Ressourcen sparen:Feine Fasern

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Helga Zollner-Croll forscht zusammen mit Studenten der Hochschule München an Alternativen zur klassischen Papierherstellung aus Holz - aktuell experimentieren sie mit Spargel

Von Julian Limmer, München

Wenn Helga Zollner-Croll von ihrer Arbeit spricht, erzählt sie gerne von ihrer Vision. Sie handelt von der Zukunft des Papiers und hat mit Elefantengras, Hanf, Stroh und neuerdings auch mit Spargel zu tun. Mit diesen Stoffen will sie die Papierindustrie verändern, sie nachhaltiger machen - zumindest im Kleinen.

Und dabei soll gerade Spargel helfen? "Eigentlich kann man aus fast jeder Pflanze Fasern für Papier oder Pappe gewinnen", sagt Zollner-Croll.

Die 51-jährige hat blondes, schulterlanges Haar. Sie steht in einem weißen Kittel vor einem Labortisch, auf dem zwei weiße Spargelstangen liegen. Mit einem Küchenmesser schneidet sie die Stangen in kleine Stücke und wirft sie in einen Mixer voll mit Wasser, der das Ganze zu einer schneeweißen, schaumigen Flüssigkeit zerhackt. "Hier sieht man das Problem am Spargel: Er schäumt recht stark," sagt Zollner-Croll. Deshalb müsse man ihn vorher gut waschen. Sie kippt die Flüssigkeit in ein Sieb - später soll daraus Papier einstehen.

Hier in dem Labor der Hochschule München forscht Zollner-Croll zusammen mit Studenten an Alternativen zur klassischen Papierherstellung aus Holz. Seit mehr als zehn Jahren ist sie Professorin für Biogene Faserstoffe an der Münchner Hochschule. Doch mit Papier hat sie schon einige Jahre länger zu tun: Aufgewachsen ist sie im niederbayerischen Vilsbiburg, studiert hat sie in München, promoviert dann in New York zu Recycling von Altpapier. Seitdem lässt sie das Thema nicht mehr los: "Mich fasziniert, dass es ein komplett nachwachsender Rohstoff ist, mit dem man mehr machen kann als nur Papier", sagt sie.

Es gibt nur ein Problem: die Fichten, Buchen, Birken und Eukalyptusbäume, aus denen ein Großteil des Papiers hergestellt wird, wachsen zwar nach, aber nicht unbegrenzt. Im Jahr 2019 wurden in Deutschland 22, 1 Millionen Tonnen Papier, Karton und Pappe hergestellt - die Bundesrepublik war somit der viertgrößte Papierproduzent weltweit. Auch wenn die deutsche Industrie einen Großteil für die Herstellung aus Altpapier wieder verwertet - rund 78 Prozent - bleibt der Holzverbrauch für die Papierherstellung hoch.

"Holz ist eine knappe Ressource", sagt Zollner-Croll. Sie bemerke zunehmend, dass daher das Thema Umweltschutz auch in der Papierindustrie an Bedeutung gewinne. "Die Konsumenten wünschen sich einfach mehr Nachhaltigkeit", sagt Zollner-Croll. Deshalb seien Hersteller seit mehreren Jahren auf der Suche nach Alternativen zu Holz. Dem wolle Zollner-Croll mit ihrer Forschung Vorschub leisten - ein wichtiges Thema, findet sie. Aber wie kam sie auf Spargel?

Vor einiger Zeit hatte Zoller-Croll eine E-Mail von Annika Baumann erreicht. Baumann, eine 26-jährige studierte Gartenbauerin, war vor drei Jahren in den familiären Spargel- und Erdbeerbetrieb im niederbayerischen Geiselhöring eingestiegen. Es sei damals ein warmer Frühling gewesen - und die Spargelstangen seien dementsprechend gut gediehen und lang gewachsen, erzählt Bauman am Telefon. Internationale Qualitätsnormen schreiben jedoch vor, dass erstklassige Stangen von weißem Spargel nicht länger als 22 Zentimeter sein dürfen - genauso sollten sie weder zu dünn oder dick, noch zu krumm sein. So sei im Jahr 2018 fast die Hälfte der rund 3000 Tonnen des Spargels, die Baumanns Betrieb jährlich erntet, nicht auf Tellern gelandet, sondern als Dünger auf Feldern oder in Biogasanlagen, sagt Baumann. In normalen Jahren seien es rund 30 Prozent.

"Das kann doch nicht sein, dachte ich damals", sagt Baumann. Im Internet suchte sie nach Alternativen und stieß auf Künstler, die aus Spargel Papier machten. Sie habe sich überlegt, ob es nicht möglich sei, so selbst aus den vielen Spargelresten Pappschächtelchen für ihre Erdbeeren herzustellen. Sie schrieb an Helga Zollner-Croll. Die Professorin fand die Idee spannend. Sie erforscht nun mit Studenten, wie gut sich Spargel in Papier, Karton und Pappe verwandeln lässt.

Zoller-Croll gießt in dem Labor die Flüssigkeit mit den zerhackten Spargelresten in ein großes, zylinderförmiges Gefäß voller Wasser. Sie drückt einen Knopf, das Wasser läuft ab. Was am Boden zurückbleibt, sind die Spargelfasern. Sie legt einen kreisrunden Karton über die Fasern, rollt mit einer Gautschrolle darüber, nimmt den Karton zusammen mit den Spargelfasern ab und legt sie zum Trocknen. Rund zehn Minuten später hält sie ein rundes, fasriges Blatt Papier aus Spargel in den Händen. So einfach, ganz ohne Chemie. Vor allem die langen Fasern und die angenehme Haptik des Spargel-Papiers beeindruckten Zollner-Croll, sagt sie. Zudem seien Reststoffe im Vergleich zu Holz relativ billig und müssten außerdem viel weniger chemisch bearbeitet werden.

Aber wie nachhaltig ist das wirklich? Spargel ist immerhin eine sehr wasserintensive Pflanze, die viel Pflege braucht. "Der Spargel wird ja ohnehin produziert, wir verwenden nur die Agrarreststoffe, wie die Enden und Schalen", sagt Zollner-Croll.

Als echte Alternative zur Herstellung von grafischem Papier, also normales Schreibpier, sieht sie Spargel dennoch nicht. Zur Herstellung von Pappe für Obstkartons oder Eierschachteln eigne sich die Spargelfaser durchaus. Im Moment sucht die Professorin noch nach Partnern, die Spargel industriell zu Verpackung verarbeiten können. "Es wird allerdings nur ein Nischenprodukt bleiben", schätzt Zollner-Croll. Das Problem: Spargel lasse sich nur von April bis Juni ernten, die Lagerung bereite noch Schwierigkeiten.

Also doch keine nachhaltige Papierwende? Hier kommt wieder ihre Vision ins Spiel: "Je nachdem, wann im Jahr Restprodukte anfallen, könnte man Papier mit unterschiedlichen Qualitäten herstellen." Papier im Winter aus Elefantengras, im Frühling aus Spargel, im Sommer aus Stroh und im Herbst aus Hopfen. Helga Zollner-Croll sagt: "So entsteht ein Jahreskreislauf."

© SZ vom 05.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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