Schwuler Trachtler, Kneipenwirt und Moslem:Profession: Selbstdarstellung

Lesezeit: 2 min

Hans Lehrer ist ein leidenschaftlicher Selbstdarsteller: Kurz nach seinem Coming-Out eröffnete der zum Islam konvertierte Familienvater das "Inside 22".

Philipp Crone

Bei diesem 65-Jährigen ist vieles anders: Das Rentenalter etwa ein Lebensstartschuss. Hans Lehrer sitzt in seiner neuen Schwulenkneipe "Inside22" in der Pestalozzistraße. Die Häppchen kreisen, es riecht nach Farbe - Eröffnung. Vor ein paar Wochen hat er den Motorradführerschein gemacht und beschlossen eine Kneipe zu führen. Und vor einigen Monaten hat sich der Vater von vier Kindern als schwul geoutet.

Narzisst: Hans Lehrer. (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Es ist Freitag, der 13., ein angemessenes Datum für das nächste Kapitel in Hans Lehrers Leben, in dem nichts normal erscheint. Wenn man sich Lehrers Vita genau anguckt, ist die Wohnzimmerkneipe sogar eine logische Konsequenz: Er hat 65 Jahre lang die Bühne gesucht, im Rentenalter richtet er sich nun seine eigene ein. Sein Weg vom katholischen Münchner zum stadtbekannten schwulen Moslem begann vor 44 Jahren.

Braungebrannt, in Tracht, sitzt Lehrer auf einem orangenen Sofa. Von einem Ausflug in die Türkei mit 21 kam nach zehn Jahren ein zum Islam konvertierter Ehemann mit türkischer Frau zurück. Er wusste eigentlich nie, was als nächstes kommt.

Nur eines war klar: "Ich wollte unbedingt eine Familie und Kinder." Sein 30-jähriger Sohn, der mit Freunden am Eingang steht, nennt seinen Vater einen Perfektionisten, der immer Toleranz predigte: "Wir Kinder sind zwar überrascht über sein Outing, aber nicht sauer." Für Lehrers Frau ist die Situation am schwierigsten, sie ist für einige Zeit in die Türkei gereist.

Sein Wohnzimmer ist die Kneipe

Hans Lehrer war immer für seine Kinder und seine Frau da. Obwohl er schon damals merkte, dass er dem männlichen Geschlecht mehr als nur Freundschaft entgegenbrachte: "Ich habe es gespürt, wollte es mir aber nicht eingestehen." Er streicht sich durch den ergrauten Prachtschnauzer, steht gelegentlich auf, um Gäste zu begrüßen.

"Ich stehe gerne im Mittelpunkt" - das ist seine Kernaussage. Lehrer liebt die Bühne, die Kommunikation und die Verkleidung. Sein Traum sei es immer gewesen, Schauspieler zu werden. Es hat nicht gereicht, deshalb musste sein Leben zur Bühne werden.

Lehrer ging zum Bayerischen Trachtenverband, war bis vor einem Jahr zuständig für Öffentlichkeitsarbeit. Bei der Straßenreinigung war er 28 Jahre lang als Dolmetscher für Türkisch im Einsatz. Kommunikation will er jetzt in seinem "Wohnzimmer" anbieten. Sein Sohn lacht, als er die Einrichtung sieht. "Das sind lauter alte Sachen aus unserem Keller." Zwei Pistolen, ein Radio, eine Kaffeemühle und Bilder von Lehrer und seinem Freund Klaus Wilbert, 43. "Klaus ist für den Ausschank zuständig, ich für die Gästebetreuung."

Es sind etwa 80 Gäste da, die meisten Männer zwischen 50 und 60 Jahre alt. Sie stehen in einem Raum mit orangenen Wänden, gucken sich um. Salzstangen und Gummibärchen liegen auf den Tischen bereit, vier Blumensträuße zieren die Theke. Ein Trachtler packt die Ziehharmonika aus und ein markerschütternder Jodler leitet die Musizierphase ein.

Lehrers Tochter organisiert noch schnell ihr Kleid für einen Bauchtanz. Über allem thront Hans Lehrer mit hochgekrempelten Ärmeln auf einem Foto. Auf seinem rechten Oberarm ist das Tattoo von König Ludwig II. zu sehen, auch so eine schillernde Figur. Eines hat Lehrer dem Ludwig voraus: Er hat sich geoutet. Und über sein Lebensende hat sich Lehrer auch schon Gedanken gemacht: "Erst wenn ich keine Bühne und keine Verkleidung mehr habe, dann liege ich flach."

© SZ vom 16.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: