Elternhaus haben bei der Initiatorin Johanna Hofmeir bereits ein Praktikum gemacht: "Da geht es zur Sache, die Praktikanten arbeiten sofort richtig mit in den Jugendgruppen."

Abwechslung im Hasenbergl

Solche Begegnungen können für beide Seiten spannend sein. Einmal sorgte beispielsweise eine Unternehmergattin, die sonst Chefsekretärinnen die richtigen Umgangsformen beibrachte, für Abwechslung im Hasenbergl. Bei den Zehnjährigen aus der Lichtblick-Gruppe kam der altersgerechte Benimmunterricht erstaunlich gut an: Mit großer Freude deckten die Kinder den Tisch, übten sich im höflichen Umgang und lernten, wie man Gäste stilvoll empfängt.

"Ich finde es großartig, wenn sich unsere Unterstützer nicht nur finanziell beteiligen, sondern auch persönlich", sagt Johanna Hofmeir. Dass freiwillige Helfer mit dem gewissen Background Nachhilfe geben, Kochkurse leiten oder Gruppen betreuen, gehört zum Alltag in ihrer Einrichtung.

Vielleicht können die Münchner aus den Wohlstandsquartieren auch einiges lernen von denen, die es nicht so gut haben. Eines erfahren sie mit Sicherheit: die ganze Wahrheit über die Stadt des schönen Scheins.

© SZ vom 28.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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