Rabenkrähen in München:Gefahr gebannt

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Krähen haben Passanten in Sendling angegriffen. (Foto: Catherina Hess)

Vier Rabenkrähen terrorisieren eine Wohnanlage mitten in Sendling, greifen immer wieder Menschen an. Die trauen sich zum Teil nicht mehr in den Hof. Nun musste die Feuerwehr anrücken.

Von Thomas Anlauf

Die Kastanienbäume leuchten grün, auf der saftigen Wiese blühen Gänseblümchen und Pusteblumen. Der Abenteuerspielplatz liegt verlassen da, ein Klettergerüst, Wippen, Netzschaukel - leer. In der grünen Idylle der Wohnanlage ist kein Kind zu sehen. Dafür Krähen.

Ein schwarzer Schatten huscht dicht über den Kopf hinweg, ein Meter weiter lässt sich die Rabenkrähe auf einem grauen Metallgeländer nieder und starrt den Eindringling an. Ein zweiter Vogel landet in drei Metern Entfernung. Auf den Dächern kräht es heiser. Eine junge Frau öffnet das Fenster zum Hof. "Die Kinder leben in ständiger Angst", sagt sie. "Ständig werden sie angegriffen." Von den Krähen.

Sie greifen im Sturzflug an, hacken gezielt auf die Köpfe der Menschen ein, die sich zu nah an den zwei Nestern in den großen Ahornbäumen aufhalten. Am Samstag wurde ein neunjähriges Mädchen verletzt, am Montag ein erwachsener Mann Opfer der Vogelattacke und erlitt Kopfverletzungen.

In der vergangenen Woche griffen zwei Rabenkrähen eine hochschwangere Frau an, die bei der Attacke stürzte. Es sind nur vier Rabenkrähen, doch sie terrorisieren eine ganze Hausgemeinschaft mitten in Sendling.

"Gefahr für Leib und Leben."

Nach dem blutigen Vorfall am Montag, als ein Mann von zwei Rabenkrähen angegriffen wird, reagiert das Kreisverwaltungsreferat schnell. Gemeinsam mit der Polizei und Vertretern der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG wird vereinbart, dass sich ein Vogelexperte ein Bild von der Lage verschaffen soll - notfalls müssen die Tiere getötet werden. Es bestehe "Gefahr für Leib und Leben", sagt KVR-Sprecherin Kristin Nettelnbrecher.

Die Berufsfeuerwehr holt im Innenhof des Häuserkomplexes Baumgartner -Pfeufferstrasse ein Kräehennest vom Baum. (Foto: Catherina Hess)

Dienstag, 9 Uhr. Sandra Schreyer-Götz steht auf der Wiese des Innenhofs und blickt nach oben. Da sind zwei Nester in den großen Ahornbäumen, in einem drei Junge. Die Berufsfalknerin ist zunächst etwas ratlos, einen derartigen Fall hat sie noch nicht erlebt. Es sei "ganz selten", dass Rabenvögel in der Brutzeit derart aggressiv gegen Menschen vorgehen.

Vier bis fünf Wochen dauere es, dann seien die Jungvögel flügge und die Eltern würden sich wieder beruhigen. Doch abwarten will das Kreisverwaltungsreferat nun nicht mehr, es gehe hier um "Gefahrenabwehr", sagt ein KVR-Mitarbeiter.

Doch es gibt Probleme: Die Tiere können wegen der dichten Bebauung nicht einfach geschossen werden. Die Gefahr, dass ein Mensch in dem Wohnblock verletzt wird, ist zu groß. Auch die alarmierte Berufsfeuerwehr kann zunächst nicht eingreifen. Die Hofeinfahrt ist zu schmal für ein Einsatzfahrzeug mit Drehleiter. Und die zwei Nester befinden sich so weit oben im Baum, dass sie weder mit einem Schlauch heruntergespritzt, noch mit einer normalen Leiter erreicht werden können.

Auf den Balkonen rund um den Innenhof stehen mittlerweile Dutzende Menschen, diskutieren mit ihren Nachbarn. "Die Leute sind oft schon selber schuld", sagt eine Frau im ersten Stock, die gerade ihre Blumen gießt. "Die gehen mit Stöcken auf die Vögel los - und das merken die sich dann." Angst vor den Rabenkrähen habe sie keine. "Mir haben sie noch nichts getan. Ich red' halt auch mit den Vögeln." Andere sehen die Situation weniger entspannt.

Angst vor den Vögeln

"So etwas habe ich noch nie gesehen, dass Vögel Menschen angreifen", sagt ein Bauarbeiter, der mit seinem Kollegen seit ein paar Tagen in der Wohnanlage arbeitet. Er hat die Attacke vom Montag miterlebt. "Der Mann war über und über voll Blut." Eine Frau huscht vorüber. Sie kommt gerade vom Einkaufen und hält sich schützend eine Großpackung Toilettenrollen über den Kopf. Aus Angst vor den Vögeln.

Mittlerweile sind die Männer von der Höhenrettung der Berufsfeuerwehr eingetroffen. Sie sollen versuchen, an die beiden Nester zu gelangen und sie zu zerstören. Zwei der Jungvögel sind bereits aus ihrem Nest geflüchtet und zu Boden geflattert.

Mit Feuerwehrhelm und Schutzhandschuhen ausgerüstet nähern sich Falknerin Schreyer-Götz und ein Feuerwehrmann den noch hilflosen Tieren. Als sich der Kescher über dem ersten Vogel senkt, schreit der Muttervogel in der Luft auf, greift aber nicht an.

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Auch die zweite flügge Rabenkrähe geht bald ins Netz. Höhenretter Oliver Schäfer ist mittlerweile an Seilen gesichert ganz nah an das erste Nest herangeklettert. Über ihm kreist kreischend einer der Vögel. Das Nest ist leer, der dritte Jungvogel ist vom Baum geflattert und landet ebenfalls kurz danach in der Box der Falknerin. Die Tiere bringt sie in die Vogelklinik in Oberschleißheim, dort werden sie etwa zwei Wochen gefüttert und anschließend ausgewildert.

Es ist bereits Mittag, als Feuerwehrmann Schäfer wieder vom Baum steigt, das erste Nest liegt zerschlagen am Boden. Der Einsatz im Baumwipfel wird dem jungen Höhenretter wohl im Gedächtnis bleiben - es ist sein erster überhaupt. Auf der anderen Seite der Wiese haben sich vier Frauen an einem Gartentisch niedergelassen.

Die Bedrohung aus der Luft scheint gebannt, die Nester sind zerstört. Sandra Schreyer-Götz ist sich nicht so sicher, dass alles vorbei ist. Die Rabenkrähen-Paare brüten schon seit Jahren in der geschützten Grünanlage in Sendling. "Hier haben die Vögel keine natürlichen Feinde", sagt die Falknerin. "Nächstes Jahr zur Brutzeit werden sie wohl wiederkommen."

© SZ vom 07.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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