Poparchiv:Jimi Hendrix im Stahlschrank

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Rolf Stang besitzt das vielleicht größte Poparchiv der Welt. Er hat mehr als 12 000 Bilder, von AC/DC bis Frank Zappa - mit einem Versicherungswert von 1,2 Millionen Euro.

Von Gerhard Fischer

Mitte der Neunzigerjahre hat ein Verlag sehr viele Fotos von Pop-Musikern weggeworfen. Rolf Stang will nicht sagen, wie dieser Verlag hieß. Alles andere erzählt er gerne: Dass ihm ein Kollege verraten habe, die Fotos seien in einem Container gelandet; dass er, Stang, gedacht habe: "Das darf doch nicht wahr sein!" Dass er die Bilder aus diesem Container geholt habe. Dass er glücklich darüber gewesen sei, und erstaunt: "Die hatten doch das beste Bildarchiv der Pop-Zeit!"

Es bleibt nicht der einzige Superlativ, den Stang an diesem Vormittag in den Raum ruft. Der 79-Jährige hat von 1957 bis 1994 wie wild Pop-Fotos angehäuft: mehr als 12 000 Bilder, von AC/DC (250 Stück) bis Frank Zappa (60). Das ist Spitze. "So eine Sammlung gibt es nicht noch einmal auf der Welt", sagt Rolf Stang. Die Sammlung hat einen Versicherungswert von 1,2 Millionen Euro.

Es ist nicht so, dass man zu Stang nach Hause kommt und dann 12 000 Fotos in einem Fotospeicher herumliegen sieht - so wie Dagobert Duck seine Geldscheine in einem Geldspeicher gesichert hat. Es sind 12 000 kleine Farbdia-Positive, die Rolf Stang im ersten Stock seiner Münchner Wohnung aufbewahrt, in drei Stahlschränken. Die Dias sind alphabetisch geordnet. Stang steht davor, öffnet einen der Schränke und bedient sich bei A: Abba. Lustige Dias hat er da, Benny und Björn mit Backenbärten, Agnetha und Frida mit dem schrillen Fummel der Siebzigerjahre. "Den Jimi Hendrix habe ich, wie er seine Gitarre auffrisst", sagt Stang und holt ein Dia heraus, auf dem Hendrix mit nacktem Oberkörper zu sehen ist - und wie er in die Gitarre beißt.

Was sind das für Fotos? Wer hat sie gemacht? Und woher stammen jene, die nicht aus dem Container sind?

"Bis auf einige hundert, historisch besonders wertvolle Originale handelt es sich um sehr hochwertige Duplikate (sog. Profi-Dups), die aufgrund ihrer hohen Qualität äußerst schwer vom Original zu unterscheiden sind." So steht es in einem Rechtsgutachten über die Sammlung.

Superlative und ungeheuer viele Namen

Stang sagt, die Fotos seien zum Teil von bekannten Fotografen gemacht worden: von Annie Leibovitz, Timothy White oder Didi Zill. "Bei Zill bin ich heute Abend zum Essen eingeladen", sagt Stang beiläufig. Es ist an der Zeit, ihn näher vorzustellen: Rolf Stang, 1935 in Nordhessen geboren, war früher Bild-Chef bei der Deutschen Presseagentur (dpa), später arbeitete er bei Quick, Eltern, Bravo und dem Jugendmagazin Pop Rocky. Didi Zill war früher Musiker, aber er war auch Fotograf bei Bravo, und er hat die Größten fotografiert: Paul McCartney, Pink Floyd, Jethro Tull, Queen, Deep Purple. Auf Stangs Stahlschränken stehen fünf Fotobände von Zill.

Rolf Stang war also Fotoredakteur. Und er hat von vielen Bildern, die auf seinem Schreibtisch landeten, auf eigene Kosten Duplikate anfertigen lassen - womit die dritte Frage zum Teil beantwortet ist: Woher sind die vielen Fotos? Den Rest hat er von Fotoagenturen, Fotografen und Plattenlabels bekommen, er hat sie aus dem Müll gefischt, und er hat sie auch geerbt. Ende der Neunzigerjahre starb Fotograf Joachim von Czarnowski. "Scharni", wie Stang ihn nennt, beging Suizid. Er hat Stang einige hundert Bilder hinterlassen.

Rolf Stang wirft nicht bloß Superlative in den Raum, sondern auch ungeheuer viele Namen - von Fotografen, Chefredakteuren und Verlagen, die früher einmal bekannt gewesen sind. Ist das die normale Rückschau eines älteren Herren? Oder bewusstes Namedropping? Beiläufig bemerkt er, dass er sich "mit Brian Epstein unterhielt", dem lange verstorbenen, aber unvergessenen Manager der Beatles.

"Das Einzige, das ich in meinem Leben nicht geschafft habe."

Stang war selbst mal Musiker. Cellist. Nach dem Abitur ging er zur Musikhochschule, wechselte dann aber zum Institut für Film und Fernsehen. "Ich wollte zum Fernsehen", sagt er, "aber ich habe es nicht geschafft - das ist das Einzige, das ich in meinem Leben nicht geschafft habe." Er meint wohl sein Berufsleben. Stang ging dann zur Deutschen-Presseagentur nach Frankfurt und wurde dort Bild-Chef, mit 24 Jahren. Mit dem Musikmachen war da endgültig Schluss, er hatte keine Zeit mehr. Wer bei einer Presse-Agentur arbeitet, muss wissen, auf was er sich einlässt. "Wenn ein Frosch ins Wasser fiel, musste man da sein", sagt Rolf Stang. Er spricht gern in Bildern. Sein wertvolles Cello habe er vor einigen Jahren verkauft, "für einen hohen fünfstelligen Betrag".

Als er bei der dpa gewesen ist, machte er auch Reisen mit dem damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke, der seine Zuhörer in Liberia mal mit "sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger" begrüßt haben soll. Man hätte Stang gerne gefragt, wie Lübke sich sonst auf den Reisen verhalten habe; aber Rolf Stang, dieser freundliche, erzählfreudige Mann, ist schon beim nächsten Thema, bei seiner dpa, deren Korrespondenten früher mangels TV-Konkurrenz "so bekannt waren wie die Fernseh-Reporter heute", und beim übernächsten Thema, bei sich selbst: "Ich war ein ungeheuer fleißiger und wissbegieriger Mensch." Stang ist oft auf eigene Kosten ins Ausland geflogen, um bei Fotografen von anderen Agenturen gute Bilder zu bekommen, einfach so. "Das machte meine Karriere aus", sagt er.

Zu seinem Leben gehört auch ein schrecklicher Unfall, er ereignete sich vor etwa 30 Jahren. "Ein Geisterfahrer hat mich zusammengefahren", sagt er. "Meine Frau ist mit einem Foto von mir in die Klinik und hat gesagt: Können Sie ihn bitte so wieder herstellen?" Heute kann er darüber Witze machen. Damals war es furchtbar. Er war mehr als zwei Jahre im Krankenhaus.

Stang lehnt mittlerweile nicht mehr an den Stahlschränken in seiner Wohnung, er hat sich auf einen Stuhl gesetzt, in der Hand hält er ein paar Papiere. Es sind Listen von den Fotografen, von denen die Bilder stammen, und Listen der Musiker, die abgebildet sind. Wer kennt noch die Band Abstürzende Brieftauben? Stang hat 14 Dias von ihr.

Es geht in seiner Sammlung vorwiegend um Musik, aber nicht ausschließlich. Es geht generell um Popkultur. Deswegen hat er auch die Sparten Film und Bühne auf seiner Liste. Oder Sport. Stang macht einen der Schränke auf und zieht Dias von John Travolta und Patrick Swayze heraus. Selbst Boris Becker sei Pop gewesen, sagt Stang. Auch die Bodybuilder, die Schauspieler wurden, wie Arnold Schwarzenegger, gehörten dazu. Und einer wie Hulk Hogan - denn Wrestling sei eine Sportart, die in der Pop-Zeit groß geworden sei: in den Achtzigerjahren und Anfang der Neunzigerjahre.

Damals sei es den Leuten egal gewesen, welche Kleidung sie trugen, sagt Stang; schrill und bunt sei es gewesen. Die Popkultur spiegelte Lebensfreude wider. "Wenn man so einen Wrestler sieht, geht einem doch der Knopf auf." Er als "optischer Mensch" sei für diese Bühnenshows zu haben. Und deshalb hat er sie auch gesammelt, die vielen Fotos.

Gibt es ein Lieblingsbild? Stang sagt zunächst, ein gutes Foto sei ein Foto, das gedruckt werde. Da spricht der frühere Bild-Redakteur. Er geht auch nicht nachts an die drei Stahlschränke, streicht liebevoll den Staub herunter, nimmt Fotos heraus und schaut sie sich im Schein des Mondes an, lächelnd. Nein, dafür wirkt er zu nüchtern.

Er will sie sogar verkaufen, seine schöne Sammlung. Er wolle jetzt, da er bald 80 werde, Ballast abwerfen, sagt Rolf Stang. Es gehe zwar nicht ums Geld, aber freilich: Der Unterhalt der Sammlung sei schon teuer - fast 5000 Euro kostet die Versicherung pro Jahr.

Und dann sagt er doch noch, dass ihm ein Foto besonders gefalle: das mit Kate Bush hinter einer Blume. "Sehn Sie nur ihre Augen an", sagt er.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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