Ramadama-Konzert:"Kaffeekapseln haben einen texturhaften Klang"

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A. Mayrhofer hat ein "Recycling Concerto" geschrieben. Die Botschaft: Müll ist das, was wir daraus machen - und der Mensch ist ein kreatives Wesen

Interview von Stephanie Schwaderer, Wolfratshausen

In Aix-en-Provence probt Gregor A. Mayrhofer derzeit Wagners Tristan und Isolde. Der 34-jährige Dirigent, Komponist und Musiker aus Wolfratshausen assistiert einmal mehr Sir Simon Rattle, der das epochale Meisterwerk Anfang Juli beim Festival d'Aix-en-Provence mit dem London Symphony Orchestra dirigieren wird. Mayrhofer arbeitet aber auch an einer Komposition, bei der Kehrschaufeln, Kronkorken und Kaffeekapseln zum Einsatz kommen. Mit dem "Recycling Concerto" lenkt er die Aufmerksamkeit auf eines der drängendsten Probleme der Menschheit.

SZ: Herr Mayrhofer, Sie haben heute den ganzen Tag geprobt, was haben Sie dabei an Müll produziert?

Gregor Mayrhofer: Heute war es tatsächlich wenig. Papierfolien von einem Sandwich und einem Croissant vom Bäcker.

Keine Plastikflasche?

Eine Achtelplastikflasche, weil ich meine Flasche seit einigen Tagen immer wieder auffülle. Aber ich will mich nicht besser machen, als ich bin. Gerade wenn man reist, merkt man, wie schwer man dem Müllproblem entkommt. Selbst wenn man sagt, ich will extra Energie aufwenden und ein bisschen mehr bezahlen.

Wie meinen Sie das?

In der Wohnung, in der ich hier in Aix-en-Provence gerade leben darf, gibt es leider nur eine Mülltonne. Da kommt alles hinein. Das Altglas könnte ich ein paar Kilometer durch die Stadt tragen, andere Wertstoffe werden nicht gesammelt. Aber auch bei uns in Deutschland gibt es noch sehr viel Potenzial nach oben, auf Seiten der Industrie und vor allem auf Seiten der Politik.

Zum Beispiel?

Es bräuchte mehr Vorgaben und viel mehr Unterstützung für die Unternehmen, damit sie ihre Produktion entsprechend umstellen und man als Verbraucher überhaupt erst die Chance bekommt, umweltfreundlicher einzukaufen. Mit unserem Recycling-Concerto wollen wir den Fokus auf dieses Problem richten und zeigen, dass aus Müll etwas Spannendes entstehen kann.

Wann hatten Sie die Idee, das Müll-Problem zum Klingen zu bringen?

Vor zwei, drei Jahren hatte ich den Gedanken, das an sich unmusikalische Thema Umweltverschmutzung zu einem musikalischen Thema zu machen. Auf der Suche nach einem geeigneten Rahmen kam mir dann die Perkussion-Idee. Schon seit vielen Jahren wollte ich für Vivi Vassileva ein Perkussion-Konzert komponieren. Ich kenne Vivi noch aus der Studienzeit in München. Sie ist eine großartige Perkussionistin und fand diese Idee genauso spannend wie ich. Wir haben sehr viel gebrainstormt und uns manchmal täglich Videos geschickt, um uns zu zeigen, was wir wieder gefunden hatten: wo man überall draufschlagen oder drüberstreichen kann, wie man Dinge präparieren kann, damit sie klingen. Wir haben fantastische Entdeckungen gemacht. Die Liste von Ideen ist mindestens dreimal so lang wie die der Instrumente, die wir nun verwenden.

Sind Sie auf Dinge gestoßen, die unbrauchbar sind?

Nein, aber wir mussten ein bisschen sortieren zwischen den Klängen. Manche sind eher allgemein und lassen sich schwer kontrollieren. Folien, Korken oder Kaffeekapseln haben einen texturhaften Klang. Bei anderen Instrumenten, bei denen ich einen ganz speziellen Klang finden wollte, musste man ein bisschen basteln. Die Möglichkeiten sind unerschöpflich. Mit Deckeln von Marmeladengläsern kann man zum Beispiel nicht nur lustig knacken. Wenn man sie sich vor den Mund hält, kann man über den Mundraum die Tonhöhe bestimmen. Man findet ganz irrwitzige und spannende Sachen heraus, wenn man Dinge, die man normalerweise einfach wegwerfen würde, noch einmal betrachtet und überlegt: Was ließe sich da noch draus machen?

Wovon waren Sie am meisten überrascht?

Von der Plastikflasche. Ihr habe ich gleich zwei prominente Rollen in meinem Konzert gewidmet. Zum einen gibt es eine Kadenz für zwei Plastikflaschen. Vivi Vassileva wird sie spielen und zeigen, dass sich ihnen schier unendlich viele Klang-Variationen entlocken lassen. Durch Klopfen oder Schaben - mit den Fingernägeln, mit den Fingerspitzen. Die zweite prominente Rolle spielt eine Plastikflaschen-Marimba. Die Grundidee dazu stammt nicht von mir. Im Internet haben wir ein Video entdeckt, das zeigt, wie man in eine Plastikflasche ein Fahrradventil einbauen und sie dann aufpumpen kann. Durch den Luftdruck und die Spannung bekommt man einen richtig klaren, schön singenden Klang. Wir haben Flaschen in allen Größen gesammelt und daraus ein komplettes Marimbaphon gebaut mit fast dem originalen Tonumfang.

Das Wort Müll bekommt da ja eine ganz neue Bedeutung.

Eben das war mir wichtig. Ich wollte den Fokus auf die Frage lenken: Wo kann es hingehen? Recycling und Upcycling zeigen, dass der Wert eines Materials vor allem davon abhängig ist, wie kreativ wir mit ihm umgehen. Aus Müll kann auf ganz verschiedenen Wegen etwas Neues entstehen. Das wollen wir mit den Instrumenten spiegeln, aber auch mit der Komposition. Von den größten Müll-Produzenten habe ich ein paar Jingles genommen und diese auch musikalisch recycelt.

Ganz schön frech. Welche denn?

Da nenne ich jetzt lieber keine Namen, aber wer genau hinhört, kann sie entdecken. Am Anfang der Komposition steht jedenfalls eine große Vermüllung, in die auch das Orchester einbezogen wird.

Wie darf man sich das vorstellen?

Mir war es wichtig, beide Welten zusammenzubringen: auf der einen Seite Trash, Müll und Recycling und auf der anderen unsere hochkultivierte Orchesterwelt. Ich habe lange überlegt, wie sich das realisieren lässt, und dann ist mir der Gedanke gekommen, es wäre toll, wenn jeder Musiker des Sinfonieorchesters ein Stück Müll von zu Hause mitbringt - um etwas Haptisch-Reelles zu schaffen und zugleich ein neues Bewusstsein bei allen Beteiligten.

Was genau?

Zum Beispiel Plastikfolien. Die Bläser bauen sich zudem einfache Instrumente. Jeder nimmt ein Marmeladenglas und füllt ein bisschen etwas hinein, Reis, Nägel, Büroklammern. Daraus wird sich ein ganz besonderer, unvorhersehbarer Klang ergeben, der zum Beispiel abhängig von der Größe der Gläser ist. Eine Idee ist, dass das Stück auf Tournee geht und dann jeweils der lokale Müll einbezogen wird. Man könnte Schulen oder Musikschulen einbinden und ein paar Tage vor dem Konzert eine Müllsammelaktion starten. Dann könnte man zusammen Instrumente bauen, das ist ganz einfach. Und dann könnten ein paar dieser Instrumente im Konzert erklingen.

Ein Ramadama-Konzert?

Nicht nur. Aus dem Alten soll ja zugleich etwas Neues entstehen. Deshalb war es mir wichtig, dass das Stück eine ganz besondere Ästhetik, eine eigene Schönheit bekommt. In der Perkussion-Szene gibt es ja schon lange Leute, die auf Mülltonnen oder Fässern trommeln, die legendäre Truppe Stomp hat mich beeindruckt, als ich vierzehn Jahre alt war. Aber ich wollte die Rhythmus- und Groovewelt mit der Orchesterwelt zusammenbringen und zeigen, dass man Müll auch in Instrumente verwandeln kann, mit denen sich eine ganz zarte und melodische Welt erschaffen lässt.

Weitere Informationen unter recycling-concerto.com

© SZ vom 18.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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