Schulalltag:"Die meisten wollen ja gar keine Schlägerei"

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Zoff an der Hauptschule, prügelnde Kinder auf dem Pausenhof - sieht die Realität wirklich so aus? Drei Jugendliche von der Hauptschule an der Cincinnatistraße über Stress, Streit und Hoffnung auf eine Zukunft.

Moderation: Anja Burkel, Monika Maier-Albang

Wie sehen Schüler selbst die Hauptschule? Und wie gehen Jugendliche und Lehrer mit Problemen um? Shabana Wali (15), Dominik Bachhäubl (13) und Leo Kistler (14) erzählen, wie die Situation bei ihnen an der Hauptschule an der Cincinnatistraße aussieht.

(Foto: Foto: SZ/Heddergott)

SZ: Eine indiskrete Frage: Worüber sprecht Ihr momentan in den Pausen? Dominik: Alltagsthemen. Was wir heute im Unterricht gemacht haben. Was wir am Wochenende vorhaben. Leo: Und Fußball natürlich! Shabana: Bei uns gibt's eigentlich momentan nur ein Thema: den Quali, was in den Proben drankommen wird.

SZ: Sprecht Ihr überhaupt nicht über diese Berliner Hauptschule, in der es so chaotisch zugeht? Leo: Das ist dort, wo Mädchen in die Mülltonne geworfen worden sind, oder? Dominik:Das ist schon brutal. Aber bei uns ist so was nicht so üblich. Wir haben alle ein gutes Verhältnis zueinander.

SZ: Könnt Ihr euch vorstellen, warum es an dieser Hauptschule Gewalt gibt? Dominik:: Da fängt einer mit einem Schubser an, und dann schaukelt sich das hoch. Leo: Da geht's um die Ehre. Jemand fühlt sich verletzt und will das wieder bereinigen. Dominik:: Das kennen wir auch. Aber bei uns schaukelt sich das halt nicht hoch. Wir sagen vorher ,Stopp' und gehen einfach weg.

SZ:: Und wenn derjenige, der Zoff manchen will, dir einfach nachgeht? Dominik:: Dann beachte ich ihn einfach nicht. Das habe ich im Streitschlichterseminar gelernt: nicht darauf eingehen! Shabana: Wir sind alle drei Streitschlichter. Wenn wir in der Pause merken, dass jemand streitet, dann fragen wir: Wollt Ihr, dass wir den Streit lösen? Die meisten machen dann auch mit. Manche kommen sogar ein zweites Mal, wenn's beim ersten Mal nicht klappt. Dominik:: Die sind froh, dass es uns gibt. Sonst artet es in 'ne Schlägerei aus. Und die meisten wollen das gar nicht.

SZ: Gibt es Zoff zwischen Älteren und Jüngeren auf dem Pausenhof? Dominik:: Die Kleineren mucken sich immer so auf, sagen Ausdrücke zu den Größeren, und dann flippen die Großen aus und packen sie. Die Kleinen wollen da ihren Spaß haben.

SZ: Und Ihr müsst aufpassen, dass es Spaß bleibt? Dominik:: Meist lachen die Größeren. Leo: Aber die Kleinen werden immer frecher. Die haben ältere Brüder, und deshalb trauen sie sich. Dominik:: Ich hatte auch schon mal Streit mit so einem Kleinen aus der Fünften. Dann bin ich zum Heinzi gegangen, und der hat den Kleinen gefragt: Wie würdest du dich fühlen, wenn jemand dich so anmacht? Und dann haben wir uns wieder vertragen.

SZ: Wer ist der Heinzi? Dominik:: Das ist einer von den beiden Schulsozialarbeitern. Zu dem kann man gehen - oder zum Vertrauenslehrer, den wir selbst wählen, oder zum Konrektor. Shabana: Denen kann man eigentlich allen vertrauen.

SZ: Was passiert, wenn sich Schüler nach Schulschluss streiten? Shabana: Letztens haben sich zwei Mädchen an der Bushaltestelle geschlägert. Dann sind andere zu uns gekommen und haben uns das erzählt. Aber die beiden wollten nicht, dass wir schlichten. Daraufhin haben wir nochmal mit denen geredet, und dann wollten sie es doch. Wir müssen uns auch um das kümmern, was am Nachmittag passiert. Denn der Streit geht ja in der Schule weiter, und deshalb betrifft er uns auch.

SZ: Wie sähe es ohne Streitschlichter an eurer Schule aus? Leo: Sicher schlimmer. Dann gäbe es vielleicht Bandenkriege. Jeder hat ja seine Clique, seine Freunde.

SZ: Kämpfen die Cliquen gegeneinander? Leo: Nee. Aber manchmal stehen schon welche rum und freuen sich, wenn jemand aus ihrer Gruppe schlägert. Aber dann kommen auch gleich die Lehrer. Dominik:: Es steht in der Pause immer einer auf dem Pausenhof, einer in der Mensa und einer vor der Toilette, damit da niemandem etwas passiert. Bei uns darf jetzt im Unterricht sowieso keiner mehr auf die Toilette. Weil so viel geraucht wird.

SZ: Wird das bestraft? Shabana: Wenn der Lehrer einen erwischt, gibt es einen Verweis. Wenn man nur nach Rauch riecht, können die nichts tun. Aber die sind schon streng.

SZ: Über die Hauptschule wird ja oft schlecht geredet. Wie empfindet ihr das? Leo: Diese Vorurteile mag ich nicht. Wir sind nicht so wie andere Hauptschulen. Und auch auf dem Gymnasium gibt's doch mal Schlägereien, oder? Dominik:: Ich kenne auch jemanden, der an der Realschule ist und der immer sagt: Hauptschule, was ist denn das? Aber ich rege mich da nicht drüber auf. Leo: Wir Hauptschüler können Experimente machen, am Mikroskop zum Beispiel. Das fehlt den Gymnasiasten, die schreiben alles auf und müssen das dann alles auswendig lernen. Wir sehen etwas, und dann fällt es uns leichter. Und wir können ja auch noch auf die Wirtschaftsschule und dann aufs Gymnasium und studieren.

SZ: Ihr könnt, aber klappt das denn auch? Shabana: Wir haben schon viele, die weg gehen.

SZ: Woran liegt es bei denen, die es nicht schaffen? Dominik:: Viele haben einfach keinen Bock zu lernen. Shabana: Die meisten haben's wohl schon in der Grundschule nicht ernst genommen. So wie ich. Jetzt bereue ich das. Aber ich finde sicher mal Arbeit. Und wenn ich putzen gehen muss. Leo: Man muss sich schon anstrengen. Der Arbeitsmarkt ist sehr schlecht zurzeit, und dass der besser wird, ist nicht zu erwarten.

SZ: Wie wichtig ist es da, gut Deutsch zu können? Shabana: Das muss man können. Die meisten Ausländer verstehen es auch, aber sie trauen sich nicht zu reden. Dominik:: Sie denken, sie formulieren falsch. Aber mein Lehrer hilft denen und sagt: "Jetzt traut's euch mal." Er redet auch manchmal nach dem Unterricht mit denen und ermutigt sie.

SZ: Wird bei Euch auf dem Pausenhof Deutsch gesprochen? Leo: Zwei Drittel reden deutsch, die anderen türkisch, arabisch . . . Shabana: Die Lehrer mögen es aber nicht, wenn man im Unterricht die eigene Sprache spricht.

SZ:Ärgert Euch das, wenn Ihr die anderen nicht versteht? Dominik:: Das ist mir egal, das geht mich ja nichts an. Shabana: Wenn es meine Freunde wären, die untereinander türkisch sprechen, würde es mich schon stören. Meine Familie stammt ja aus Afghanistan. Aber mit meinen Freundinnen rede ich deutsch.

SZ: Was wollt Ihr mal werden? Dominik:: Feinmechaniker. Leo: Feinmechatroniker oder Spengler. Da mache ich jetzt in den Ferien auch ein Praktikum. Shabana: Ich versuche, auf eine Wirtschaftsschule zu gehen. Dominik:: Wir gehen mit der Schule auch in Betriebe und schauen da zu. Die Lehrer kümmern sich schon um uns. Und die freuen sich mit uns, wenn es mit dem Praktikum klappt.

SZ: Wie schwierig ist es, eine Lehrstelle zu finden? Shabana: Eine Freundin von mir hatte den Quali mit 2,0 geschafft. Sie hat 60 Bewerbungen losgeschickt. Aber sie hat jetzt zwei Zusagen bekommen.

SZ: Was macht Ihr am Nachmittag? Leo: Ich habe vier Nachmittage in der Woche Unterricht und zusätzliche Wahlkurse, das ist wie später Überstunden. Das ist schon viel mit dem Nachmittagsunterricht. Aber man muss es machen. Die Arbeitgeber schauen ja später drauf.

SZ: Da bleibt für Computerspiele gar keine Zeit? Leo: Bei mir nicht, aber ich kenne einige, die schwänzen. Auch, um fernzusehen. Shabana: Oder die sitzen am Computer zum Spielen, Chatten. Dominik:: So Schießspiele.

SZ: Habt Ihr Angst davor, wie es nach der Schule weitergeht? Shabana: Mich macht es traurig. Ich weiß ja nicht, wie es wird.

© SZ vom 8.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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