Prozess gegen Schweizer Schüler:Abgeschirmt vor Gericht

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Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird über den Gewaltexzess von drei Schweizer Schülern verhandelt. Nur einer der drei Jugendlichen hat sich zur Aussage bereit erklärt.

A. Krug

Komplett abgeschirmt von der Öffentlichkeit hat an diesem Montag der Prozess gegen die drei Jugendlichen aus der Schweiz begonnen, die Ende Juni vorigen Jahres im Bereich des Sendlinger-Tor-Platzes aus purer Lust an der Gewalt fünf Menschen halb tot geprügelt haben sollen.

Nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) wird das gesamte Verfahren gegen die zur Tatzeit 16-jährigen Angeklagten hinter verschlossenen Türen verhandelt. Informationen dringen lediglich durch Dritte nach außen. Danach soll sich der mutmaßliche Haupttäter Mike B. zur Aussage bereit erklärt haben. Die beiden Mitangeklagten wollen sich vorerst nicht äußern.

Niemand außer den Prozessbeteiligten hat die drei Jugendlichen bisher zu sehen bekommen - und daran wird sich auch nichts ändern. Der Eingang zum Sitzungssaal der Jugendkammer im Justizgebäude an der Nymphenburger Straße ist weiträumig mit Sichtblenden abgesperrt, dennoch drängen sich schon am frühen Morgen Dutzende Journalisten und zahlreiche Fernsehteams vor den Absperrungen.

Aufgrund des "großen überregionalen Interesses" hat die Justiz die Pressesprecher von Staatsanwaltschaft und Oberlandesgericht abgeordnet, doch ihre Auskunftsbereitschaft ist begrenzt. "Dazu kann und will ich nichts sagen" ist eine der meistverwendeten Antworten an diesem Tag.

Die Staatsanwaltschaft wirft Mike B. und den gleichaltrigen Benjamin D. und Ivan Z. vor, am 30. Juni 2009 im Nußbaumpark zunächst drei vermeintliche Obdachlose mit Fußtritten und Schlägen schwer misshandelt zu haben. Auslöser der Tat soll angeblich der Verlust des Geldbeutels von Mike B. gewesen sein.

Nach dem Gewaltexzess im Park soll das Trio auch noch einen 46-jährigen Geschäftsmann und einen Studenten attackiert haben. Der Versicherungsvertreter wurde dabei besonders schwer verletzt, sein Gesicht wurde durch Tritte und Schläge regelrecht deformiert. Die Anklage lautet auf gemeinschaftlichen Mordversuch und gefährliche Körperverletzung.

Laut Anklage dauerte die Gewaltorgie von 23.15 bis 23.25. Die mutmaßlichen Schläger flohen danach in ein Jugendgästehaus in der Landwehrstraße, wo sie mit Mitschülern untergebracht waren. Sie gehörten zur zehnten Klasse der Weiterbildungs- und Berufswahlschule im schweizerischen Küsnacht. Die insgesamt 28 Schüler hatten sich München als Ziel ihrer Abschlussfahrt ausgesucht.

Direkt nach der Tat hatten die drei Jugendlichen in Vernehmungen erklärt, sie hätten "nur so zum Spaß" einige Leute "wegklatschen" wollen. Ein Staatsanwalt sprach damals von einem "Amoklauf ohne Waffen". Die Verteidiger Christian Finke, Titus Boerschmann und Christian Bärnreuther kritisierten diese Aussagen am Montag als völlig überzogen und "der Sache nicht zuträglich". Sie beklagten, dass ihre Mandanten damit frühzeitig "stigmatisiert" worden seien.

Die Öffentlichkeit habe zwar ein Recht auf Information, doch dürfe dies nicht dazu führen, dass es zu Vorverurteilungen komme. "Fälle wie diese spielen eine erhebliche Rolle bei der politischen Willensbildung", meinte Finke. Er wehre sich dagegen, dass die Angeklagten im Zuge von Forderungen nach härteren Strafen "instrumentalisiert" würden. Man müsse immer den Einzelfall betrachten und dürfe sich nicht dazu verleiten lassen, daraus allgemeine Forderungen abzuleiten.

Die Verteidiger stellten zunächst einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens. Ihrer Meinung nach gehöre der Prozess in die Schweiz, weil nach dem JGG der Wohnort der Angeklagten maßgeblich sei. Hinter dieser Forderung steht unausgesprochen der Umstand, dass als Höchststrafe in Deutschland bei Jugendlichen zehn Jahre Haft drohen, in der Schweiz sind es nur vier Jahre. Das Gericht lehnte die Anträge ab.

Nach der Mittagspause gab Gerichtssprecherin Margarete Nötzel bekannt, dass der mutmaßliche Haupttäter Mike B. sich zur Person und zur Sache äußern werde. Alle Angeklagten wirkten auf sie "nervös" und "aufgeregt" sowie bestrebt, bei Gericht einen guten Eindruck zu hinterlassen. "Aber das ist ja verständlich", so Nötzel.

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Thomas Steinkraus-Koch, widersprach den Verteidigern indirekt. Zwar wollte auch er sich nicht zu Einzelheiten äußern. Doch er betonte, dass der Fall "nicht alltäglich" und es "nicht nachvollziehbar" sei, wieso es zu dieser Tat gekommen sei. "Für mich scheint das ein nichtiger Anlass gewesen zu sein", so Steinkraus-Koch. Ob man es mit einem Amoklauf vergleichen könne, müsse die Hauptverhandlung zeigen.

Der Anwalt des schwer verletzten Geschäftsmannes aus Ratingen, Wolf-Dietrich Kohler, wollte zu Meldungen, wonach sein Mandant 100.000 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz fordere, keine Stellung nehmen. Seiner Schilderung zufolge habe sich Mike B. in der Verhandlung "aus seiner Sicht gut dargestellt". Er habe sich als "fröhlichen" aber nicht aggressiven jungen Mann beschrieben.

Im Fall einer Verurteilung könnten die Angeklagten einen Antrag auf Überstellung in ihre Heimat stellen. Laut Anwalt Finke müsste aber mindestens ein Drittel der Strafe zunächst in Deutschland verbüßt werden. Die Entscheidung trifft eine Strafvollstreckungskammer. Der Prozess wird an diesem Dienstag fortgesetzt. Als Zeugen sind zunächst acht Polizeibeamte geladen, am Nachmittag sollen die ersten Opfer vernommen werden - unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

© SZ vom 09.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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