Serie: Stadt der Frauen, Folge 9:Planen mit vielen Autoren

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Regine Keller sagt: "Fürsorglich, nutzerbezogen zu planen, würde ich als eher weiblich sehen." (Foto: Catherina Hess)

Frauen haben die komplexeren Themen und beziehen eher die Wünsche der Bürger ein - und ihr Anteil wächst, seit der Beruf an Prestige verloren hat. Regine Keller über Geschlechterunterschiede in der Architektur

Interview von Laura Weißmüller

Regine Keller empfängt in ihrem lichtdurchfluteten Büro mitten im Bahnhofsviertel. Die 53-jährige Landschaftsarchitektin dürfte eine der bekanntesten Architektinnen der Stadt sein. Neben der Designerin Saskia Diez wählte man sie als einzige Frau unter die Top Ten der Architekten und Gestalter Münchens.

SZ: Die Architekturwelt ist offenbar männlich. Egal ob man Biennalen besucht, ins Architekturmuseum geht oder mit Bauherren spricht, ganz zu schweigen von den Star-Architekten. Überall sieht man nur Männer.

Regine Keller: Nicht zu vergessen: die Hochschulen. Wir haben an der Architekturfakultät der TU München 28 Professuren, davon sind nur sechs mit Frauen besetzt. Ich war die erste Dekanin der Fakultät. Es gab dauernd den Zustand, dass man in irgendwas die erste war.

Wie sieht das denn in den Hörsälen aus? Studieren mehr Männer als Frauen Architektur?

Nein, eben nicht mehr. Das hat sich radikal verändert. Als ich angefangen habe zu studieren, waren das in der Landschaftsarchitektur vielleicht 60 Prozent Frauen, 40 Prozent Männer. In der Architektur war es etwa umgekehrt. Jetzt gibt es in beiden Fächern eine deutliche Dominanz von Frauen. In der Landschaftsarchitektur sogar so dramatisch, dass wir uns über jeden Mann freuen, der vorbeischaut. Da haben wir 90 Prozent Frauen; in der Architektur sind es geschätzte 75 Prozent.

Wenn so viel mehr Frauen als Männer Architektur studieren, warum bekommt die Öffentlichkeit davon nichts mit?

Es dauert einfach eine Weile, bis sich in einer ganzen Berufssozietät etwas spürbar verändert. Wir haben aber einen absolut wachsenden Anteil an jungen Professorinnen, an Promotionen von Frauen, an Bürogründungen von Frauen, an Stadtbaurätinnen und Verwaltungschefinnen, insofern kommt das automatisch.

Warum entscheiden sich eigentlich immer weniger Männer für ein Architekturstudium?

Dafür gibt es viele Erklärungsversuche, einer ist: Der Architektenberuf hat in den letzten Jahrzehnten enorm an Renommee verloren. Der Architekt - und die Architektin schon gleich gar nicht - ist nicht mehr der Bauende, der das Geschehen beherrscht, sondern das ist der Mensch, der nicht mit Geld umgehen kann, der Bauschäden produziert, Zeiten nicht einhalten kann und verrückte Ideen platziert, um sich selbst zu verwirklichen. Die öffentliche Wahrnehmung des Architekten ist extrem schlecht, dahin strebt kein Mann.

Interessieren sich Frauen in der Architektur denn für andere Themen als ihre männlichen Kollegen?

In der Landschaftsarchitektur ist der Wunsch, gesellschaftsbezogene Themen zu verarbeiten, bei Frauen stärker als bei Männern. Das ist jetzt sehr verkürzt und auch klischeehaft, aber die Tendenz zeigt sich schon in den Arbeiten der Studenten und später auch im Beruf. Fürsorglich, nutzerbezogen zu planen, würde ich als eher weiblich sehen.

Mit Projekten, die Bürger beteiligen, wird man kein Star.

Im Gegenteil. Das erfordert ja gerade, sich selbst zurückzunehmen und den Nutzer, den Kunden oder die Gesellschaft sprechen zu lassen. Böse Zungen behaupten, dass die Leute, die nicht entwerfen können, sich in partizipative Verfahren "retten", weil dann die Allgemeinheit die Gestaltung übernehmen würde, aber das funktioniert nicht. Wir Architekten sind in diesen Verfahren dringend notwendig, weil wir für die Gesellschaft eine Art Sprachrohr sind. Wir sind die Katalysatoren, die dem Ganzen erst eine Form geben.

Frauen beschäftigen sich also eher mit "weicheren" Themen und überlegen, wie sie bei Projekten Bürger beteiligen, während Männer immer noch das singuläre spektakuläre Museum oder Hochhaus entwerfen, mit dem sie berühmt werden?

Ich würde es genau umgekehrt beschreiben: Frauen haben die wesentlich komplexeren Themen. Es ist viel einfacher, seine singuläre Architektur zu platzieren, wenn einem jemand den Platz dafür freigeräumt hat und sich dann da als Star zu verwirklichen, als mit all diesen integrativen Momenten gute Architektur und guten Städtebau zu machen. Frauen widmen sich diesen Themen, nicht, weil sie Multitasker sind, das halte ich für eine Mär, sondern weil der Wunsch, Leute in ein Boot zu holen, bei ihnen stärker ist als bei Männern. Am Ende ergibt das dann ein Produkt, das viele Autoren hat. Da steht nicht R.K. drunter, sondern: das Büro oder der Lehrstuhl oder die Stadt. Das muss man auch aushalten wollen.

In München liegt Stadtplanung schon seit Jahren in weiblicher Hand. Von 1997 bis 2002 war Christiane Thalgott Stadtbaurätin, seitdem ist es Elisabeth Merk. Sieht man das der Stadt an?

Ich würde sagen, man spürt es. Auch, weil Beteiligungsverfahren nun einen größeren Stellenwert haben. Das ist das große Thema von Merk. Mit all den Ups und Downs, die so etwas hat. Denn es ist natürlich viel mühsamer, als wenn ich einen Wettbewerb mache und dann den Sieger baue. Aber die Gesellschaft hat sich verändert. Sie schaltet sich ein, wenn nicht im Wettbewerb, dann danach, das haben zum Beispiel die Pläne für die innerstädtische Isar gezeigt, wo Bürger im Nachhinein den Wettbewerbsentscheid so umgedreht haben, dass der zweite Preis gebaut wurde. Deshalb lassen sich große Areale in München wie das Paulaner-Areal in Giesing nur noch mit Bürgerbeteiligung relativ reibungsfrei im Sinne aller Interessen gestalten. Manche Architekten sehen das nicht so gern, aber mittlerweile haben alle kapiert, dass man die Gesellschaft nicht übergehen kann und dass das schönste Projekt nichts ist, wenn es nicht gebaut wird.

München hat Merk, Berlin hat die Bausenatorin Regula Lüscher. In zwei der wichtigsten deutschen Städte entscheiden also gerade Frauen, was gebaut wird. Zufall?

Beide sind fast gleich alt. Beide hatten eine Vergangenheit in kleineren Städten, wo sie sich in durchaus schwierigen Prozessen qualifiziert haben. Das hat sie vorbereitet für eine Zeit, in der Bürger sich vermehrt Gehör verschaffen. Und auch dafür, Konzepte zu suchen, um mit der immer höher werdenden Dichte dieser Städte auch sozialgerecht umzugehen. Dafür stehen beide. Gleichzeitig hat Lüscher durch die andere politische Konstellation in Berlin noch weniger Gestaltungsspielraum als Merk hier in München.

Dort haben die Stadtbezirke viel mehr Macht. Aber diese Schwäche wird Lüscher immer vorgeworfen, nach dem Motto: Es liege an ihr, dass sie sich nicht durchsetzen kann.

Aber sie hat gar nicht die Stimme dazu! Das unterschätzen manche. Man darf die Systeme nicht vergleichen. Und auch nicht Lüscher mit ihrem Vorgänger Hans Stimmann. Der hat Architekten um sich geschart, die dann für ihn gebaut haben und sich so die Ära Stimmann in Stein meißeln lassen. Das hat eine Christiane Thalgott in der gleichen Zeit nicht gemacht. Ein Stadtteil wie Riem ist wesentlich grüner als ein steinernes Berlin. Das ist eine andere Idee von Stadt.

Wirkt, als würden Frauen doch anders gestalten.

Im Zweifelsfall hat man das Klischee im Kopf, dass sie es weniger autoritär machen. Wenn ich mich zum Beispiel nur hätte selbstverwirklichen wollen, hätte ich in meiner Karriere viele Dinge anders organisieren müssen: Ich bräuchte ein Büro, das nur auf meine Person konzentriert ist und nichts anderes tut, als meine Ideen zu vermarkten. Das erfordert letztlich eine hierarchische Struktur. Vielleicht ist gerade das horizontale Denken etwas, wo man viel mehr Frauen findet.

Wird die Öffentlichkeit denn bald mitbekommen, dass die Architekturwelt eigentliche eine weibliche ist?

Das wird sie, einfach weil immer weniger männliche Architekten nachwachsen. Die entscheidendere Frage aber ist, welche Bedeutung das singuläre Architekturobjekt in der Stadt, mit dem ein Baumeister berühmt wird, in Zukunft noch hat. Das hat es immer dann, wenn eine Gesellschaft sich darin spiegeln will. Wir haben es aber zunehmend mit Situationen zu tun, bei denen es überhaupt nicht um ein einzelnes Objekt geht, sondern um das blanke Herstellen von besseren Lebensbedingungen für die Mehrheit der Menschheit. Das treibt mich viel mehr um als ein Konzertsaal. Wie schafft man gerechte Lebensbedingungen in Städten für Menschen, die kein Geld haben für ein Konzertticket, sondern schauen müssen, wie sie irgendwie ihr tägliches Leben finanzieren?

Eine Frage, mit der sich München lange nicht beschäftigen wollte. Die Flüchtlingsproblematik dürfte das endgültig ändern.

Wenn der Zustrom weiter so anwächst, dann wird sich das auch räumlich eine eigene Form suchen. Ich glaube nicht, dass wir das alles kanalisiert bekommen. Zu Beginn schon, aber wenn wir uns dann nicht ganz schnell ganz schlaue Konzepte überlegen, nicht.

Diese schlauen Konzepte kann sich niemand alleine überlegen. Schlägt jetzt die Stunde der Frauen? Schließlich sind sie offenbar mehr an partizipativen Verfahren interessiert als Männer.

Würde ich auch sagen. Wobei es zunehmend auch junge Männer gibt, die einen anderen Anspruch an ihren Beruf haben. Das sind unglaublich engagierte Leute, die als Teil der neuen Web 2.0.-Gesellschaft anders vernetzt sind und sich ganz anders auf Teamwork einlassen. Das ist ein großer Vorteil der sonst so oft gescholtenen social community.

Letzte Frage: Wer prägt den öffentlichen Raum stärker? Frauen oder Männer?

Das ist vielleicht mal eine komische Frage! Wenn prägen bedeutet, wer prägt das Bild, dann würde ich sagen, es ist immer das Wechselspiel und die Spannung zwischen den Geschlechtern, die den öffentlichen Raum ausmacht. Er ist die Bühne für diese Begegnung. Genau das ist es ja, was den gelassenen öffentlichen Raum so schön macht.

Regine Keller hat zunächst Theaterwissenschaften studiert , bevor sie eine Gartenbaulehre machte und Landschaftsarchitektur studierte. Heute leitet Keller den Lehrstuhl Landschaftsarchitektur und öffentlicher Raum an der TU München, wo sie von 2011 bis 2014 Vizepräsidentin war.

© SZ vom 17.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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