Serben und Bosnier in München:"Er soll sich für seine Verbrechen verantworten"

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Mit Freude haben die Bosnier in München die Verhaftung Karadžic aufgenommen -ebenso wie viele Serben.

Monika Maier-Albang

Als er ihn am Dienstagabend im Fernsehen sah, diesen Mann mit dem schlohweißen Haar und dem Bart bis zum Kinn, sind in Tihomir D. viele Bilder lebendig geworden. "Ich habe sein früheres Gesicht vor mir gesehen, wie er da stand im Parlament und sagte: "Wenn Ihr Krieg wollt, bekommt ihr ihn!" Eine Drohung, die der bosnische Serbenführer Radovan Karadzic an alle Nicht-Serben in Bosnien gerichtet hatte - an Menschen wie Tihomir D.

Serbische Schlagzeilen in München: Die Zeitungen mit der Nachricht von der Festnahme des ehemaligen bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic waren am Mittwoch stark nachgefragt. (Foto: Foto: Robert Haas)

Zwei Monate später schickte der seine Familie über die Berge in Richtung Adria. Zu sechst saßen Frauen und Kinder in dem kleinen Wagen. Sein Sohn war damals 21, im wehrpflichtigen Alter. Er hatte sich rasiert, auf die Rückbank geduckt und ein Kopftuch übergezogen. Trotzdem erkannte der Grenzsoldat sofort, dass da kein Mädchen sitzt. "Er wollte ihn rausfischen, aber dann hat er meine Frau gesehen", sagt Tihomir, "die ihn an der Grundschule unterrichtet hatte." Das Auto durfte passieren.

Die Heimat ist weit weg - und doch so nah

Seit 1992 lebt Tihomir D. nun schon in Deutschland. Er hat Fuß gefasst, hat Arbeit. Er ist einer von rund 16 500 Münchnern, die aus dem Gebiet des heutigen Bosnien-Herzegowina stammen. Hinzu kommen knapp 12000 Menschen aus dem ehemaligen Serbien-Montenegro. Man lebt in München meist nebeneinander her, aber dies immerhin friedlich, wie es beim Kreisverwaltungsreferat heißt.

Die Heimat ist weit weg - und doch so nah, dass jemand wie D. seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung stehen haben möchte. Wegen des Teils der Familie, der noch in Serbien lebt. "Man weiß ja nie", sagt D.. Ironie des Schicksals, dass er die Verhaftung von Karadzic im serbischen Programm ansehen musste, weil der bosnische Sender in seiner Wohnung nicht zu empfangen war. Das serbische Fernsehen, erzählt D., habe detailreich geschildert, wieso Karadzic sich so lange verstecken konnte, dass er seinen Akzent verändert, leiser gesprochen hatte, dass seine Tarnung so gut gewesen sei, dass selbst eine Schulkollegin, die viermal an einem Seminar des "Dr. Dabic" teilnahm, den wahren Menschen dahinter nicht erkannte.

Unter dem Namen Dr. Dragan David Dabic hatte Karadzic in Belgrad gelebt, allein der Name sei eine Provokation für Nicht-Serben, sagt D.. Vier Ds anstelle jener vier "S", die die serbische Miliz an verbrannten Häusern zurückließ: "Samo sloga Srbina spasava" - "Nur Einigkeit rettet die Serben". Wusste die Regierung in Belgrad wirklich nichts?, fragt sich Tihomir D., oder war das Untertauchen von oben gedeckt?

"Ein bisschen hoffen darf man schon"

Auch viele Serben fragen sich genau dieses - nur sind längst nicht alle froh über die Verhaftung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers. Hier wie in Serbien gebe es die gemäßigten Serben, sagt Tihomir D., aber ebenso die radikalen Nationalisten. Nur würden die sich hier nicht öffentlich äußern. So etwas erzählt man nur im privaten Kreis. Ja doch, solche, die gegen die Verhaftung seien, gebe es auch in München, bestätigt Dragan Urosevic, Präsident der serbischen Diaspora-Vereinigung in Südbayern und Vertreter der serbischen Wirtschaftskammer.

Er denke anders, "wie viele", nämlich, dass es "gut ist, wenn Karadzic vor Gericht kommt. Er soll sich für seine Verbrechen verantworten." Der serbischen Regierung müsse man gratulieren, sagt Urosevic, weil sie Karadzic aufgespürt habe und die EU müsse endlich erkennen, dass Serbien willig ist, zur Aufklärung der Kriegsverbrechen beizutragen.

Die Klärung der Schuldfrage sei nun Sache der Gerichte, sagt der evangelische Diakon Peter Klentzan von Wings of Hope. Doch zur Versöhnung der früheren Kriegsparteien gehöre mehr als Sühne. Gerade ist das Sommercamp zu Ende gegangen, das die in München ansässige Stiftung in den Bergen über Sarajewo organisiert hat. 250 Jugendliche waren zusammengekommen, Serben, Bosniaken, Kroaten aus Bosnien-Herzegowina und den Nachbarländern.

Die Jugendlichen machten sich tagsüber Gedanken darüber, wie eine friedliche Zukunft aussehen könnte. Am Abend saß man gemeinsam am Lagerfeuer, lachte und sang. Und das kaum zehn Jahre nach all dem Morden. "Ein bisschen hoffen", sagt Klentzan, "darf man da schon."

© SZ vom 24.07.2008/sueddeutsche.de/pir - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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