Selbstversuch:Der Journalist als Rikschafahrer

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Acht Kilometer, 70 Minuten und 143 Puls: SZ-Mitarbeiter Philipp Crone hat den Selbstversuch gemacht. Er war einen Tag lang als Rikschafahrer unterwegs.

Philipp Crone

Ich trete mit aller Kraft in die Pedale - und nichts passiert. Gerade haben es sich die ersten beiden Fahrgäste in meiner Fahrrad-Rikscha gemütlich gemacht. Ich versuche die Blicke der Passanten auf dem Viktualienmarkt zu ignorieren, dann das: Vor lauter Aufregung habe ich vergessen, einen niedrigen Gang einzulegen und komme nicht vom Fleck.

(Foto: Foto: Rumpf)

Wie in Zeitlupe setzt sich die Rikscha dann doch noch in Bewegung, runter vom Bürgersteig auf die Frauenstraße. Es wird nicht die letzte Panne gewesen sein auf dem Weg zum Chinesischen Turm und zurück.

Eine Stunde vorher: Einweisung auf dem Hof der Firma Rikscha-Mobil nahe der Schrannenhalle, hier stehen knapp 50 Fahrzeuge. Nach und nach kommen am Vormittag die Fahrer, die meisten sind Studenten oder Schüler. Sie ziehen sich das gelbe Firmen-T-Shirt an, spritzen ihre Räder mit Wasser ab, packen Prospekte ein und radeln vom Hof.

In acht Stunden 200 Euro

Mittendrin steht der technische Leiter von Rikscha-Mobil, Joscha Köppl. Er erklärt mir, was ich heute verdienen kann - "an einem sonnigen Wochenendtag in acht Stunden etwa 200 Euro". Vom Marienplatz zum Chinesischen Turm kostet die einfache Fahrt 16 Euro für zwei Personen. Zehn Prozent meiner Einnahmen muss ich als Rikscha-Miete an die Firma zahlen.

Zunächst prüft Köppl allerdings meine Fahrer-Tauglichkeit. Der 28-jährige sagt: "Das ist ganz anders als Radfahren." Nur wer eine 8 im Hof mit dem 80 Kilo schweren Gefährt drehen kann, darf fahren. Lächerlich.

Von wegen. Permanent habe ich das Gefühl runterzufallen, weil ich mich nicht in die Kurve legen kann wie beim Fahrrad. Nach drei Runden hab ichs raus, es kann losgehen. Preisliste eingepackt, T-Shirt übergezogen und Rikscha Nummer 17 rollt vom Hof. Meine Pulsuhr zeichnet Strecke und Herzfrequenz auf. Mein Anfangspuls: 100 Schläge pro Minute.

Am Viktualienmarkt sehe ich sofort meine Opfer: ein junges Paar, das orientierungslos in einen Stadtplan guckt. "Lust auf eine Rundfahrt? Zum Chinesischen Turm und zurück?" Kurze Beratung, sie hat Skrupel jemanden für sich strampeln zu lassen, aber sie steigen dann doch ein.

Nach dem peinlichen Anfahren im höchsten Gang will ich den Wochenendbesuchern Sabrina, 27, und Sascha, 28, aus Nordrhein-Westfalen gleich alles berichten, was ich so über die Umgebung weiß, doch da ist am Marienplatz schon eine leichte Steigung samt Kopfsteinpflaster. Im Schritttempo krieche ich hoch. Sabrina sagt: "Sollen wir uns abwechseln?" Ich könnte schwören, sie grinst.

Wer Rikschafahrer werden will, muss einen Fragebogen mit 150 Fragen zur Geschichte Münchens beantworten können. Ich beschließe, ein individuelles Programm zu bieten. Auf dem Marienplatz angekommen, erzähle ich atemlos, wo Oberbürgermeister Christian Ude im Rathaus sein Büro hat (Puls 135, zurückgelegte Distanz 0,7 km, Fahrzeit 10 Minuten).

An der Oper laufen mir die ersten Schweißperlen über das Gesicht, ich grüße routiniert einen unverschwitzten Kollegen und steuere dann zum Odeonsplatz. Es nervt, dass ich mich immer zu den Fahrgästen umdrehen muss. "Rechts die vier bronzenen Löwen der Residenz. Die Nasen zu berühren, bringt Glück."

"Sollen wir uns abwechseln?"

Endlich der erste richtige Touristenführersatz. Aber für das Glück meiner Fahrgäste hätte ich natürlich anhalten müssen. Stattdessen biege ich mit Schwung rechts ab in den Hofgarten und rolle durch die Unterführung in den englischen Garten. Ich versuche die Aufmerksamkeit meiner Gäste auf den Monopteros zu lenken und mir unbemerkt mit den T-Shirt-Ärmeln das Gesicht zu trocknen (Puls 143, Distanz 4,1 km, Fahrzeit 34 Minuten).

Am Chinesischen Turm steigen die beiden aus und fotografieren. Sascha sind die neugierig-neidischen Blicke aufgefallen, die unsere Fahrt begleiten. Er steigt zufrieden wieder ein. Ich schlage den Rückweg über die Leopoldstraße vor, komme aber die Veterinärstraße fast nicht hoch.

Weiter über: Odeonsplatz, Promenadeplatz, Sonnenstraße. Wir passieren einen offenen Stadtrundfahrtsbus. Sascha sagt: "So eine Rundfahrt macht hier bei dir viel mehr Spaß." Glücklich lege ich noch einen Zahn zu. Prompt kommentiert Sascha eine enge Passage zwischen Geländern und Autospiegeln: "Du weißt schon, wie breit dein Wagen ist?" Klar!

Am Sendlinger Tor ist die Fahrt nach 70 Minuten und acht Kilometern kollisionsfrei zu Ende. Die beiden schlendern glücklich von dannen, ich fahre erleichtert zurück zum Depot. Ergebnis: Eine Blase an der Hand vom verkrampften Lenken, mehrere Liter Flüssigkeitsverlust, 32 Euro verdient und zwei Touristen glücklich gemacht, so weit das ohne die Löwen geht.

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