Selber machen:Ans Werk!

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Selbst ist die Frau beziehungsweise der Mann im Haus der Eigenarbeit: Isolde Blersch veredelt Schachteln, Felix Hoffmann (r.) baut mit Marcus Stock einen speziellen Schreibtisch, Ulrike Heber ist dem Töpfern verfallen. Leiterin Veronika Stegmann zeigt Exponate für die Geburtstagsausstellung (von links oben im Uhrzeigersinn). (Foto: Stephan Rumpf)

Es ist ein Hobbyraum für alle, die basteln, sägen, polstern, töpfern oder schweißen wollen: Im Haus der Eigenarbeit gehen gut 1500 Münchner pro Jahr ihrer kreativen Leidenschaft nach - vom Anfänger bis zum Profi

Von Günther Knoll

Gehobelte Bretter in unterschiedlicher Länge, dazu eine dicke Scheibe von einem Baumstamm - eine Tischplatte soll das werden, sagt Felix Hoffmann, während er die Bretter aneinanderlegt und probiert, für einen ganz besonderen Tisch. Die runde Scheibe nämlich soll, schräg eingelegt, als Halterung für sein Tablet dienen. "Aus Alt mach Neu" hat sich der junge Mann vorgenommen. Deshalb ist er an diesem Nachmittag in das Haus der Eigenarbeit an der Wörthstraße in Haidhausen am Ostbahnhof gekommen. Nach zehn Jahren Pause das erste Mal wieder, wie er sagt, denn "wo bekomme ich sonst eine Tischlerkreissäge her?" Hoffmann ist passionierter Heimwerker. Als er ein Kind war, habe es daheim geheißen: "Entweder du kriegst das Geld oder der Handwerker." Da sei schnell klar gewesen, wofür er sich entscheidet.

Um zu demonstrieren, wie das fertige Möbelstück aussehen soll, holt Hoffmann die Schutzhülle eines Tablets heraus und legt sie probeweise auf die Scheibe. Marcus Stock, den sie hier nur "Stocki" rufen, braucht das nicht, er weiß offenbar auch so ganz genau, was Hoffmann will. Stock gehört zum Werkstatt-Team und damit praktisch zum Inventar. "Er ist der, der daneben steht und mir auf die Finger haut, bevor sie ab sind", weiß Felix Hoffmann diese fachkundige Hilfestellung zu schätzen. Und Stock hat nach eigenem Bekunden "sehr viel Spaß" dabei.

"Die Leute, die hierher kommen, bringen ihre eigenen Ideen mit", sagt Veronika Stegmann. Sie ist seit November 2015 Leiterin des Hauses, das von seinen Besuchern nur das "HEI" genannt wird. In ihm gibt es professionell ausgestattete Metall-, Keramik- und Holzwerkstätten, Schneiderstuben und Bastelräume. Gegen eine Gebühr können die Hobby-Handwerker Räume und Gerät nutzen, anfangs immer mit Anleitung und Einführung. In Kursen - auch für Schulkassen - lehren Dozenten die Kunst des Buchbindens, das Drehen von Metall, Schweißtechniken, Schmuckherstellung. Und es gibt für kleinere Reparaturen zu Hause auch die Kurzanleitung "Dübeln statt Grübeln".

Veronika Stegmann, die eigentlich promovierte Landschaftsarchitektin ist, war selbst schnell infiziert von diesem besonderen Haus. Es vermittle seinen Besuchern und Nutzern "das Gefühl, in der Lage zu sein, Dinge selbst zu gestalten" und auf Nachhaltigkeit Wert zu legen. Das reicht weit über den handwerklichen Bereich hinaus: Es gibt ein philosophisches Café, es gibt den Spieletreff, es gibt Ausstellungen mit externen Künstlern. In den Anfangszeiten vor 30 Jahren war das Haus auch Treff für Haidhausens Mütter und Kleinkinder, im Innenhof fand sogar Münchens erster Biomarkt statt. Beliebt ist zudem das Repair-Café, zu dem die Besucher einen reparaturbedürftigen Gegenstand mitbringen dürfen, den dann ein Experte wieder funktionsfähig macht.

"Hier prallt das volle Leben aufeinander", sagt die Leiterin. Neben ihr parkt gerade ein junger Vater Kleinkind samt Kinderwagen, um schnell ein Brett zurechtzuschneiden. An der gleichen Stelle hatte zuvor ein Hund brav auf sein Herrchen gewartet, das ebenfalls in der Holzwerkstatt verschwunden war. Im Moment sei es aber eher ruhig, meint Stegmann zu dieser Situation, an den Samstagen sei richtig was los. Um dann an die Kreissäge oder an eine Werkbank zu kommen, müsse man Wartezeiten in Kauf nehmen. Die nutzten die Besucher aber zum Fachsimpeln oder auch für allgemeine Gespräche. Denn "vielen ist das Soziale wichtig", wie Veronika Stegmann erkannt hat. Auch das entspricht dem Prinzip des Anstiftens, dem sich das Haus verschrieben hat: Zum Team gehören außer dem festen Personal auch Langzeitarbeitslose, die den Weg zurück in den Beruf suchen, sowie junge Leute, die ihren Freiwilligendienst leisten. Es gibt Ehrenamtliche, die sich an die Bar stellen. Und es gibt viele freiberuflich tätige Dozenten, die ihr Wissen weitergeben.

1550 Nutzer wurden im vergangenen Jahr allein in den offenen Werkstätten gezählt, aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten. Darauf ist Stegmann ebenso stolz wie darauf, dass der Eigenanteil am Jahresbudget des Hauses, das bei gut einer halben Million Euro liegt, ständig steigt. Das liege auch an den gefragten Kursen, Schweiß- oder Holzkurse zum Beispiel seien immer so schnell ausgebucht, dass man zusätzliche anbieten müsse. Träger des Ganzen ist der Verein zur Förderung von Eigenarbeit.

Das Haus ist sein einziges Projekt, es finanziert sich gut zur Hälfte aus eigenen Einnahmen, darunter Mitgliedsbeiträge und Spenden. Gefördert wird es von der Landeshauptstadt und von der Stiftungsgemeinschaft Anstiftung & Ertomis. Deren Gründer Jens Mittelsten Scheid gab vor 30 Jahren auch den Anstoß für die damals einmalige Einrichtung in München, die handwerkliche, kulturelle und soziale Eigenarbeit ermöglichen und unterstützen sollte. Inzwischen gibt es eine Reihe ähnlicher Projekte in der Stadt, die zum Teil aus dem HEI hervorgegangen sind. Und inzwischen geht es auch um die Förderung und Entwicklung nachhaltiger Lebensstile.

Dazu gehören auch so einfache Dinge, wie sie Isolde Blersch in der Papierwerkstatt im Vorderhaus gerade herstellt. In aller Ruhe veredelt sie alte Pralinenschachteln aus Pappe, die andere einfach wegwerfen würden. Die seien für die Bibliothek einer Sammlerin, um darin "Highlights", zum Beispiel besondere Drucke, aufzubewahren, verrät sie, während sie die Kanten von Kartonstreifen glättet. "Unter der Süddeutschen geht dabei gar nichts", sagt sie scherzhaft und deutet auf ihre Arbeitsunterlage, eine ausgebreitete Zeitung, die den Tisch sauber halten soll. Die Altenpflegerin kommt seit Jahren in das Haus, "immer wenn es mein Beruf erlaubt. Man lernt schließlich nie aus."

Ulrike Heber hat das HEI sogar süchtig gemacht. "Süchtig nach dem Drehen", präzisiert sie. An diesem Tag habe sie zum ersten Mal auf der Töpferscheibe eine Dose geschafft, bisher seien ihre tönernen Gebilde immer zu Schalen geworden. In der Keramikwerkstatt stehen neben anderen Töpferwaren viele Schalen in den Regalen. Alle mit Zetteln versehen, weil sie schließlich noch gebrannt oder glasiert werden müssen. Ein solcher Zettel genüge, sagt Veronika Stegmann, um zu wissen, von wem das Stück stamme und wann zuletzt daran gearbeitet worden sei.

Auf den Holzstühlen in der Schreinerei, auf den Polstersesseln in der Textilwerkstatt, überall Zettel, die zeigen: unvollendet. Auch Ulrike Heber wird ihre Dose mit einem solchen gelben Zettel versehen, zum Abdrehen will sie in drei Tagen wieder in das Haus kommen, wo sie vor zwei Jahren das Töpfern erlernt hat. Jetzt wolle sie Drechseln lernen, sagt sie, damit sie für ihre neueste Schöpfung auch einen hölzerner Deckel schaffen kann. Einen solchen Kurs bietet das HEI nicht an, Ulrike Heber wird ihn anderswo machen müssen. "Aber dann komm ich wieder", verspricht sie.

Aus Anlass seines dreißigjährigen Bestehens zeigt das Haus der Eigenarbeit an der Wörthstraße 42 eine Werkschau mit dem Titel "HEilights der Eigenarbeit". Zu besichtigen ist sie bis Dienstag, 21. Februar, während der regulären Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 15 bis 21 Uhr und Samstag von 12 bis 18 Uhr.

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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