Pseudostaaten:Große Spinnereien

Lesezeit: 3 min

2011 wurde Bernd Lesoine (rechts) Konsul von Seborga. Baron Jean-Philippe Arnotte, Außenministerin Nina Döbler-Menegatto und Fürst Marcello Menegatto (von links) sind für diese Ernennung nach München gekommen. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Fürstentum Seborga, das Weltraumkönigreich Asgardia oder der kleine Staat Achzivland am Mittelmeer - überall gibt es eine besondere Verbindung zur Stadt München

Von Christian Schlodder, München

Wie viele Mikronationen und Pseudostaaten es weltweit gibt, ist schwer zu beziffern. Schätzungen gehen von etwa 400 aus. Denn jeder kann einen solchen Staat ausrufen. Allerdings verschwinden auch viele recht schnell wieder von der Bildfläche. Hinter manchen steht eine ernste Absicht oder eine große Utopie, andere hingegen sind bloße Spinnereien. Allen gemein aber ist, dass sie auf dem großen diplomatischen Parkett nicht sonderlich ernst genommen werden. Einige von ihnen haben eine besondere Verbindung zur Stadt München.

Der Konsul von Seborga

77 Honorarkonsulate gibt es laut offiziellem Verzeichnis in Bayern. Mehr als 60 davon befinden sich in München. Eine Vertretung aber sucht man vergeblich in den offiziellen Listen: die des kleinen Fürstentums Seborga. Das Dorf Seborga hat knapp 300 Einwohner und liegt im italienischen Ligurien. Ein lokaler Blumenzüchter behauptete in den Sechzigerjahren, dass ein Kaufvertrag an das Haus Savoyen im 18. Jahrhundert nicht registriert wurde - und folglich unwirksam sei. Da das kleine Fürstentum später bei der italienischen Staatsgründung nicht extra erwähnt worden sei, sei es auch noch immer unabhängig. Der italienische Staat sieht das naturgemäß anders, schenkt dem Treiben im Dörfchen an der französischen Grenze allerdings auch nicht viel Beachtung. Seit 2010 regiert Marcello Menegatto per allgemeiner Wahl. Seine Frau Nina, quasi First Lady des Fürstentums, stammt aus Kempten im Allgäu. Honorarkonsul in München ist Bernd Lesoine, der selbst ein Häuschen in Seborga besitzt. Sein dortiger Gärtner (und Sportminister des Fürstentums) trug ihm den Posten an. Dass man das alles nur mit einem Augenzwinkern betrachten könne, sei ihm von Anfang an klar gewesen. "Es hat einen Charme und es ist eine nette Provokation", sagt Lesoine. Nun leitet der Gynäkologe ein Konsulat in Bogenhausen. Seborghini kämen eigentlich nie bei ihm vorbei, sagt er. "Dafür aber ein Haufen Spinner."

Die First Lady von Achzivland

Wenn man die eigene Nation an einem Ort der Wahl gründen könnte, würden sich die meisten wohl einen Flecken direkt am Meer suchen. Genau das hat Eli Avivi 1971 in Israel getan. Erst proklamierte er die Unabhängigkeit des Staates Achzivland, dann wurde er durch nur eine einzige Stimme zum Präsidenten gewählt - seiner eigenen. Er errichtete ein Museum und eine Unterkunft an der Mittelmeerküste nördlich der Stadt Nahariya. In den Folgejahren zog es viele Künstler, Hippies und Touristen in den Ministaat, in dem das Meeresrauschen die Nationalhymne ist. Die First Lady Rina Avivi wurde in München geboren. 1952 ging die Familie nach Israel. Noch immer versteht sie Deutsch, sprechen kann sie es aber nicht.

Der letzte Deutschlandbesuch liege nun auch schon mehr als 25 Jahre zurück, sagt sie. "Aber auf München sprechen mich noch immer sehr viele Gäste an." Denen kocht Rina Avivi dann auch gern mal einen Kaffee. "Schon immer mochten die Leute, dass das Leben hier anders läuft. Es ist ein besonderer Platz", sagt sie. So gab es lange keinen Strom, Internet schon gar nicht. Seit einigen Jahren hat aber auch die Technik in Achzivland Einzug gehalten. Im vergangenen Jahr starb das Staatsoberhaupt Eli Avivi. Der sprichwörtliche Thron von Achzivland ist seitdem verwaist. Auch Rina Avivi wird ihn nicht einnehmen. "Ich bin keine Präsidentin. Ich bin einfach Rina", sagt sie.

Das Oberhaupt Space-Münchens

Wem es im realen München nicht mehr behagt, der kann einfach Bürger eines anderen München werden - dem im Weltraumkönigreich Asgardia. Gegründet wurde dies ganz irdisch vom russischen Geschäftsmann Igor Aschurbejli. Erklärtes Ziel ist es, irgendwann einen echten Staat im Weltraum zu gründen. 2017 wurde gar ein Satellit dorthin geschickt, der nun um die Erde kreist - mit allerlei Daten von Asgardianern. Im Digitalreich gibt es zudem eine Verfassung, ein digitales Parlament, Ministerien und Bürgermeisterwahlen, so auch in München. Ein Kandidat ist Tobias Kirchherr, 42. Seine Bewerbung sei allerdings eher ein Versehen gewesen, sagt er. Als er sich im vergangenen Oktober durch Asgardia klickte, kandidierte er gleich fürs höchste Amt des digitalen Pendants seiner Heimatstadt. "Die Idee und die Werte hinter Asgardia finde ich prinzipiell gut. Dort Bürgermeister zu sein, wäre doch auch witzig", sagt er.

Für die offizielle Kandidatur wäre noch eine Transaktionsgebühr fällig, die zumindest Kirchherr nicht zahlen wird. Münchens Space-Rathaus bleibt also vorerst leer. Und Kirchherrs nicht ernst gemeintes Wahlversprechen für digitales Freibier deshalb unerfüllt. 171 Bewohner zählt die Weltraumstadt München bisher. Ein Großteil davon ist allerdings inaktiv oder gesperrt.

© SZ vom 17.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: