Prozess um Ludwig II.:Die verblasste Ehre des Verblichenen

Lesezeit: 5 min

Wie nah sich Ludwig II. und sein Oberstallmeister waren, beschäftigt nicht mehr nur dessen Urenkel, schließlich geht es um ein brisantes Detail. Darum streitet man nun vor Gericht.

Hermann Unterstöger

Da die Boulevardpresse unter großem Trara angekündigt hatte, bei der Verhandlung am Mittwoch vor der Kammer für Pressesachen am Landgericht München I ginge es um nichts Geringeres als "um des Königs Unterhose", und zwar um die des Bayernkönigs Ludwig II., war der Auflauf erheblich. In Wirklichkeit waren indessen weder der "Kini" noch seine noch sonst eine Unterhose streitgegenständlich.

Maximilian von Holnstein (Foto: Foto: dpa)

Man beschäftigte sich mit einer noch viel feineren Materie, nämlich mit dem so genannten postmortalen Achtungsanspruch nach § 823 BGB. Laienhaft ausgedrückt, handelt es sich dabei um die Einklagbarkeit der alten Devise "De mortuis nil nisi bene" (von den Toten nur Gutes), wobei es der Knackpunkt dieser Streitsache war, ob und wie lange nach dem Tod die Ehre eines Dahingegangenen solch einen Schutz genießt.

Kläger war Siegfried Michael Graf von Holnstein aus Bayern, der seinen Urgroßvater Maximilian Karl Theodor durch ein Detail einer entlegenen Publikation verunglimpft sah. Wie nicht anders zu erwarten, drang der Urenkel mit seinem Begehren auf Unterlassung und Widerruf nicht durch, weil auch der genannte Achtungsanspruch verblasst und irgendwann vergeht. Um es goethisch zu sagen: Weh dir, dass du ein Enkel bist.

"Geschichte in Liedern"

Die vermeintliche - für den Grafen freilich durchaus echte - Beleidigung liegt genau ein Jahr zurück. Sie ereignete sich in einem Buch, in dem man derlei Invektiven eher nicht vermutet: in einer oberpfälzischen "Geschichte in Liedern", erschienen in der "edition buntehunde" zu Regensburg. Verfasser sind Alfred Wolfsteiner, Leiter der Schwandorfer Stadtbücherei, seine Frau Angela Heller-Wolfsteiner und der für die Lieder verantwortliche Manfred Langer.

In dem Kapitel, das vom Verhältnis der bayerischen Könige zu "ihren" Oberpfälzern handelt, wurde auch des Grafen Maximilian von Holnstein gedacht, eines Mannes, der Bayerns Geschichte an einer ganz bestimmten Stelle, nämlich beim Verfassen des ominösen "Kaiserbriefes", entscheidend mitgestaltet hat. Holnstein war nichts weniger als ein Liebling des Volkes, aber man hatte Respekt vor der Tatkraft dieses kernigen, durchsetzungsmächtigen Adeligen, den man wegen seines Rangs als Oberstallmeister bei Ludwig II. auch "rote Pferdeexzellenz" und "Rossober" nannte.

Dies und einiges andere wurde von Wolfsteiner getreulich, jedenfalls ohne manifeste Süffisanz referiert und mündete in diesen Satz: "Der ,Preußenfresser' Johann Baptist Sigl nennt ihn gar ,Lolus' - Anspielung auf Lola Montez und eine homophile Verbindung Ludwigs II. zu Holnstein."

Der heutige Graf hätte davon kaum Wind bekommen, säße da nicht im oberpfälzischen Schwarzenfeld, wo die Holnsteins einst begütert waren, der Bäckermeister Martin Irl, der es aufgrund vielfältiger historischer Bemühungen zum "Gräflich von Holnstein'schen Archivrat" gebracht hat. Irl, der mit Wolfsteiner übrigens gut bekannt ist, brachte die Sache in Bewegung, weil bei Sigl auf homosexuelle Zusammenhänge kein Hinweis zu finden, die Spekulation mithin einzig auf Wolfsteiners Mist gewachsen sei. "Wir mussten", sagt er, "moralisch was dagegen tun, denn wohin so was führen kann, sieht man an Ludwig."

Im Lichte des Outings

Von da an liefen die Schriftsätze hin und her, für die Autoren und den Verlag als Beklagte zwar betrübliche, für historisch und an Ehrenhändeln Interessierte aber höchst unterhaltsame Papiere.

Was darin nicht alles erörtert wurde! Ob der "Rossober" im Gedächtnis der Lebenden noch so präsent sei, dass man auch Anteilnahme an seinem Leumund voraussetzen könne; ob Graf Holnstein sich seine Mitwirkung am "Kaiserbrief" nicht im Übermaß habe entlohnen lassen, indem er von den immensen Geldern, die aus dem Welfenfonds an den von Schulden geplagten Bayernkönig flossen, zehn Prozent Provision für sich abzweigte; ob der ursprünglich auf Richard Wagner gemünzte "Lolus" Homosexuelles impliziere oder lediglich bedeute, dass da ein Mensch einen anderen, gefühlsmäßig von ihm abhängigen Menschen ausnehme; ob letztlich Ludwigs II. Homosexualität, sei sie nun eine der Worte oder auch eine der Taten, überhaupt stichhaltig erwiesen sei.

Bei diesem Stand der Dinge trafen sich die Parteien nun also vor Thomas Steiner, dem Vorsitzenden Richter der Pressekammer, und so, wie dieser die Verhandlung anlaufen ließ, hätten die Beteiligten ihre Akten im Grund gleich wieder einpacken können. Steiner bestach mit einer Art gesprochener Ouvertüre, die mit einem Tremolo des Sinnes einsetzte, dass die Beklagten da etwas in die Welt gesetzt hätten, das dem Kläger nicht gefalle. Anschließend präsentierte er Leitmotive wie das Persönlichkeitsrecht und den "Lolus", doch auch solche, die später keine Rolle mehr würden spielen dürfen, etwa die historische Rolle Holnsteins und die Frage, wie alte Probleme der Homophilie im Lichte des heute gängigen Outings zu bewerten seien.

Autor Alfred Wolfsteiner (links) und sein Verleger Herbert Wittl (Foto: Foto: dpa)

Dann setzte das Hauptthema ein. Steiner sprach davon, dass Klagen dieser Art bisher von unmittelbaren Nachkommen eingereicht worden seien, im Fall Nolde noch von einem Enkel, während hier schon ein Urenkel antrete. Nun ein Crescendo: Die Kammer neige dazu, einen sehr späten Achtungsanspruch zu verneinen, weil sonst womöglich Wallensteins Erben auf die Idee kommen könnten, einen Verlag, der Schillers "Wallenstein" herausbringt, belangen zu lassen. Graf Maximilian sei vor immerhin 110 Jahren gestorben und Wolfsteiners Buch keine Krawallmacherei (obwohl auch er, Steiner, über seinen Großvater dergleichen nicht gern läse). Damit rauschte der Richter in die Coda, die da lautete, dass kein Persönlichkeitsrecht verletzt sei, schon gar nicht das des Klägers.

Wallenstein als Beispiel

Als Anwalt der beklagten Autoren war Dieter Schmidt erschienen, der als Professor und früherer Landgerichtsvizepräsident ein Faible für den runden forensischen Auftritt hat. Man sah es ihm förmlich an, wie er Steiners Entree einerseits genoss, da es Wasser auf seine Mühlen war, wie er andererseits aber darunter litt, dass der Richter ihn mit dem Wallenstein-Exempel um eine von langer Hand vorbereitete Pointe brachte.

Schmidt hatte nämlich den Priesterkönig Hammurabi ins Spiel bringen wollen, den man ja auch wegen irgendeiner Sache vors Gericht zerren könne. Das verkniff er sich nun, breitete dafür aber mit Aplomb seinen anderen Knüller aus: die "juristische Sekunde", die der Beleidigte und sein Rächer gemeinsam gelebt haben müssten, soll dieser als "überlebender Nachfahr" gelten.

Mit dieser Feinheit werde der zeitlichen Entgrenzung des Anspruchs entgegengearbeitet, wie dieses aus der Rechtsprechung erwachsene Institut generell sehr restriktiv zu handhaben sei. Dass Urgroßvater und Urenkel Holnstein keine natürliche und keine juristische Sekunde gemeinsam verbracht hätten, sei doch wohl unstrittig.

Von diesem Zeitpunkt an schien auch die klagende Partei dem Gedanken an einen Vergleich näher zu treten, wobei diese Prozedur ebenfalls noch genügend Möglichkeiten in sich barg, angeschlagenes Porzellan völlig zu zerbrechen. So zum Beispiel wies Verleger Herbert Wittl nicht ohne Laune darauf hin, dass man bei der Auswahl großer Oberpfälzer mehr zufällig auf den "Rossober" zurückgegriffen habe, was Richter Steiner fast ein Ächzen abnötigte: ob das vielleicht die nächste Ehrbeleidigung sei?

Um den Parteien Luft zu klärenden Gesprächen zu geben, legte das Gericht eine Pause ein, in der es schnell einen anderen Fall durchnahm, einen ärztlichen Doppelfehler, dessen eine Hälfte aber auch als klinische Normalität ausgelegt werden könnte. Danach ging man mit neuen Kräften an die Causa "Lolus", wobei von Anfang an feststand, dass es zu einem Vergleich kommen würde. Die Modalitäten bedurften allerdings noch der Feinjustierung. Mehr als einmal sah es so aus, als sei der Kompromiss am Kippen, was den Vorsitzenden dazu bewog, für eine Weile die Friedenstaube zu geben und schließlich auf gut bayerisch zu fragen: "Mach ma's jetzt oder mach ma's net?"

Man machte es. Der Vergleich sieht so aus, dass in einer Neuauflage (von der vorderhand keine Rede sein kann, weil das Büchlein trotz Skandals kein Renner ist) die "Lolus"-Passage gestrichen wird. In die restlichen Exemplare der ersten Auflage soll je ein Blatt eingelegt werden, auf dem zu lesen ist, dass der Urenkel des weiland Oberstallmeisters den strittigen Satz als ehrenrührig ansieht. Der Kläger trägt die Kosten.

Was die Gründlichkeit der Kammer angeht, so lieferte Steiner dafür noch ein Beispiel. Das Einlegeblatt müsse seitengroß sein, mahnte er, nicht etwa nur so ein gelbes Post-it-Klebezettelchen.

© SZ vom 29.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: