Am Donnerstagvormittag ist Nicolas Pohler nach London geflogen, Freitagabend war er wieder zu Hause in Starnberg. Gut 2000 Kilometer in weniger als 48 Stunden. "Das ist für mich nichts Besonderes", meint er lapidar. Zwischendrin saß Pohler im Rennwagen, umkurvte die traditionsreiche Strecke von Silverstone. Runde um Runde für Reifentests: "Ich musste mein Feedback abgeben", sagt er. "Für Sightseeing war keine Zeit." Das war vor zwei Wochen. Den Buckingham Palace hat Pohler noch nie gesehen, genauso wenig wie die Tower Bridge oder Big Ben. Und das, obwohl er in der Formel 3 seit einem halben Jahr für das britische Team West Tec fährt und seitdem ständig in und um London ist. Und nicht nur dort.
An diesem Wochenende ist Pohler in Belgien auf der Rennstrecke in Spa unterwegs. Euroformula Open nennt sich die Serie, die für manchen Fahrer den Weg in die Königsklasse, die Formel 1, ebnet. Dort will jeder hin - auch Pohler. Wie die Vorbilder fährt er bereits auf den großen Kursen: Nürburgring, Portimao, Jerez, Hungaroring, Silverstone, Spa, Monza und Barcelona heißen die acht Stationen zwischen Mai und November im Rennkalender 2014. 50 Flüge und 70 Tage im Hotel - so schätzt Pohler seine Reiseaktivitäten in diesem Jahr ein. "Ich mag das Reisen generell", sagt er. "Manchmal ist es aber schon stressig. Gerade, wenn ich so viel unterwegs bin, dass ich meinen normalen Tagesrhythmus verliere." Den Takt geben dann die Lokalitäten vor: Flughafen, Hotel, Rennstrecke. Irgendwie ist es paradox, Pohler ist an so vielen verschiedenen Orten - und doch immer aan denselben. Sein Leben ist dabei nur wenig glamourös. Bei den Teambesprechungen gibt es Kaffee aus Pappbechern und Kekse aus der Dose, die Hotels sind oft bessere Jugendherbergen. "Das letzte Mal in England war die Klimaanlage kaputt und es hatte 30 Grad draußen. Überall war es heiß und muffig, das war grenzwertig."
Zu Hause in Starnberg hat es Pohler komfortabler. Der 18-Jährige wohnt noch bei seinen Eltern, in einem großen, geschmackvoll eingerichteten Haus: Hohe Decken, weitläufige Zimmer, an den Wänden hängt moderne Kunst. Und im Garten ist ein Swimmingpool. Es ist kein Geheimnis, dass im Motorsport der familiäre Hintergrund eine große Rolle spielt. Viele Fahrer kaufen sich bei Teams ein. Um in den unteren Klassen mitfahren zu können, müssen sie Geld mitbringen. Pohler lacht kurz verlegen. Dann sagt er trocken: "Ja, normalerweise zahlen die Eltern." Er finanziere sich inzwischen den Großteil über Sponsoren. "Bis jetzt kann ich noch nicht viel Geld mit meinem Sport verdienen", räumt er ein. "Aber bald vielleicht."
Pohler macht einen energischen Eindruck, redet schnell und gestikuliert viel. Stolz zeigt er die Trophäen in seinem Zimmer, es sind ein gutes Dutzend. Ein eigens designter Helm "mit den Haifischzähnen als Markenzeichen" liegt neben dem Flachbildfernseher. Sein Name steht darauf, wie bei den Großen. Seit dem Einstieg in die Formel 3 vor einem Jahr hat Pohler drei Podestplätze errungen. Zum Sieg hat es noch nicht gereicht.
Damit das bald klappt, arbeitet er wie ein Profi, zusammen mit Kraft- und Mentaltrainern sowie seinem Vater, der ihn managt. "Er ist früher selbst Rennen gefahren, auf niedrigerem Niveau. Vielleicht erfüllt er sich durch mich auch seinen Traum", meint der Sohn. Zuhause stellt Nicolas Pohler die Rennsituation nach, fährt die Strecken im eigens konstruierten Rennsimulator: Lenkrad, Cockpit, Pedale - alles ist dem echten Boliden nachempfunden. "Im letzten Jahr hatten wir viele Ausfälle. Wenn wir durchgekommen sind, sind wir aber vorne gelandet", sagt er. Auch in dieser Saison stehen schon wieder vier technische Defekte auf dem Ergebnisbogen. Das beste Resultat war ein sechster Platz in Jerez. Wenn er ins Ziel gekommen ist, war Pohler immer unter den besten Zehn. Im Gesamtklassement liegt er mit 26 Punkten im Mittelfeld auf Rang 12. "Die Saison verläuft alles andere als optimal", urteilt er.
Für seine weitere Karriere hat das aber gar nicht allzu viel zu bedeuten. Wenn er nach der Saison eines der Formel-1-Teams bei Probefahrten überzeugen kann und als Juniorfahrer angenommen wird, ist das große Ziel wieder ein Stück näher. In diesem Winter geht er wohl in die USA und nimmt dort an einer Rennserie teil.
Dann erzählt Pohler noch von seinem bisher schlimmsten Unfall, in Spa, wohin er jetzt zurückkehrt. Er hat sich dort 2013 achtmal überschlagen - und stieg unverletzt aus dem Wagen. "Ich habe schon am nächsten Tag wieder trainiert", sagt er. Im Rennen müsse man das alles zur Seite schieben. "Freier Kopf, blauer Himmel", so beschreibt Pohler das. Er wird das jetzt wieder so handhaben. Den Buckingham Palace kann er auch ein anderes Mal anschauen.
Bisher erschienen: N. Sriram Balaji, Tennisprofi (7.8.); Michael Elmer, Eishockey-Trainer (9.8.); Patrick Steuerwald, Volleyballprofi (14.8.); Carlos Escribá Liñero, Hockeytrainer (21.8.); Daniel Heidemann, Fußballtrainer (23.8.); James Craig, Football-Trainer (26.8.); Martin Smolinski, Speedway-Profi (28.8.); John David Hillis, Galopptrainer (30.8); Orkan Balkan und Yasin Yilmaz, Fußballspieler (3.9.)