Die Dame, die im mintgrünen Blazer auf der Bühne steht, ist aufgeregt. Sie holt tief Luft, bevor sie dem Moderator antworten kann, ob sie sich freut. "Jaaa", sagt sie langgezogen. Und dann: "Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich heute beschenkt haben." Sie hält einen Umschlag in der Hand, darin sind 80 000 Euro. Der Saal tobt, 600 Menschen klatschen begeistert. Der Mann mit dem Mikro grinst.
Es ist einer von vielen Sonntagen am Nockherberg. Am Eingang kontrollieren Türsteher den Stempel. Herein kommt nur, wer eine Einladung hat. "Zukunftsprojekt Deutschland" nennt sich das Ganze. Das Licht ist gedämpft.
Der Traum vom Geld
Die Herren tragen Anzug mit Krawatte, die Damen bunte Kleider. An den Wänden hängen Schilder. Darauf sind Kreise, in die Vornamen gekritzelt sind. Darüber stehen Städtenamen. Jede Stadt repräsentiert einen sogenannten Chart. Jeder Chart steht für den Traum vom großen Geld. Den haben hier alle.
Der Moderator ist ein junger Mann mit Pferdeschwanz. Es fällt ihm leicht, die Leute für eine Idee zu überzeugen, die vom Bundesgerichtshof (BGH) als "sittenwidrig" eingestuft wurde. Er erklärt das Prinzip der vermeintlich wundersamen Geldvermehrung: Es ist das Prinzip eines Schenkkreises, auch wenn er diesen Begriff nicht in den Mund nimmt.
Und er spricht auch nicht davon, dass es wesentlich mehr Verlierer als Gewinner gibt. "Es gibt Gerichtsurteile, die das auch anders beurteilen", sagt ein zweiter Moderator nach einer Veranstaltung.
Ein Schenkkreis funktioniert nach dem Schneeballprinzip. Es ist eine auf dem Kopf stehende Pyramide. Acht Menschen übergeben dem an erster Position Stehenden 10 000 Euro, dann teilt sich die Pyramide. Die verbleibenden Teilnehmer rutschen eine Reihe nach unten, müssen neue Mitspieler anwerben, die ihr Geld einbringen.
90 Prozent der Teilnehmer gehen leer aus
Da es sich um Schenkungen handelt, ist es steuerfrei. Doch bevor es zu einer Schenkung kommt, brechen solche Kreise oft zusammen. Schon nach wenigen Runden müssten Tausende neue Teilnehmer zum Mitmachen animiert werden. Im Urteil des BGH heißt es, die Schenkkreise seien anstößig, weil die große Masse der Teilnehmer ihren Einsatz verliert, während die Veranstalter meist sichere Gewinne einfahren.
Dennoch erfreuen sich Schenkkreise immer größerer Beliebtheit, obgleich nach Berechnungen von Mathematikern fast 90 Prozent der Teilnehmer leer ausgehen. In diesen Rechnungen seien etliche Faktoren nicht berücksichtigt, kontert der Moderator des Zukunftsprojekts.
Sein Kollege auf der Bühne geht auf die Gewinnaussichten nicht ein. Er sagt: Der Staat will ihnen ihr Geld wegnehmen, sie müssen sich selber helfen. Heftiges Nicken, zustimmendes Klatschen. Dann spricht er über die Mehrwertsteuererhöhung, explodierende Benzinpreise, steigende Arztkosten: "Überlegen Sie sich also, ob Sie sich eine solche Chance, wie wir sie Ihnen heute zeigen, wirklich entgehen lassen wollen", sagt der Moderator. "Nächste Woche zahle ich auch ein", sagt eine Dame begeistert zu ihrer Tischnachbarin.
"Ich war total naiv"
Eingezahlt hat Martin Kaiser auch. Seinen richtigen Namen will er allerdings nicht in der Zeitung lesen, weil er Angst vor Repressionen hat, wenn er über seine Erfahrungen mit einem Schenkkreis spricht. 10 000 Euro hatte er gespart. Eigentlich wollte Kaiser sich davon eine Fortbildung finanzieren. Dann sprach ihn eine Arbeitskollegin an. Sie kenne eine Methode, wie man leicht an viel Geld kommt.
Kaiser war neugierig geworden, fuhr nach München, sah Leute auf der Bühne, die offenbar spielerisch reich wurden. "Ich dachte, ich wäre dumm, wenn ich das nicht mache", sagt er rückblickend. In der nächsten Woche fuhr er wieder zu der Veranstaltung, verschenkte 10 000 Euro. "Ich habe mich blenden lassen, ich war total naiv."
Anfangs machte er sich keine Sorgen, auch nicht, als es in seinem Chart nicht voranging. Ständige Motivationstreffen ließ er über sich ergehen, die Veranstaltungen am Sonntag besuchte er auch regelmäßig. "Die machen eine regelrechte Gehirnwäsche mit dir", sagt Kaiser. Es seien immer dieselben Personen, die gewinnen, in den Charts stünden einige Teilnehmer nur zum Schein, um die anderen bei Laune zu halten.
"Es wirkt so, als ob die Veranstalter einen auf den Arm nehmen und nur durch ihr ständiges Zureden und Vertrösten bei der Stange halten", sagt Kaiser. Der Moderator des Zukunftsprojekts weist die Anschuldigungen zurück.
"Es wird doch niemand gezwungen"
"Bei uns werden die Teilnehmer offen und ehrlich aufgeklärt", sagt der Mann, der ebenfalls nicht namentlich erwähnt werden möchte. "Es wird doch niemand gezwungen, an den Veranstaltungen teilzunehmen und Geld einzuzahlen. Aber wir bieten eigene Workshops an, wo alles genau erklärt wird."
Seit Kaiser sein Geld verschenkt hat, ist mehr als ein Jahr vergangen. Die Fortbildung fand ohne ihn statt. Er konnte sie sich nicht leisten. Trotz ständiger Versprechungen erhielt er seinen Einsatz nie zurück. Laut BGH steht der ihm zu: Einzahlungen in Schenkkreise gelten juristisch so, als hätten sie nicht stattgefunden.
Kaiser kontaktierte Dagmar Schön. Die Münchner Anwältin vertritt eine Reihe von Mandanten, die Geschädigte von Schenkkreisen sind. "Die Chancen stehen günstig, dass man sein Geld zurückbekommt, weil die Richter auf das Urteil des BGH zurückgreifen können", sagt sie.
"Mafiöse Strukturen"
Die Anwältin kämpft auch gegen "die mafiösen Strukturen der Schenkkreis-Veranstalter". Sie vermutet, dass es sich oft um Betrug handelt, weil sich erfahrene Teilnehmer in bessere Positionen bringen, um beschenkt zu werden, während das Gros der "brav einzahlenden Teilnehmer viel Geld verliert."
Verbraucherzentrale und Polizei warnen denn auch schon lange vor Schenkkreisen. "Finger weg von solchen Veranstaltungen, egal wie sie heißen: Sie sind unseriös", sagt eine Sprecherin der Verbraucherzentrale Bayern.
Im Internet findet sich unter www.daneben.de/schenkkreis/mathe.html eine Aufschlüsselung zu den Gewinnchanchen bei Schenkkreisen.