Schreibübung:Im Fluss

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Kalligrafie kann entspannen - wenn man sie erst einmal erlernt hat. Zu Besuch bei einem Schreibkurs der Volkshochschule

Von Tanja Schwarzenbach, München

Kalligrafie, sagen einige Kalligrafen, sei entspannend. Man vergesse darüber die Zeit. Man schreibe im Fluss. Und sei dabei trotzdem relativ langsam, denn die Schreibgeschwindigkeit passe sich zwangsläufig dem Material an: Ist das Papier fest und schreibt man mit der Feder, muss man sie auch fester andrücken. Das kann den Tatendrang unangenehm bremsen. Oder das Leben angenehm entschleunigen - je nachdem.

Man muss sich ja nicht so viel vornehmen wie Donald Jackson. Der britische Kalligraf schrieb 13 Jahre lang an einer Auftragsarbeit, der St. John's Bible. 1998 begann er damit und 2011 war er mit den etwa 1100 Seiten endlich fertig. Immerhin war es die erste Bibel in 500 Jahren, die wieder mit der Hand geschrieben wurde. Und es war außerdem ein Rückbesinnen auf eine Zeit, in der kalligrafische Schriften für die Abschrift heiliger Texte verwendet wurden. Nicht nur galt der Schreibvorgang als etwas Besonderes, weil er Konzentration verlangte, sondern auch die Schrift als außergewöhnlich schön.

Genau das bedeutet Kalligrafie: "Schönschreiben von Hand" - und genau deswegen haben sich an diesem frühen Abend in Neuhausen zehn Teilnehmer zu einem Kalligrafie-Kurs der VHS eingefunden. Sie möchten nicht mehr nur die "Times New Roman" in den Computer tippen, sondern Schönes mit der Hand schreiben. Eine der Teilnehmerinnen, eine freie Lektorin, meint, dass ihr die PC-Arbeit die Handschrift "versaut" habe. Und die Landschaftsarchitektin Ariane Kreß hat genug von der schwarzen Blockschrift, die sie ständig auf Skizzen verwenden muss. Andere wiederum möchten schöne Grußkarten schreiben können.

Es erfordert etwas Übung, mit Feder und Tinte zu schreiben. (Foto: Lukas Barth)

Im vierten Stock des Neuhauser Trafo beugen die Teilnehmer konzentriert ihre Köpfe über weiße Papierbögen und versuchen, mit dem Federhalter das Alphabet der sogenannten humanistischen Kursive, einer Schrift der Renaissance, von einer Vorlage abzuschreiben, die Kursleiterin Irmgard Bauer gerade herumgereicht hat. Ein senkrechter Strich, ein Halbkreis daneben, ein bisschen Schwung dabei und schon wäre ein "D" perfekt mit der Feder geschrieben - wäre, denn Kalligrafie braucht Übung. Die Buchstaben sollen auf einer Höhe sitzen, einen gleichen Abstand haben, an bestimmten Stellen dicker und an anderen dünner verlaufen. Die Tinte der Feder geht aber aus, wann sie will, und ja, es braucht etwas Geduld, möchte man Kalligrafie erlernen, beziehungsweise eine der historischen Schriften, die unter den Begriff fallen. Erst recht, wenn man schnelles Schreiben gewohnt ist.

Irmgard Bauer, die schon seit mehr als 20 Jahren Kalligrafie an der VHS unterrichtet und selbst an der Kunstakademie Malerei und Design studiert hat, ist über diese Phase längst hinweg. Sie strahlt an diesem Abend nicht nur die Entspannung aus, die Kalligrafie auslösen soll , wenn man sie beherrscht, sondern besitzt auch ein Maß an Geduld und Toleranz, das man als Sitznachbarin nicht unbedingt aufbringt, wenn nebenan der einzige Mann im Kurs etwas ganz anderes macht als vorgesehen. Er schreibt nicht das Alphabet der humanistischen Kursive ab, sondern bringt asiatische Schriftzeichen zu Papier, die er in seinem Mobiltelefon gegoogelt hat. Anmutig sehen sie auch noch aus, während man selbst nicht mal mit der Feder zurecht kommt, grüne Finger von der Tinte hat und dabei zusehen muss, wie der Notizblock einen großen Klecks Farbe aufsaugt. Irmgard Bauer geht von einer Teilnehmerin zur nächsten und gibt immer wieder Tipps: "Die Feder leicht schräg halten." "Nicht Serien einzelner Buchstaben verbessern die Qualität, sondern das Schreiben des Alphabets." Oder: "Beim Zeichnen von Schnörkeln hilft es, bewusst ein- und auszuatmen."

Schweigen kehrt ein, Papier raschelt. Hin und wieder dringt das genervte Hupen der Autofahrer auf der Nymphenburger Straße nach oben. Die Geräusche scheinen aber doch so fern wie der Arbeitstag, den viele der Anwesenden hinter sich haben. Kalligrafie ist vielleicht nicht gleich entspannend, wenn man sie erlernt. Irmgard Bauer sagt, dass man davon durchaus einen Krampf in der Hand bekommen könne. Aber es stimmt: Man vergisst darüber die Zeit. Zweieinhalb Stunden hat der Kurs gedauert. Die Abendsonne, die man meint, gerade eben noch gesehen zu haben, ist längst hinter schwarzen Baumkronen verschwunden.

Für den Einsteigerkurs der VHS am 9. Juli kann man sich nur noch auf die Warteliste setzen lassen. Ähnliche Kurse leitet Irmgard Bauer aber im Freilichtmuseum Glentleiten am 20. Juni und 19. September, dort gibt es noch freie Plätze.

© SZ vom 12.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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