Revisionsverhandlung:Wieder auf Anfang

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Erkan G. muss sich wegen einer Messerstecherei verantworten. Zum zweiten Mal. Denn beim ersten Prozess gab es im Landgericht keinen Geschäftsverteilungsplan - weshalb der Bundesgerichtshof den Schuldspruch aufgehoben hat

Von Susi Wimmer

Das Verfahren an sich ist für ein Schwurgericht nichts Spektakuläres: Eine Schlägerei zu vorgerückter Stunde in einer Tabledance-Bar zwischen zwei Gruppen, einer zieht ein Messer, sticht auf drei Männer ein und verletzt diese. Außergewöhnlich an dem Fall aber ist, dass er seit Dienstag vor dem Landgericht München I zum zweiten Mal verhandelt wird. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hatte wegen eines außergewöhnlichen Formfehlers das Urteil gegen den mutmaßlichen Messerstecher aufgehoben, der Haftbefehl gegen den Mann wurde außer Vollzug gesetzt, er befindet sich seit Mai in Freiheit. Nun verhandelt die zweite Strafkammer erneut gegen den 32 Jahre alten Münchner.

Der erste Verhandlungstag in Saal B 162 gestaltet sich etwas zäh und wenig erhellend. Und das, obwohl der Angeklagte diesmal anders als im ersten Prozess eine Aussage macht. Erkan G., türkischer Staatsangehöriger, trägt ein weißes Hemd, sein Bart läuft akkurat in einer schmalen Linie an der Unterkante des Gesichts entlang. So weiß wie sein Hemd ist seine Weste allerdings nicht. Er selbst sagt, als Jugendlicher sei er ein Intensivstraftäter gewesen, Alkohol habe immer eine Rolle gespielt, irgendwann auch Koks und Marihuana. Wie er zu den Drogen gekommen sei, fragt Richter Norbert Riedmann. Die Antwort: "Ich bin in Neuperlach groß geworden." Körperverletzungen, Diebstahl, Besitz von Waffen - die Liste der Verurteilungen ist lang. Das bislang letzte Urteil gegen ihn fiel am 31. März 2016: Acht Jahre und sechs Monate Haft wegen versuchten Totschlags, weil er in der Bar "Red Roses" auf drei Männer eingestochen hatte.

Sein Verteidiger Adam Ahmed hatte damals während des Prozesses aber mitbekommen, dass das Schwurgericht keinen schriftlich niedergelegten Geschäftsverteilungsplan vorweisen konnte. Dieser regelt, dass die zu verhandelnden Kapitaldelikte den Kammern per Zufallsprinzip zugeordnet werden und nicht etwa bestimmte Richter auf bestimmte Fälle angesetzt werden. Ahmed rügte den fehlenden Plan in der Verhandlung, die Kammer legte nachträglich einen fest. Doch das sei zu spät gewesen, urteilte der Bundesgerichtshof gut ein Jahr später im Februar 2017. Er hob das Urteil auf und verwies die Causa an das Landgericht München I zurück. Ahmed legte noch in zwei weiteren Fällen Revision beim BGH ein, allerdings erfolglos. Denn in diesen Fällen hätten die Verteidiger nicht während der Verhandlung den mangelnden Geschäftsplan gerügt, so das Gericht. Weitere Revisionen erscheinen also als unwahrscheinlich. "Und für eine Wiederaufnahme der Fälle trifft keiner der fünf möglichen Gründe zu", sagt Florian Gliwitzky, Sprecher des Oberlandesgerichts.

Doch zurück in die Tabledance-Bar: Erkan G. gibt an, an jenem Novemberabend 2014 nach etlichen "Jackys" betrunken gewesen zu sein, als er grundlos von einem anderen am Kragen gepackt worden sei. Es folgte ein Kopfstoß seinerseits, dann hätten sieben Männer auf ihn eingeprügelt. Er habe sein Messer herausgeholt und "blind zugestochen". Laut Staatsanwalt Laurent Lafleur soll er gegangen und wiedergekommen sein, um noch einmal zuzustechen. Ein Opfer wurde notoperiert. Das Motiv der Schlägerei liegt im Dunkeln, auch die Zeugenbefragungen ergeben kein klares Bild. Es gibt allerdings eine Videoaufzeichnung. Die soll an einem der nächsten Verhandlungstage gezeigt werden.

© SZ vom 22.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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