Prozess um Gernstl-Reportage:Tschechisches Roulette

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Wie ein Puff-Besuch: Ein niederbayerischer Landwirt ist in einer TV-Reportage über ein tschechisches Casino zufällig am Spieltisch zu sehen - nun forderte er Schmerzensgeld von dem Filmemacher Franz Xaver Gernstl. Wegen des Films sei er in seinem Heimort in den Ruch gekommen, Haus und Hof zu verzocken.

Ekkehard Müller-Jentsch

Adolf-Grimme-Preis, Bayerischer Fernsehpreis - die Reisereportagen von Franz Xaver Gernstl haben Kultstatus und genießen höchstes Ansehen. Allerdings nicht bei einem niederbayerischen Biobauern: Wegen Gernstl sei er in seinem Heimort in den Ruch gekommen, Haus und Hof zu verzocken. Und seine Mutter wollte ihn schon enterben. Deshalb fuhr der Mann am Montag im Münchner Landgericht schweres juristisches Geschütz auf: Er verlangte Schmerzensgeld, eine Unterlassungserklärung, Gewinnabschöpfung - eben das volle Programm.

Er gilt als niemand, der anderen mit seinen Filmen weh tun will, nun ist er ungewollt einem Biobauern mit einer Casino-Reportage gewaltig auf die Füße getreten: Franz Xaver Gernstl. (Foto: Alessandra Schellnegger)

"Ein ungewöhnlicher Rechtsstreit" sei das, sinnierte zu Verhandlungsbeginn der Richter der 9. Kammer. Zwar ein bisschen kurios - "aber wir nehmen die dahinterstehenden interessanten Rechtsfragen sehr ernst". Persönliche Befindlichkeiten lassen sich jedoch schlecht zwischen Aktendeckel pressen und an Paragraphen ausrichten. Und hier wollte ein gestandener Landwirt nichts anderes, als sein Ansehen in seiner Gemeinde zurück haben, den tadellosen Ruf bei Banken und Geschäftspartnern.

Auf der anderen Seite Gernstl. Ein netter Mensch, dessen Kunst darin liegt, Leute zum Reden zu bringen, ohne selbst viele Worte zu verlieren. Er spricht mit Originalen, unerkannten Philosophen, Weltverbesserern und "ganz normalen Leuten". Gernstl ist niemand, der anderen weh tun will. Dem Biobauern aber ist er ungewollt gewaltig auf die Füße getreten mit einer Reportage aus einem Casino jenseits der bayerisch-tschechischen Grenze.

Während er im Vordergrund den Chef interviewte, saß im Hintergrund der Biobauer am Roulettetisch. Und? Was soll daran schlimm sein, mag sich ein großstädtischer Gerichtszuhörer wundern. Doch in den Dörfern Niederbayerns sehe man das weniger gelassen, erläuterte der klagende Landwirt. Hier hätten ganze Generationen Haus und Hof verspielt oder versoffen - das haben die Nachfahren nicht vergessen.

Am Ende steht ein Kompromiss

Ins Casino zu gehen habe in dieser Gegend deshalb einen Beigeschmack wie ein Puff-Besuch. Also fahre man extra weit weg, damit einem kein Bekannter über den Weg läuft. Daheim erzählt wird schon gleich gar nichts. Als dann aber die Gernstl-Sendung ausgestrahlt wurde, hätten ihn alle erkannt - die Nachbarn feixten und stichelten. Die eigene Mutter habe schon ans Enterben gedacht und sich gefragt, ob sie womöglich dem Falschen ihr Geld vermacht?

Der Anwalt des Bauern wollte gleich einen Grundsatzfall von schwerer Persönlichkeitsrechtsverletzung daraus stricken: "Das muss von den Obergerichten geklärt werden" - hier gehe es um die Fortentwicklung der Rechtsprechung. Der Richter fand aber die richtigen Worte und lenkte beiden Seiten geduldig auf den in diesem Fall vielleicht einzig richtigen Weg: einen Kompromiss.

Gernstl entschuldigte sich höflich, schneidet natürlich die umstrittene Szene für künftige Veröffentlichungen raus und zahlt freiwillig 1500 Euro. Und die Klage kann somit in die Ablage wandern.

© SZ vom 07.02.2012/afis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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