Rücktritt von Kardinal Wetter:Aufhören zur schönsten Zeit

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Kardinal Wetters Demission überrascht selbst enge Mitarbeiter - und gehorcht einer strengen Dramaturgie.

Monika Maier-Albang

Der Kardinal betritt den Karmelitersaal durch die Hintertür. Vorne wäre ohnehin kein Durchkommen ob der vielen Mikrophone und Kameras. "All das für mich?", flüstert er, mehr zu sich selbst als in Richtung der Wartenden.

Kardinal Wetter mit Papst Benedikt XVI. bei Kommunionkindern im Dom. (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Dann setzt er sich, lächelt kurz und verliest, gerahmt von seinem Generalvikar Robert Simon und dem in Kirchenrecht versierten Offizial Lorenz Wolf, das dreizehn Sätze umfassende Statement zum eigenen Rücktritt; als er für das "mir lieb gewordene Erzbistum" Gottes Segen erbittet, zittert seine Stimme. Nach zwanzig Minuten ist die am Morgen überraschend angekündigte Pressekonferenz vorüber und der Kardinal schon wieder still und heimlich entschwunden.

Es ist ein Abgang, der zu Friedrich Wetter passt. Ein Mann der großen Worte und Gesten ist er nicht; er wirkt immer etwas unsicher, wenn Kameras auf ihn gerichtet sind. Und: Wetter mag es nicht, wenn zu viel Aufhebens um ihn gemacht wird. Was er in den wenigen Sätzen sagt, ist allerdings ein Coup. Der Kardinal tritt zurück und bleibt doch dem Bistum bis zur Ernennung eines Nachfolgers als "Apostolischer Administrator" erhalten - quasi als sein eigener Vertreter. Das Konstrukt hat der Papst selbst vorgeschlagen.

Es reifte bei Wetters letzten Besuchen in Rom und zahlreichen Telefonaten zwischen ihm und Benedikt XVI. Und es hat zwei Dinge zur Folge: Zum einen wird eine lähmende Übergangszeit vermieden, zum anderen "schützt es das Bistum vor den herumstreunenden Hyänen, wenn der starke Mann noch da ist", wie ein Kirchenmann sagt.

Schutz vor den Hyänen

Die Meldung vom Rücktritt kam am Freitag nicht nur für Journalisten überraschend. Selbst im Ordinariat gingen die Mitarbeiter davon aus, dass Wetter sich noch einige Monate mit dem Rücktritt Zeit lassen werde. Man bereitete in aller Seelenruhe die Sonderzüge nach Rom vor, die im April die Gläubigen zum 80.Geburtstag des Papstes bringen sollen. Lediglich der engste Kreis der Mitarbeiter wusste Bescheid; das Domkapitel erfuhr am Dienstag, dass es ernst wird - hielt aber dicht.

Aber auch dort wurde gerätselt. Der Kardinal ist gesund, hat Freude an der Arbeit. Warum sollte er jetzt schon gehen? Klar war nur, dass Wetter nicht länger als bis zu seinem 80. Geburtstag im Amt bleiben würde, doch in zwei Wochen, am 20. Februar, wird Wetter erst 79. Erst das Administrator-Konstrukt machte den Rücktritt logisch, erspart es doch dem Bistum eine bischofslose Zeit.

Dies direkt an seinem Geburtstag zu verkünden, hielt Wetter aber für unpassend - das Datum fällt diesmal auf den Faschingsdienstag. Ein symbolträchtiges Kirchenfest schien da geeigneter: Am gestrigen Freitag war Mariä Lichtmess, das Ende der Weihnachtszeit und der Tag, an dem früher die Dienstboten ihren Arbeitsplatz wechselten.

Als Dienst hat auch der gebürtige Pfälzer Friedrich Wetter sein Amt stets verstanden. Allerdings mussten sich Hirte und Volk erst aneinander gewöhnen, als Wetter im Oktober 1982 von Speyer nach München wechselte. Blass und unbeholfen wirkte der ehemalige Dogmatik-Professor Wetter im Vergleich zu seinem Vorgänger Joseph Ratzinger, der an die Spitze der vatikanischen Glaubenskongregation berufen worden war.

Doch während Ratzinger das Erzbistum polarisiert hatte, ging Wetter dazu über, es mit Fingerspitzengefühl zu leiten. Von manchen Amtsbrüdern wird er dafür belächelt, weil er angeblich die Zügel zu locker halte. Aber dafür darf in den Gremien offen geredet werden, es gibt kaum Zwist mit den Uni-Professoren der katholischen Fakultät, und in kaum einem Bistum sind so viele Führungspositionen mit Frauen besetzt worden wie in München.

Zur Tagespolitik äußert sich Wetter vor allem, wenn er die Würde der Menschen bedroht sieht - durch die Genforschung, ein zu rigides Asylrecht oder auch wenn es gilt, den Sonntag arbeitsfrei zu halten. Nach dem Kruzifixurteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1995 ließ er einen Massenprotest auf dem Marienplatz organisieren, schon um den Politikern zu zeigen, wie viel Volk die katholische Kirche in Bayern mobilisieren kann.

2002 ließ Wetter die Archive seines Vorgängers während der NS-Zeit, Michael von Faulhaber, öffnen, um eine bessere Aufarbeitung des Verhältnisses zwischen Kirche und Nationalsozialismus zu ermöglichen. Hart war für ihn die Zeit, als die deutschen Bischöfe mit Papst Johannes PaulII. um die Schwangerenberatung rangen. Wetter wollte aus dem staatlichen System nicht aussteigen, doch er fügte sich. Wetter, sagen Vertraute, scheue sich nicht, die von Rom gesetzten Grenzen auszuschreiten. Überschreiten würde er sie nie.

Ein treuer Begleiter

Sein Privatleben hütet der Kardinal wie einen Schatz. Wetters persönliche Räume im Kardinal-Wendel-Haus kennen nicht einmal enge Mitarbeiter. Seinen Tagesablauf strukturiert er mit festen Gebetszeiten, abends beantwortet er Briefe oder liest Fachliteratur, ab und zu einen Roman. Ansonsten identifiziert sich Wetter völlig mit der ihm übertragenen Aufgabe. Er lege, hat er gesagt, das Amt "am Abend nicht ab wie eine Rüstung", sondern bleibe "immer Bischof und immer Mensch".

Bereits zu seinem 75. Geburtstag hatte er angedeutet, auf keinen Fall so lange mit dem Rücktritt zu warten, bis er darum gebeten wird. Der Kardinal ist nicht Edmund Stoiber. Wetter wollte den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen. Der Papstbesuch im vergangenen Sommer war ein emotionaler Höhepunkt seiner Amtszeit - schöner wird's nimmer. Auch ist die Bayerische Bischofskonferenz, deren Vorsitzender Wetter ist, schon länger kein Hort der Einigkeit mehr, der zum Verweilen einlädt.

Eine Rolle spielt sicher auch, dass 2010 in München der zweite Ökumenische Kirchentag stattfinden wird und der Nachfolger hinreichend Zeit zur Vorbereitung des Treffens haben soll. Und auch ein persönlicher Aspekt dürfte mitschwingen: Vor zwei Wochen erst hatte der Kardinal seinen treuen Wegbegleiter Valentin Doering, den Chef des Katholischen Büros, in den vorzeitigen Ruhestand gehen lassen müssen.

Ob er im kommenden Jahr seinen 80.Geburtstag als oberster Hirte des Erzbistums feiern werde, wollen die Journalisten noch wissen. Der Kardinal lächelt fein und schweigt.

© SZ vom 3.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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