Selbsthilfegruppe für Insolvente:Reden gegen den Absturz

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In München gibt es erstmals ein Treffen der Selbsthilfegruppe "Anonyme Insolvenzler". Die SZ sprach mit Lucian Standke, der die Sitzungen leiten wird.

Michael Tibudd

Die Anonymen Alkoholiker gelten als der Prototyp der Selbsthilfegruppe - Menschen mit einem Problem treffen sich in der Hoffnung, dass sie durch das gemeinsame Gespräch mit ihrer Situation besser klar kommen oder das Problem gar lösen können.

Vom 27. April an wollen sich die Anonymen Insolvenzler jeden vierten Montag im Monat treffen. (Foto: Foto: Haas)

In der Wirtschaftskrise findet nun am Montag kommender Woche erstmals in München ein Treffen der "Anonymen Insolvenzler" statt (27. April, Selbsthilfezentrum, Westendstraße 68, 18.00 Uhr, danach immer am vierten Montag eines jeden Monats; Anmeldung wenn möglich unter www.anonyme-insolvenzler.de). In Köln gibt es eine solche Gruppe seit 2007.

Die SZ sprach mit Lucian Standke, der die Sitzungen leiten wird - und wie es sich für eine Selbsthilfegruppe gehört auch selbst betroffen ist.

SZ: An wen genau richtet sich denn Ihre Selbsthilfegruppe?

Lucian Standke: Wir stehen allen Betroffenen offen, egal ob sie in Privatinsolvenz sind oder als Unternehmer zahlungsunfähig wurden. Wir beobachten aber in Köln, dass 80 Prozent der Teilnehmer Unternehmer sind.

SZ: Woran liegt das?

Standke: Die Privatinsolvenz ist ein stark formalisierter Prozess, bei dem die Menschen nach einem festen Plan aus den Schulden kommen sollen. Unternehmer stehen dagegen ziemlich alleine da. Sie fühlen sich deswegen viel stärker von uns angesprochen.

SZ: Sie sprechen ja aus eigener Erfahrung...

Standke: In der Tat, ich war Geschäftsführer eines mittelständischen Bau- und Bauträger-Unternehmens, das in die Insolvenz gegangen ist. In Köln bin ich auf die Selbsthilfegruppe gestoßen, wo ich eben als Betroffener teilgenommen habe.

SZ: Und nun übernehmen Sie also die Leitung einer solchen Gruppe.

Standke: Ich habe schnell festgestellt, dass ich wenig über mein eigenes Problem gesprochen, sondern den Anderen von Anfang an sehr viele Fragen gestellt habe. Übrigens ist der Prozess bei mir noch nicht abgeschlossen: Ich stecke selber noch in der Insolvenzphase. Im Moment berate ich ehrenamtlich eine Akademie für Fortbildung in der Naturheilkunde.

SZ: Was ist die größte Gefahr für Insolvenz-Betroffene?

Standke: Viele stürzen so tief ab, dass auch Beziehungen zu Bruch gehen. Die Menschen brauchen einfach Gelegenheit, über diese Probleme zu reden.

SZ: Da könnte man doch auch zu Profis wie etwa Psychologen gehen.

Standke: Oft ist die Hemmschwelle zu hoch. Man kann Menschen schneller öffnen, wenn man ihnen mit einer Haltung im Stil von "kuck' mal, ich hab das auch hinter mir" begegnet. Das können etwa Psychologen nicht. In eine solche Behandlung zu gehen, kann dann aber der zweite Schritt sein.

SZ: Und nach dem Besuch beim Psychologen ist wieder alles in Ordnung?

Standke: Leider nicht. In Deutschland wird eine Insolvenz noch viel zu sehr als Makel betrachtet. In den USA ist das ganz anders, da sind Manager mit solchen Erfahrungen gesuchte Leute. Ich glaube aber, dass insolvent gewesen zu sein auch hierzulande salonfähiger werden wird.

© SZ vom 21.04.2009/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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