Schwule Fußballer:"Das ist nicht Tunten-Tüdelitü"

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Doppelter Kampf: Die schwule Fußballmannschaft Münchner Streetboys spielt nicht nur gegen ihre Gegner, sondern auch gegen Vorurteile.

Nicole Werner

Der Torwart wirft den Ball zu einem Teamkollegen. Nils wittert seine Chance. Er springt dazwischen. Mit einer geschickten Körpertäuschung hat er den Ball am Verteidiger vorbeigespitzelt. Der fährt den Fuß aus. Trifft den Stürmer am Schienbein. Er prallt auf den Hallenboden. "Foul!", schreien seine Mitspieler, noch bevor der Pfiff ertönt.

Vorbildfunktion: Die Streetboys sind die einzige homosexuelle Mannschaft, die am Ligabetrieb des DFB teilnimmt. (Foto: Foto: Robert Haas)

"Es geht ganz schön zur Sache", bemerkt Christian, der das Spiel von der Bank aus verfolgt. Die Münchner Streetboys nehmen an einem internationalen Turnier in Berlin teil. 18 Mannschaften aus vier Ländern kämpfen in der Spandauer Halle um den Sieg. Die Teams heißen Hot Shots, Queer-Schießer oder Vorspiel Berlin. Die Namen lassen vermuten, was der Spielverlauf nicht verrät: Hier spielen schwule Männer. "Wie soll man das auch erkennen?", fragt Michael. "Das ist nicht Tunten-Tüdelitü, sondern Fußball."

Von allen offen homosexuellen Mannschaften sind die Streetboys die einzige, die auch am Ligabetrieb des Deutschen Fußballbundes teilnimmt. 1994 gegründet, spielen sie dort seit 2001. Derzeit wieder in der C-Klasse. Wie jede andere Mannschaft trainieren sie regelmäßig und tragen am Wochenende ihre Partien aus. "Der Ligabetrieb verläuft zu 99 Prozent normal", sagt Gaßl. Selten gab es unfaire Auseinandersetzungen wegen ihrer Homosexualität. Zuletzt passierte das vor einem Jahr, erzählt Michael. Nach wiederholten Verbalattacken und gezielten Tritten war die Situation eskaliert. Der Massenschlägerei folgte der Spielabbruch durch den Schiedsrichter. Das gegnerische Team ist einstweilen vom Ligabetrieb ausgeschlossen worden.

Rosa Schlüpfer statt Bananen

"Wechsel!", ruft Christian. Der Stürmer Nils klatscht seinen Mitspieler ab, der durch ein Türchen aufs Feld kommt. Wenn es grundsätzlich keine Probleme auf dem Spielfeld gibt, warum sind nicht mehr schwule Profifußballer bekannt? "Du bietest dem Gegner, den Fans einen Angriffspunkt", meint Michael. "Oliver Kahn haben sie Bananen in den Torraum geworfen." Bei schwulen Fußballern wären das dann vielleicht rosa Schlüpfer. Nils, der inzwischen nicht mehr so außer Atem ist, ergänzt: "Die meisten kennen Schwule nur aus dem Fernsehen vom Christopher Street Day. Lauter bunte, hüpfende Modehuschen."

Laufen, kämpfen, harte Mann-gegen-Mann-Situationen: All das, was gemeinhin guten Fußball ausmache, sei nicht mit dem Bild vereinbar, das sich bei den Heteros über Schwule manifestiert habe. Und das macht es nach Meinung der Streetboys so schwierig, sich zu outen. "Ich würde es wirklich keinem Profifußballer raten", betont Michael. Er erzählt von Justin Fashanus. Der englische Profi erhängte sich acht Jahre nach seinem Coming-out, weil er dem öffentlichen Druck nicht standhielt. Entsprechend kontrovers wird das Outen bei den Streetboys diskutiert. Natürlich sind ihnen schwule Fußballprofis bekannt.

Christian schnappt sich nach dem erneuten Wechsel eine Wasserflasche: "Ich wäre sehr neugierig, was passiert." Einig sind sie sich, dass sich eine Gruppe von Profis gemeinsam outen müsste. Dann wäre der Druck auf den Einzelnen nicht so stark. Der 35-jährige Christian weiß, wie es sich anfühlt, alleine zu sein. Aufgewachsen in einem ländlichen Ort nahe Bad Tölz, war ein offener Umgang mit seiner Homosexualität kaum möglich: "Wenn jemand schwul war, hat man sich das höchstens zugeraunt." Heute sei er selbstbewusster, damals noch überwog die Angst der Stigmatisierung.

Um Gleichgesinnte zu treffen ist er nach München gezogen. "Auf dem Land hat sich mittlerweile viel verändert. Vor allem durch die Möglichkeiten des Internets." Vor 15 Jahren allerdings war es schwer, andere schwule Männer auf dem Dorf kennen zu lernen. "Ich wusste nie, ist er oder ist er nicht." Natürlich gebe es extrovertierte Schwule und Lesben, die ihre Sexualität offen zur Schau trügen, aber "das kann ich nicht", sagt Christian. Es ist seiner Einschätzung nach nur eine Minderheit, die ihre Sexualität derart offen demonstriert. "Es berührt ja ein privates Thema."

Undenkbar: "Hallo, ich bin schwul"

Also gehe er auch nicht hausieren damit, dass er schwul sei. Weder früher auf dem Bolzplatz oder im örtlichen Skiklub noch später in der Berufswelt. "Hallo, ich bin der Christian, ich bin schwul." Geradezu satirisch mutet diese Situation in einer Vorstellungsrunde an. So würde sich doch auch kein Hetero vorstellen, sagt Christian. Es nicht zu thematisieren, heißt aber nicht, es zu tabuisieren. In ganz alltäglichen Gesprächen sei den Kollegen klar geworden, dass er schwul ist. Ohne sie mit dem Finger darauf zu stoßen, einfach, weil es ganz normal ist.

Trotzdem wollen nicht alle Streetboys ihren vollen Namen in der Zeitung lesen. Manche von ihnen studieren noch oder bewerben sich gerade, erklärt Christian. "Die potentiellen Arbeitgeber sollen sich ein unvoreingenommenes Bild machen." Tatsächlich haben sie Sorge, die Homosexualität könne in manchen Branchen eine Barriere sein. Gesellschaftliche Vorurteile, mit denen sie immer noch nach Erhalt des Jobs aufräumen könnten.

Wie man die generelle Meinung über schwule Fußballer ändern könnte, darauf haben auch die Streetboys keine eindeutige Antwort. Als einzige schwule Ligamannschaft nehmen sie natürlich eine Vorbildfunktion ein. "Aus der kommen wir auch nicht raus." Die Vorurteile müssten weiter abgebaut werden. Dass dies noch ein weiter Weg ist, zeigt ein aktuelles Problem: "Für eine zweite Mannschaft bräuchten wir noch ein paar Spieler", sagt Christian. Allerdings glauben nicht alle Streetboys an ausschließlich positive Resonanz auf ein Inserat mit dem Inhalt: "Schwule Fußballer suchen Nachwuchs."

Christian springt auf. Nils hat den Ball vor dem Strafraum gestoppt. Ein flinker Haken, und er ist links am Gegner vorbei. Ein kraftvoller Schuss. "Tor", brüllen die Streetboys, noch bevor der Schiedsrichter pfeift.

© SZ vom 14.05.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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