Selten blühende Pflanze:Großer Stinker

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17,5 Jahre alt ist die Knolle, deren Blüte nun zum ersten Mal aufgegangen ist - und von vielen Besuchern bestaunt wird. (Foto: Florian Peljak)

Die Titanenwurz im Botanischen Garten zieht zahlreiche Besucher an - trotz des Aasgeruchs, die die eineinhalb Meter hohe, sehr selten blühende Pflanze verströmt

Von Jasmin Siebert

Der modrige Geruch schlägt einem schon entgegen, wenn man in die Kakteenhalle tritt. Von dort geht rechts das Viktoriahaus ab, in dem die Titanenwurz in einem Kübel vor dem Seerosenteich steht, blüht und stinkt. Hier herrscht ein feucht-warmes Klima, Regen tröpfelt durch das Glasdach auf fleischfressende Pflanzen in Hängetöpfen und Besucher mit Kameras in der Hand. Es ist der Abend des Pfingstmontags und der Botanische Garten hat ausnahmsweise bis 24 Uhr geöffnet. Tagelang hatten Ehrentraud Bayer, leitende Sammlungsdirektorin, und ihre Mitarbeiter der nur zwei Tage andauernden Blüte der eineinhalb Meter hohen Blume entgegengefiebert. Nicht nachts wie die meisten anderen Exemplare, sondern am Montagnachmittag begann die Titanenwurz, ihr Hüllblatt zu öffnen und ihren weltweit größten Blütenstand zu offenbaren.

Dass die 17,5 Jahre alte Knolle nun zum ersten Mal in ihrem Leben blüht, haben viele Besucher auf Twitter gelesen oder im Radio gehört. Robert Köpferl und seine Frau Karola waren gerade auf dem Rückweg aus dem Pfingsturlaub und beschlossen, spontan im Botanischen Garten vorbeizufahren. Beide interessieren sich für Pflanzen, sie kultivieren Gemüse und bienenfreundliche Blumen auf ihrem Balkon. Die Titanenwurz kennt Robert Köpferl aus der Zeichentrickserie "Dennis". In einer Folge möchte der Nachbar unbedingt die selten blühende Titanenwurz sehen, doch der Lausbub verhindert dies immer wieder. Umso mehr freut sich Köpferl, dass ihnen die Pflanze "ein Stelldichein" zur Rückkehr aus dem Urlaub gibt.

Ringsum drängen sich die Besucher um die Titanenwurz, machen Selfies oder drücken den Mitarbeitern des Botanischen Gartens ihre Kameras in die Hände. Christine Bernhauser ist Gärtnerin und diejenige, die das abgetrennte Kolbenstück der stinkenden Pflanze am Freitagmorgen gefunden hatte. Geduldig erzählt sie interessierten Besuchern immer wieder die gleiche Geschichte und beantwortet deren Fragen. "Wer macht denn so etwas?" Eine junge Frau bekommt ganz große Augen, als sie hört, dass jemand ein Stück der Kolbenspitze abgeschnitten hatte. "Als Trophäe", mutmaßt sie. Oder doch eher Forscherdrang? Warum aber blieb das ledrige Kolbenstück, dessen schwammiges Innenleben für den Aasgeruch zuständig ist, am Tatort zurück? Unter den Besuchern werden noch viele Vermutungen angestellt. Einem Mädchen erklärt Bernhauser, dass die Knolle erst 32 Kilogramm Gewicht ansammeln musste, ehe sie nun das erste Mal zur Blüte kam. "Wie schwer bist du?" "27 Kilo", sagt das Mädchen. Immer wieder erklärt Bernhauser auch, dass die Pflanze mit dem botanischen Namen amorphophallus titanum, zu Deutsch etwa "unförmiger Riesenpenis", sich für Blatt oder Blüte entscheiden muss.

Eine zweite Knolle, die der Botanische Garten Nymphenburg ebenfalls im März vom Frankfurter Palmengarten geschenkt bekommen hatte, hat ein Blatt ausgebildet. "Das Blatt wird groß wie ein Baum", erklärt Bayer, die sich ebenfalls immer wieder unter die Besucher mischt. Leider können Besucher dieses Exemplar nicht sehen. Im Herbst werden im Viktoriahaus Pflanzen, die auch mit kühleren Temperaturen zurechtkommen, angesiedelt. Die Pflanze mit ihrem riesigen Blatt würde dann nicht mehr durch die Tür passen und müsste erfrieren. Daher steht sie im Anzuchthaus, zu dem Besucher keinen Zutritt haben. Vielleicht bildet auch sie irgendwann eine stinkende Blüte. Doch ob und wann das geschehen wird, weiß niemand.

Draußen wird es langsam dunkel und Bayer fummelt an einer Fernbedienung herum, um das Licht über der Titanenwurz einzuschalten. Wegen des Dauerregens seien bislang nicht so viele Besucher gekommen wie im vergangenen Jahr, als ein anderes Exemplar blühte. Doch das schlechte Wetter hat auch sein Gutes: Ohne Sonne werde die neue Titanenwurz nicht ganz so schnell verblühen, hofft Bayer. Mit Glück können Besucher auch noch am Mittwoch ihre Kameras und ihre Nasen in den violetten, nach fauligem Fleisch riechenden Trichter halten. Im Laufe des Tages wird wohl der Kolben abknicken, das Blütenblatt erschlaffen und die Pflanze verwelken.

© SZ vom 07.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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