Schlechte Nachrichten :"Strukturschwaches Gebiet" Erding

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Frivol: Kinowerberbung im Jahr 1977. (Foto: oh)

Die Lektüre der ersten Ausgaben der SZ Erding zeigt: Früher war nicht unbedingt alles besser. Mal fehlte ein Arzt. Mal fürchteten viele Bürger, dass mit dem Wegfall des Fliegerhorsts viele Arbeitsplätze verloren gehen.

Von Mathias Weber

Der Blick auf die Seiten der allerersten Ausgaben der SZ Erding des Jahres 1977 ist eine Zeitreise: das Papier vergilbt und dünn, die Fotos in Schwarz-Weiß, das Layout durcheinander und wenig klar. Keine Internetadressen auf den Seiten, die Erdinger Vorwahl war damals schon die 08122, das Telefon war aber das Telephon. Und die Inhalte, um die es ja eigentlich geht bei einer Zeitung? Wirken zum Teil historisch, zum Teil hochaktuell - eine Auswahl der Artikel aus des Ausgaben des ersten Woche der SZ Erding Anfang Mai 1977.

Ein Arzt für Forstern

Mit einer dramatischen Nachricht beginnt die Geschichte der SZ Erding: "In Forstern krankt es an Ärzten", steht da. Die Bürger hätten es satt, so steht es im Artikel: Nach wie vor sei bei den Politikern der Gemeinde kein Bemühen erkennbar, sich um einen - den ersten - Arzt im Ort zu bemühen. Bürgermeister Josef Eicher verwies während einer Bürgerversammlung darauf, dass die Niederlassung eines Arztes in erster Linie von der Erteilung der kassenärztlichen Zulassung abhänge - und schließlich im darauffolgenden Jahr zwei neue Ärzte im benachbarten Reithofen ihre Praxen eröffnen. Aber die Geschichte ging gut aus, heute betreibt der Allgemeinmediziner Lothar König eine Praxis in Forstern.

Denkmal in Erding

Auch im Jahr 2017 gibt es in Erding offenbar noch nicht genug Kunst im öffentlichen Raum, der Stadtrat beschäftigt sich immer wieder mit dem Thema. Anfang Mai 1977 hatten sich die Stadträte aber mit einem außergewöhnlichen Denkmal zu befassen, das heute noch steht. Am Grünen Markt sollte ein Kriegerdenkmal entstehen, und so meldet die SZ Erding am Freitag, 6. Mai: "Wettbewerb entschieden". In nicht-öffentlicher Sitzung hatten sich die Räte einstimmig für den Entwurf des Künstler Hans Huschka entschieden: eine Bronzesäule mit metallernen Dornen in der Mitte, um sie herum Tafeln mit den Namen der Erdinger Gefallenen. 94 000 Mark soll es kosten. Die SZ druckt auf der ersten Seite Fotos aller anderen Entwürfe - in der Nachschau war die damalige Entscheidung des Stadtrates wahrscheinlich keine schlechte.

Aufruf für Europa

Heute passt einigen das vereinigte Europa nicht, im Jahr 1977 war das noch anders. Landrat Simon Weinhuber hat am 5. Mai einen Aufruf zum Europatag in der SZ abdrucken lassen. Der Europatag, heute fast vergessen, soll an den historischen Beginn der Einigung Europas erinnern, so der Landrat. Etwas kompliziert bekennt sich Weinhuber zu Europa: Es komme "im Zuge der Bemühungen um eine Einigung Europas entschieden darauf" an, "daß die überwältigende Mehrheit unserer Bürger die Bedeutung des gemeinsamen Europas erkennt." "Europa kommt nicht von selbst", hieß das Motto des Gedenktages, und das will auch Weinhuber: "Identifizieren wir uns also mit den Einigungsbemühungen, zum Nutzen unserer engen und weiteren Heimat."

Angst um den Fliegerhorst

Ein Thema, das die SZ in Erding von Anfang an beschäftigt, ist der Fliegerhorst - und offenbar auch die Frage, wie lange es ihn noch gibt. Anfang Mai 1977 besucht der Bundestagsabgeordnete Hermann Wimmer den Fliegerhorst und kündigte an, dass er "zu jeder Zeit die Arbeitsplätze" verteidigen werde. Deren Verlust befürchteten in Erding offenbar viele. Weiter sagte Wimmer, dass es ein Unterschied sei, ob in einem Ballungszentrum Arbeitsplätze wegfallen müssten oder in einem strukturschwachen Gebiet, wie es der Landkreis Erding sei. Strukturschwach ist der Landkreis nicht mehr, und die Arbeitsplätze am Fliegerhorst sind weggefallen. Die Zeiten haben sich geändert, auch was das Militär angeht. Vor 40 Jahren hatte das Thema noch so eine Brisanz, dass die CSU in Erding einen eigenen "Wehrpolitischen Arbeitskreis" betrieb. Am 24. Mai 1977, 19.30 Uhr im Mayr Wirt, organisierte man eine "Großveranstaltung", wie es damals hieß. Thema: "Nato und Warschauer Pakt - ein Vergleich."

Langengeisling fusioniert

Heute ist der Umstand fast vergessen, aber im Jahr 1977 war Langengeisling noch eine eigene Gemeinde. Geplant - beziehungsweise von der Staatsregierung angeordnet - ist die Fusion mit der Kreisstadt Erding ein Jahr darauf. Die Reporter der SZ Erding fragen sich daher Anfang Mai 1977, wie die Stimmung ist in dem Ort. Keine Überraschung: Sie war schlecht. Ein Gemeinderatsmitglied wird zitiert mit der Aussage, dass er die Fusionsentscheidung der Regierung immer weniger verstehen könnte, wo es der Gemeinde doch finanziell so gut gehe - die Pro-Kopf-Verschuldung der damals 1927 Einwohner lag bei "vergleichsweise geringfügigen" 385,15 Mark. Trotz allem Lamentierens: Die Fusion verhindern konnte man nicht, und es kam ja auch so, wie es der damalige Langengeislinger Bürgermeister Josef Kaiser voraussah: dass die Geislinger dann "dieselben Bürger san wie die Erdinger a."

Die Werbung

Vor 40 Jahren war die Zeitung die Informationsquelle Nummer Eins - und so druckten viele Unternehmen ihre Werbung auf die Seiten des Lokalteils der SZ. Da war zum Beispiel Elektro Selmaier: Ein "Telespiel" gab es damals für 138 Mark, einen Farbfernseher für 898 Mark. Diese Preise schockieren nicht, solcherlei Produkte sind heute vielleicht sogar ein wenig günstiger zu haben. Zum Teil sehr viel günstiger aber waren damals die Lebensmittel. Der Coop-Supermarkt, den es damals noch gab, informierte über aktuelle Angebote: Eine Salatgurke kostete 77 Pfennige, 100 Gramm Lyoner 69 Pfennige. Wie viel ein Kinoeintritt im Jahr 1977 gekostet hat, das ist nicht bekannt, was am Freitag, 13. Mai, in den Rathaus-Lichtspielen in der Langen Zeile lief, aber schon. Und man staunt: "Streit und Liebe, Sex und Hiebe" steht da, um 20 Uhr beginnt "Liebesgrüße aus der Lederhose, 3. Teil"

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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