Revisionsprozess:Karolinas Peiniger schweigt

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Im zweiten Prozess um den qualvollen Tod des dreijährigen Mädchens will sich der Haupttäter Mehmet Akul nicht äußern und an den Aussagen der Mutter Zaneta Copik zweifelt der Richter.

Hans Holzhaider

Man hat das alles schon einmal gehört, und trotzdem raubt einem die Anklage, die Staatsanwalt Johann Kreuzpointner vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts München II verliest, den Atem. Ein solches Protokoll von Gefühllosigkeit, Hartherzigkeit, Grausamkeit gegen ein dreijähriges Mädchen bekommen auch Richter mit langjähriger Erfahrung selten zu hören.

Zaneta Copik (Foto: Foto: ddp)

Als Karolina am 5. Januar 2004 in einer Toilette des Krankenhauses in Weißenhorn bewusstlos aufgefunden wurde, war sie von Kopf bis Fuß mit Blutergüssen und Brandwunden übersät. Vier Tage lang war das Kind vom damaligen Lebensgefährten seiner Mutter, dem heute 32-jährigen Mehmet Akul, geschlagen, gepeitscht und mit erhitzten Medizinflaschen versengt worden.

Zaneta Copik, 27, wird beschuldigt, diese Misshandlungen geduldet und ihr Kind nicht, wie es ihre Pflicht als Mutter gewesen wäre, vor dem Peiniger beschützt zu haben - Mord durch Unterlassen, sagt die Staatsanwaltschaft. Vor gut einem Jahr hat das Landgericht Memmingen beide Angeklagte aber nicht wegen Mordes, sondern wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt - Akul zu zehn Jahren und drei Monaten, Zaneta Copik zu fünfeinhalb Jahren. Der Bundesgerichtshof hat dieses Urteil aufgehoben, seit gestern wird in München neu verhandelt.

Die erste Überraschung folgt auf die Verlesung der Anklage: Mehmet Akul, teilt dessen Verteidiger Georg Zengerle mit, wird sich in dieser Verhandlung nicht äußern, weder zur Sache noch zur Person. In Memmingen hatte der in Deutschland geborene Türke in aller Ausführlichkeit ausgesagt, hatte die Tatvorwürfe im wesentlichen eingeräumt, aber nachdrücklich bestritten, dass er je den Tod des Kindes gewünscht oder auch nur billigend in Kauf genommen habe.

An Zaneta Copik, seiner damaligen Freundin, hatte er kein gutes Haar gelassen, ihre Beteuerungen, sie sei eine liebevolle Mutter gewesen und habe sich nur aus Angst um ihr eigenes Leben und das Leben Karolinas nicht nachhaltig zur Wehr gesetzt, hatte er als "Show" abgetan. Nun also schweigt Akul, möglicherweise das beste, was er tun kann, denn so muss der Staatsanwalt ihm die Tötungsabsicht nachweisen, wenn er eine Verurteilung wegen Mordes erreichen will.

Aber Zaneta Copik spricht, wenn auch zunächst sehr zögerlich. Der Vorsitzende Richter Walter Weitmann ist ein Mann, der nicht mit großer Geduld gesegnet ist und sich das auch deutlich anmerken lässt. Über ihre Kindheit und Jugend wisse sie nichts zu erzählen, sagt sie. Warum nicht? "Weil es da nichts zu erinnern gibt." Ungehalten trommelt Richter Weitmann seine Fingerkuppen aneinander: "Es gibt immer was zu sagen", belehrt er die Angeklagte.

Soviel kommt zutage: Zanetas Mutter war bei der Geburt erst 16 Jahre alt, drei Jahre später trennten sich die Eltern. Sie hat die Volksschule absolviert, von der Berufsschule wurde sie gefeuert, weil es Zoff mit den anderen Mädchen gab. 1996 ging die Mutter nach Deutschland, Zaneta folgte ihr kurze Zeit später, verbrachte einen großen Teil ihrer Zeit in Discotheken und hatte häufig wechselnde Männerbekanntschaften, von denen sie sich aushalten ließ.

Im Jahr 2000 ging sie zurück nach Polen, verdiente ihren Lebensunterhalt als Table-Dancerin und wurde von einem Zuhälter schwanger. Am Nikolaustag 2000 kam Karolina zur Welt.

Als das Mädchen ein Jahr alt war, kam Zaneta zurück nach Deutschland und lebt weiter wie zuvor. Im Herbst 2003 lernte sie Mehmet Akul kennen, am Tag darauf zog er bei Zaneta und ihrer Mutter ein, aber es gab bald Streit, und Akul, Zaneta und Karolina fanden eine Bleibe in der Wohnung eines Bekannten in Weißenhorn.

Zanetas Aussagen über Karolinas Martyrium in den ersten vier Tagen des Jahres 2004 sind zeitlich ungeordnet und deutlich von dem Bemühen geprägt, ihre eigene Rolle bei dieser Tragödie als die eines Opfers zu beschreiben. Akul, der am Anfang "den Engel gespielt" habe, habe sich zu einem wahren Wüterich entwickelt, sie selbst sei vor Angst wie gelähmt gewesen und habe keinerlei Möglichkeit gehabt, sich und das Kind in Sicherheit zu bringen. Richter Weitmann macht keinen Hehl daraus, dass er nichts davon für glaubwürdig hält.

"Vielleicht wollten Sie ja auch nichts machen", sagt er. "Wenn man diabolisch denkt, könnte man annehmen, dass es Ihnen recht war, wenn sie diesen Klotz am Bein los sind." Zaneta Copik protestiert unter Tränen: "Ich habe immer zu meinem Kind gehalten". "Dann", fährt Richter Weitmann schneidend dazwischen, "müsste es ja noch am Leben sein."

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