Richard Süßmeier wird 80:Der Dickschädel

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Seine erste Taxifahrt führte ihn in ein Wirtshaus: Der Münchner Richard Süßmeier, Wirtelegende, Schlitzohr, Original und Schelm mit Hang zur Satire, wird an diesem Sonntag 80 Jahre alt.

Astrid Becker

Die erste Taxifahrt seines Lebens führt ihn in ein Wirtshaus. Und genau genommen sollten ihn alle Wege irgendwann in ein Wirtshaus führen. Es gibt wohl keinen Ort auf dieser Welt, an dem sich ein Mensch wie Richard Süßmeier wohler fühlen würde. Am Sonntag feiert er seinen 80. Geburtstag, und es ist anzunehmen, dass dieses Alter dem Mann kaum jemand abnehmen wird. Agil, wie er ist, steigt er, den alle nur den "Napoleon der Wirte" nennen, noch immer gern bei allen möglichen Gelegenheiten auf ein Tragerl Bier - wie zum Beispiel beim Starkbieranstich im Augustinerkeller - und derbleckt die Großkopferten.

Ein Mann, viele Rollen: Richard Süßmeier vor seiner einstigen "Großmarkthalle. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Doch vielleicht der Reihe nach. Ein paar Tage ist der kleine Bub erst alt, damals im Sommer 1930, als er die erste Taxifahrt seines Lebens mit seiner Mutter unternimmt - nach Hause, ins "Kapuzinereck", einem kleinen Wirtshaus am Baldeplatz in München, das seine Eltern zu dieser Zeit betreiben. Auf den Namen Richard wird er getauft, weil seine Mutter und deren Schwester so sehr für den gerade in München gastierenden weltberühmten Tenor Richard Tauber schwärmen. Richard ist der zweite Sohn der Süßmeiers, der dritte, Walter, soll 1932 geboren werden.

Weil es für die fünfköpfige Familie zu eng im Kapuzinereck wird, bewerben sich die Eltern schon bald um den weitaus geräumigeren "Straubinger Hof" in der Blumenstraße, wo sie die Wirtswohnung im Rückgebäudes der Gastwirtschaft beziehen.

Die ersten Jahre seines Lebens verbringt Süßmeier in der Obhut des Kindermädchens Toni, die eigentlich ein strenges Regiment führt, doch sich zur Faschingszeit in einen völlig anderen Menschen verwandelt. Mit Feuereifer erfindet sie Verkleidungen für die drei Kinder - wofür die Mutter nur wenig übrig hat, die Buben jedoch umso mehr. Vielleicht ist diese frühe Kindheitserfahrung der Grund, warum Süßmeier auch als Erwachsener noch ein großes Faible für die Maskerade zeigt, was ihm später auch den Beinamen "Napoleon der Wirte" einbringt.

Eine glückliche Zeit müssen diese ersten Jahre gewesen sein, die jedoch schon bald vom Dritten Reich und dem Zweiten Weltkrieg überschattet werden.

Nicht selten durchleben die Süßmeiers die Bombenangriffe auf die Stadt im Hochbunker, der "zum Glück" genau gegenüber dem Straubinger Hof liegt: "Wer weiß, ob ich überhaupt noch am Leben wäre ohne diesen Bunker."

Von 1. Januar 1945 an fällt der Unterricht aus, Süßmeiers Gymnasium ist völlig zerstört. Damit er kein Schuljahr verliert, schicken ihn die Eltern nach Garmisch. Doch dort bleibt er nur zwei Monate. Am 28. Februar 1945 wird der Straubinger Hof ausgebombt, und die gesamte Familie siedelt zu Verwandten in die Nähe von Wolnzach um und kehrt erst im Herbst in ihr heimisches Wirtshaus in München zurück, das sie notdürftig wieder herrichten. Sie sperren es nur mittags auf, denn es gibt ja kaum etwas, was sie servieren können. Außerdem werden die Gaststuben für andere Zwecke gebraucht: als Klassenzimmer.

Süßmeier geht also im eigenen Wirtshaus zur Schule - in Hausschuhen und in ständiger Begleitung seiner Boxerhündin Anka. Sein Mathematiklehrer, der Professor Thürlings, habe immer vor Beginn des Unterrichts gerufen: "Ist der Richard da? Ist der Hund da? Dann können wir anfangen", erinnert sich Süßmeier.

1948 stirbt Süßmeiers Vater, und der Sohn geht von der Schule ab, um der Mutter in der Wirtschaft beizustehen - als "Wirtsbua", wie ihn alle rufen. Er gibt sich gern mit den Gästen ab und eignet sich dabei langsam alles an, was ein Wirt wissen muss. 1959 ist ein Schicksalsjahr für die Familie, Süßmeiers älterer Bruder Ernst vergiftet sich mit Gas, sein jüngerer Bruder Walter stirbt nur vier Monate später bei einem Autounfall.

Weil die Mutter jahrelang von einem Tagescafé schwärmt, übernimmt er 1962 die Gaststätte "Großmarkthalle", einen Tagesbetrieb. Doch die Mutter will im Straubinger Hof bleiben, und so führt Süßmeier eben beide Lokale.

Süßmeier hat zu dieser Zeit bereits eine Nebenbeschäftigung entdeckt - allerdings unfreiwillig. Weil er zum Vorstand der damaligen Vereinigung der Gastwirtsmetzger "Zerstreuung" gewählt worden ist, muss er Grabreden für die verstorbenen Mitglieder halten. Nachdem der Altersdurchschnitt des Vereins relativ hoch ist, kommt Süßmeier laufend zum Einsatz: mehr als 100 Mal insgesamt. Die Sache mit den Reden nimmt er ernst, geht immer auf das Leben jedes Einzelnen ein - eine Eigenheit, die er auch später, bei weitaus erfreulicheren Anlässen, nicht ablegen wird.

Überhaupt ist er ein Mensch, der keine Scheu vor öffentlichen Auftritten zeigt - und diese gewitzt, originell, schlagfertig und schlitzohrig absolviert. Mit seiner Art, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, gewinnt Süßmeier Freunde, aber auch Feinde. "Du werst es scho no seh'n", ist ein Spruch, den Süßmeier von seiner Mutter bis zu deren Tod 1963 wahrscheinlich zigtausend Mal gehört hat - und eines Tages muss er einsehen, dass sie Recht behalten hat.

Doch zunächst geht noch alles gut - zumindest beruflich. Süßmeier ist ein erfolgreicher Wirt, der selbst gern zum Amüsement der Leute beiträgt. Zum Beispiel, wenn er im Fasching die Narrhalla mit seiner "Schmarrhalla" zum Narren hält oder zum "Schnallenball" einlädt und dort als Puffmutter Ricarda auftritt. Er steht schon bald im Ruf, ein echtes Münchner Original zu sein, ein Schelm mit Hang zur Satire.

Süßmeier steht in seiner gastronomischen Karriere ganz oben, zumal er schon seit 1958 auf der Wiesn vertreten ist - zunächst als Betreiber des sogenannten "Kleinen Winzerer Fähndls", einer einstigen Reichsarbeitsdienstbaracke, die der Armbrustschützengilde unterstand. Aus diesen bescheidenen Anfängen, dort auf dem Oktoberfest, wird sehr schnell mehr. Denn Süßmeier baut seine einstige Baracke sukzessive in ein richtiges Zelt um - das heutige Armbrustschützenzelt. 1972 übernimmt er - nach einer kurzen Episode in den Spatenbräuhallen - den "Spöckmeier", die Großmarkthalle hatte er, ebenso wie den Straubinger Hof, schon früher aufgegeben. 1975 erwirbt er das Forsthaus Wörnbrunn, verpachtet es aber zunächst für sieben Jahre. Das Jahr 1982, in dem Süßmeier nach Wörnbrunn zurückkehrt, läutet einen Wendepunkt in seinem Leben ein.

Der CSU-Stadtrat Peter Gauweiler wird Kreisverwaltungsreferent und setzt sich in den Kopf, die Wiesn und deren Gastronomie genauer in Augenschein zu nehmen. Er verbietet den Wirten, mit ihren teilweise nicht mehr zugelassenen Packwägen auf das Oktoberfestgelände zu fahren, und lässt auch das Einschenken bald weitaus stärker kontrollieren - ganz unschuldig ist Süßmeier daran nicht. Der damals noch für den Bayerischen Rundfunk arbeitende Günter Jauch findet heraus, dass in Süßmeiers Zelt aus einem angeblich 200 Liter fassenden "Hirschen" 289 Maß Bier ausgeschenkt wurden. Was Jauch offenbar nicht weiß, ist, dass der Inhalt dieser Fässer nicht genormt ist und sich nach dem Holz richtet, das für ihre Herstellung verwendet wird.

Süßmeier nimmt das Ganze auf die leichte Schulter. Er macht sich sogar laufend öffentlich darüber lustig. Es geht ihm gut, auf einer Woge der Gaudi und des Derbleckens sei er damals geschwommen, beschreibt er es selbst.

Doch Gauweiler meint es ernst, droht den Wirten, sollten sie falsch einschenken oder gegen andere Auflagen verstoßen, ihre Zelte zu schließen. Süßmeier, zu dieser Zeit Wiesnwirte-Sprecher, fühlt sich zunehmend an die Überwachungsbehörde erinnert, die George Orwell in seinem Buch "1984" prophezeit hat. Er beruft eine Pressekonferenz ein, verkleidet sich dafür als Gauweiler, hängt den Schriftzug: "Gauweiler sieht Dich" an die Zeltwände und zeigt den Journalisten, wie man aus einem ganzen Hendl drei Hälften machen kann. Er hat zuvor eine zusätzliche Hälfte einnähen lassen.

Gauweiler versteht den Spaß nicht, und schickt Süßmeier schon am Eröffnungstag um zwölf Uhr die ersten Kontrolleure vorbei. Der Krieg zwischen dem Kreisverwaltungsreferenten und dem Wirt eskaliert: Süßmeier sieht sich erneut mit dem Vorwurf konfrontiert, falsch eingeschenkt zu haben.

Dann wird es noch schlimmer: Er muss sich wegen des Verdachts, gegen das Ausländergesetz verstoßen zu haben, verantworten. In seinem Zelt hatten einige Hilfskräfte illegal gearbeitet. Seine Beteuerungen, er habe davon nichts gewusst, glaubt die Gegenseite nicht und handelt: Gauweiler entzieht Süßmeier die Festzeltkonzession. Ein herber Schlag.

Ein Gericht spricht ihn später vom Vorwurf des Schankbetrugs frei. Das Verfahren wegen illegal Beschäftigter endet mit einer freiwilligen Geldbuße in Höhe von 100.000 Mark. Süßmeier gibt noch nicht auf, bewirbt sich 1989 noch einmal um ein Zelt, ums Hackerzelt. Doch CSU und SPD stimmen geschlossen gegen ihn. Die Wiesn ist für ihn endgültig verloren. Wenig später, 1991, brennt dann noch Wörnbrunn ab, in den Flammen kommt ein Gast ums Leben. Süßmeier kämpft, versucht Wörnbrunn zu halten. Vergeblich. 1995 muss er an Josef Schörghuber verkaufen. Ein Jahr später zieht er sich als aktiver Wirt zurück.

© SZ vom 21.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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