Referentenwahl:Jetzt wird abgerechnet

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Statt Blumen zur Wiederwahl gab es für Brigitte Meier am Mittwoch im Stadtrat heftige Kritik. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Das Ausmaß des finanziellen Schadens durch Versäumnisse im Sozialreferat ist unklar. Der politische Schaden für Brigitte Meier ist in jedem Fall immens

Von Dominik Hutter

Einer fehlt, warum auch immer. Und so stehen nur fünf Blumensträuße und eine leere Vase im Vorraum des Großen Sitzungssaals. Aber auch die fünf verbliebenen werden an diesem Mittwoch nicht gebraucht. Es wird keine Referentenwahl geben - und die vier Wochen bis zum neuen Termin halten die Pflanzen nicht durch. Die Floristen werden bei der nächsten Plenumssitzung neue Sträuße vorbeibringen müssen. Ob dann auch Brigitte Meier einen bekommt, ist offen. Bis dahin soll feststehen, wie viel Geld der Stadt durch die Lappen geht, weil das Sozialreferat nicht rechtzeitig bei den überörtlichen Behörden die Erstattung der Ausgaben für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge beantragt hat. Dann könnten, so Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), die Stadträte "abwägen, ob sie nicht doch der Kollegin Meier das Vertrauen schenken".

Mehr Unterstützung für die SPD-Frau, die immer wieder ins Kreuzfeuer gerät, hat Reiter nicht parat. Verbal zumindest. Tatsächlich hat er ihr zusammen mit den Fraktionsspitzen von CSU und SPD einen sehr großen Gefallen getan, indem er sie zunächst aus der Schusslinie genommen hat. Nicht nur Meiers Wahl, alle sechs werden vertagt, lautete die salomonische Lösung. Alles andere hätte nicht nur einen möglicherweise existenziellen Konflikt im Rathausbündnis ausgelöst, sondern auch die Autorität Meiers so weit untergraben, dass sie der Öffentlichkeit wie auch dem eigenen Referat nicht mehr vermittelbar gewesen wäre. Das kann die Stadtspitze angesichts der Bedeutung dieser Behörde nicht gebrauchen. In Zeiten der Flüchtlingskrise schon gar nicht.

Meier selbst wirkt gefasst an diesem Tag. Zwar ist unklar, wie es in ihrem Inneren aussieht, ihre Wangen sind auffallend rot. Ihr Tonfall aber ist souverän und selbstbewusst, als sie von der Referentenbank aus erklärt, wie sehr sie selbst sich geärgert habe über den Stau bei der Bearbeitung der Erstattungsanträge. "Zuversichtlich" sei sie, dass alles gut gehe, dass der verlorene Betrag nicht allzu hoch ausfalle. Eine Prognose wagt sie selbst nicht, das Abrechnungsverfahren sei "pfriemelig", da es von den Verhandlungen mit den überörtlichen Kostenträgern abhänge sowie von Detailproblemen wie etwa den Meldungen der kassenärztlichen Vereinigung. Später, am Rande der Sitzung, berichtet sie, dass man ohnehin nie 100 Prozent aller Ausgaben erstattet bekomme. Die Faustregel laute: 90 Prozent. Aber zumindest die wolle die Stadt sich noch holen.

Kritik ist Meier gewohnt, schon vor Monaten galt sie als Referentin auf Abruf

Als sicher gilt es inzwischen, dass die zunächst im Revisionsbericht aufgeführten 178 Millionen Euro viel zu viel sind. Die SPD rechnet intern nur noch mit etwa fünf Millionen Euro, auf denen die Stadt sitzen bleiben könnte. Auch Alexandra Erl-Kiener, die Chefin des städtischen Revisionsamts, räumt ein, dass der aus dem Dezember stammende Bericht ihrer Behörde inzwischen überholt sei. Die entscheidenden Fristen seien verlängert worden, und anders als zum Zeitpunkt der Prüfung gebe es inzwischen eine gesicherte Rechtslage. Ein echtes Zuckerl für die gebeutelte Sozialreferentin. Ein paar weitere verteilt Christian Müller, der Sozialsprecher der SPD. Schuld sei vor allem das Stadtjugendamt, das in den entscheidenden Monaten krankheitsbedingt ohne Führung gewesen sei. Man müsse in einer "Gesamtbetrachtung" abwägen, was zu welchem Zeitpunkt überhaupt machbar gewesen sei. Der Arbeitsaufwand im Sozialreferat sei aufgrund der hohen Zahl an Flüchtlingen immens gewesen.

Stadtrat Josef Assal, der SPD-Abtrünnige, versteht vor diesem Hintergrund gar nicht mehr, warum die Referentenwahl überhaupt verschoben wurde. Tatsächlich dachte auch die SPD nach der entscheidenden Sitzung des Fachausschusses vergangene Woche noch, dass alles in Ordnung sei. Niemand habe zu diesem Zeitpunkt ernsthafte Bedenken angemeldet oder gar am Stuhl der Referentin gerüttelt, berichtet SPD-Fraktionschef Alexander Reissl. Erst am Montag, als der Zwischenbericht des Revisionsamts bekannt wurde, gärte es auch in der CSU.

Am Dienstag, nach zwei Treffen mit dem Bündnispartner, war dann auch der SPD klar, dass es nicht mehr hinhaut mit dem geplanten Augen-zu-und-durch. Meier ist nun ein Risikofaktor. Einer, bei dem man nicht weiß, ob der Schaden möglicherweise zu groß ist für eine Wiederwahl. Das wissen die Politiker aber erst, wenn das Revisionsamt seinen Bericht aktualisiert und abgeschlossen hat.

Die Causa Meier bedeutet aber nicht nur Knatsch zwischen SPD und CSU. Auch die gerade frisch aufgeflammte Liebe zwischen Dieter Reiter und den Grünen ist spätestens seit Mittwoch schon wieder erkaltet. Reiter ist stinksauer, dass die Grünen ihm mangelnde Transparenz vorwerfen. Dass Fraktionschefin Gülseren Demirel öffentlich ins Mikrofon sagt, man habe viermal im OB-Büro anrufen müssen, bis jemand den Revisionsbericht herausgerückt habe. Es gebe nun einmal keine eigene Grünen-Hotline, giftet der Rathaus-Chef zurück, und vielleicht habe man ja die falsche Nummer gewählt. Die Veröffentlichung eines Zwischenberichts sei nicht alltäglich. Falls er etwas vertuschen wolle, so Reiter, hätte er das Papier einfach bis Ende Januar in einer Schublade versenkt, bis nach der Referentenwahl. Ohnehin ist die SPD der Meinung, dass die Probleme längst bekannt gewesen seien - schon in den Unterlagen für den Haushalt 2016 sei auf die Ausstände im Sozialreferat hingewiesen worden.

Meier lässt diese Debatte regungslos an sich vorüberziehen. Sie ist es allmählich gewohnt, in der Kritik zu stehen. Schon vor einigen Monaten galt sie als Referentin auf Abruf. Warum jetzt mit derart harten Bandagen gekämpft wird? Die langjährige Stadträtin Meier will dazu eigentlich nichts sagen. Bis sie sich doch noch durchringt: "So läuft Politik."

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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