Schranne Architekturkritik:Schöne, vertane Chance

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Auf der Suche nach einem architektonischen Kompromiss ging die Raumwirkung der Schrannenhalle verloren.

GOTTFRIED KNAPP

Da ist zunächst einmal die unverschämte Länge der Halle: Kein Bauamt der Gegenwart würde eine 110 Meter lange Konstruktion, die drei quer verlaufenden Straßen den Weg versperrt, jemals genehmigen. Dabei ist der Bau, der uns jetzt entlang der Blumen- und der Prälat-Zistl-Straße die soghaften Perspektiven spendiert und ein ungehöriges Tempo in die gemütlichen Häuserfolgen rund um den Viktualienmarkt bringt, nur ein kurzer Abschnitt jener für heutige Begriffe ungeheuerlich langen Konstruktion von 403 Metern Länge, die der Ingenieur Franz Karl Muffat im Jahr 1851 als Getreidehalle modernsten Typs vor die engen, verwinkelten Gassen des mittelalterlichen Angerviertels gesetzt hat.

(Foto: Foto: Peter Hudec)

Zwei steinerne Kopfbauten - der eine am Viktualienmarkt, der andere am fernen Angertor, also dort, wo sich heute das Städtische Backsteinhochhaus erhebt - gaben der fast immateriell leichten Hallenkonstruktion wie zwei Buchstützen von den Enden her Halt. Der steinerne Mittelbau enthielt die Serviceeinrichtungen, die auch damals schon zu einem ganztägig belebten, auf beiden Seiten offenen, von keinen Zwischenwänden behelligten Marktgebäude gehörten.

ganztägig-allnächtliche Geldabschöpfung

Es war eine der schönsten Eingebungen der hiesigen Lokalpolitik, dass der auf dem Gelände der Stadtwerke an der Dachauer Straße abgestellte und als Lagerhalle missbrauchte Rest der anspruchsvollen Gusseisenkonstruktion als überregional interessantes Denkmal des frühen Industriezeitalters wieder an seinen ursprünglichen Standort am Viktualienmarkt zurückkehren sollte.

Die jahrelangen Streitereien um die Art und die Finanzierung des Wiederaufbaus haben aber schon gezeigt, dass sich die alte Idee des offenen Marktunterstands mit den heutigen Geschäftsvorstellungen und Sicherheitsauflagen nicht mehr vereinbaren lässt. So suchte man nach architektonischen Kompromissen für das Unvergleichliche: Man wollte möglichst viel von der großartigen Raumwirkung der dreischiffigen, kirchenähnlichen Pfeilerhalle erhalten, aber dem Ganzen so feste Außenwände verpassen, dass eine ganzjährige Klimatisierung - oder genauer gesagt: eine ganztägig-allnächtliche Geldabschöpfung - möglich wurde.

Leider haben die beauftragten Architekten von den raumbildenden Qualitäten der wieder zusammenmontierten Architekturelemente so wenig begriffen, dass man hier, wie so oft in München, von einer schönen, aber halb vertanen Riesenchance reden muss.

Am ehesten hält noch der von einem bayerischen Handwerksbetrieb als Wirtshaus ausgebaute alte Kopfbau am Viktualienmarkt - in ihm war früher die Freibank untergebracht - dem kritischen Blick stand. Im Erdgeschoss kann trotz Einbau des Küchentrakts und Einfügung einer etwas plumpen Empore die herrlich weite und hohe Pfeilerhalle mit den aufstrebenden Gewölben und den großen Segmentbogenfenstern ihre Raumwirkung entfalten. Da ist einer der schönsten gastronomischen Räume Münchens entstanden. Er kann bei Bedarf in den Gewölbekeller hinab erweitert werden. Und auch die umfriedete Terrasse unter dem Westgiebel an der Prälat-Zistl-Straße wird noch Stil entwickeln, wenn sie erst fertig ist. Im Obergeschoss aber, über der neuen Pschorr-Kultstätte, wurde ein großer, heller Bürger-Festsaal eingerichtet, der einen prächtigen Blick über den Viktualienmarkt bietet.

(Foto: Foto: Peter Hudec)

zarter grüner Farbton

Beim Betreten der Schrannenhalle drängen sich zwar die mobilen Stände der Händler und Handwerker mit ihren Schaufronten mächtig auf, aber die Tiefenwirkung der lang gestreckten Halle und der hoch über den Designerschrott hinwegfliegenden Deckenkonstruktion lässt sich nicht verwischen. Man staunt über die fabelhaft natürliche Helligkeit, die sich von den gläsernen Obergadenfenstern des Mittelschiffs in die Halle ergießt; staunt über die fast unbegreiflich zierlichen eisernen Verstrebungen der Dachkonstruktion, die viele moderne Konstruktionen rübezahlhaft plump aussehen lassen; und genießt die Abfolge der gusseisernen Mittelschiff-Säulen, die aus einem ausgeprägten Sockelschaft entspringen und im Goldenen Schnitt ein Kapitell zeigen, also in sich fein rhythmisiert sind.

Der zarte grüne Farbton, mit dem die alten Eisenteile gefasst sind, gibt den Konstruktionen ihre Plastizität, er verhilft ihnen zur dritten Dimension im farblosen neuen Kontext und lässt so die Ursünde der modernen Überarbeitung, die Fatalität des Ausbleichens und Glättens geradezu handgreiflich werden.

Fehler bei der Außenwand

Die fensterlose hohe, nackte Wand zum "Pschorr" hin und die modernen "Dachsparren" zwischen den Eisenträgern sind so penetrant kunststoffweiß gestrichen, dass jegliches Leben, jede Tiefe aus ihnen weicht. Peinlich in ihrem Silberglanz auch die dicken Entlüftungsrohre, die zur Kommunikation mit den Gusseisensäulen nicht fähig sind. Weiter kann man sich von der filigranen Plastizität der alten Eisenkonstruktion eigentlich nicht entfernen.

Doch die größten Fehler wurden bei der Gestaltung der neuen Außenwände gemacht. So schön und sinnvoll die Öffnung der Glaswände im Erdgeschoss auf die einmündenden Straßenräume Am Einlass, Utzschneiderstraße und Sebastiansplatz ist, so unsinnig war der Versuch, durch stockwerkhohe Glaspaneele die neu zu schaffenden Wände aufzulösen und so den historischen Eisensäulen zur Wirkung zu verhelfen. Bewirkt wird dadurch nämlich genau das Gegenteil; denn um die schweren Platten zu stabilisieren, sind im Inneren monströse stählerne Querwände in ganzer Höhe nötig, die wie Schilder den historischen Säulen draußen die Schau stehlen. Auf der Außenseite aber schließen sich die riesigen Glaspaneele zu einer geschlossenen, langen, glatten Wand zusammen, in deren perspektivischem Sog die feinziselierten Gusseisensäulen jegliche Wirkung verlieren.

Die Durchlässigkeit der alten Schrannenhalle wurde also dem modischen Effekt der großflächigen Verglasung geopfert, der die Halle nicht öffnet wie gewünscht, sondern hermetisch verschließt. Hätten sich die Architekten - gegen das moderne Diktat - zu einer kleinteiligeren Verglasung, etwa zu gesprossten Fensterwänden und japanisch verschiebbaren Türen, entschlossen, wären die Außenwände lebendig geblieben und hätten mit den historischen Strukturen wenigstens zu kommunizieren versucht.

Ganz unbegreiflich ist schließlich der Abschlussbau mit der Garageneinfahrt, den die Architekten am alten Kriegsbunker hochgezogen haben. Seine Haut aus farbigen Glasplatten verweigert jegliche Kommunikation mit der Historie wie mit der Umgebung.

© SZ vom 27.08.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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