Protokoll einer Debatte:Was vom Zaune übrig blieb

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Im Fröttmaninger Stadion kommt der mobile Zaun zum Einsatz. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Wird die Wiesn abgesperrt oder nicht? Darüber wurde viel diskutiert, mit seltsamem Resultat

Von Heiner Effern

Das Oktoberfest hat an Tagen mit massivem Andrang ein Sicherheitsproblem. Zu viele Besucher strömen dann durch zu enge Gassen. Darin sind sich Politiker und Sicherheitsexperten einig. Doch was tun? Das Sicherheitskonzept wurde verbessert, mehr Ordner und Kontrollen werden kommen. Bei Überfüllung werden die Eingänge künftig abgesperrt. Doch eine Lücke bleibt: Über die Theresienhöhe können Besucher ungebremst auf die Festwiese gelangen. Bürgermeister Josef Schmid (CSU) wollte dieses Loch im Sicherheitskonzept mit einem mobilen Zaun (Secu-Fence-Boxen) schließen, der bei Bedarf für wenige Stunden errichtet wird. Im Stadtrat fiel dieser Vorschlag am Dienstag durch. Eine Alternative gibt es gut zwei Monate vor dem Anstich des ersten Fasses nicht. Die Süddeutsche Zeitung protokolliert, wie es dazu kam.

5. November 2015, Schlussbericht zur Wiesn 2015: Im Punkt 2.3 der Bilanz "Überfüllung des Gesamtgeländes" heißt es, dass am letzten Samstag und am Tag der deutschen Einheit "eine kritisch hohe Besucherdichte" festgestellt wurde. Eine Anfahrt für die Feuerwehr wäre "praktisch unmöglich" gewesen. Die Haupteingänge wurden erstmals abgesperrt, was nicht gleich gelungen sei. Der Bericht formuliert auch einen Auftrag: "Für 2016 ist im Sicherheitskonzept der Punkt der Überfüllung (. . .) fortzuschreiben und das Umleitungs- und Überfüllungskonzept anzupassen."

2. März 2016 , erste Sicherheitsbesprechung: Im Medienraum des Servicezentrums auf der Wiesn kommen 18 Fachleute zusammen, um den Auftrag umzusetzen. Fünf Experten aus dem Kreisverwaltungsreferat inklusive Berufsfeuerwehr, sechs von der Polizei, dazu noch einige vom Referat für Arbeit und Wirtschaft und vom Planungsreferat. Im Punkt 2.2 beschäftigen sie sich mit der drohenden Überfüllung der Wiesn. Folgende Vorkehrungen "müssen" dann getroffen werden, heißt es im Ergebnisprotokoll: Sperrung der Hauptzugänge und "Errichtung von vorbereiteten temporären baulichen Sperren" entlang der Theresienhöhe.

31. März 2016, erster Brief von Kreisverwaltungsreferats-Chef Wilfried Blume-Beyerle an Bürgermeister Schmid: Besonders "die Überfüllung" stelle bei der Sicherheit "seit Jahren einen kritischen Punkt" dar, schreibt Blume-Beyerle, als Chef des KVR oberster Ordnungshüter in München. Die Fortschreibung des Sicherheitskonzepts sei "notwendig".

11. April 2016, zweite Sicherheitsbesprechung: Gleicher Raum, 14 Teilnehmer. Wieder vertreten sind Polizei und KVR als Sicherheitsexperten. Unter Punkt 3 "Maßnahmen bei drohender Überfüllung/Zugangsregelung" taucht erstmals ein Zaun auf: "Eine konkrete Maßnahme wären Secu-Fence-Zäune", die an der Theresienhöhe aufgestellt werden sollen. Die Branddirektion fordert eine "Entlastungsöffnung".

3. Mai 2016, Sitzung des Wirtschaftsausschusses: Das Sicherheitskonzept 2016 ist wie bisher üblich im Beschluss "Zulassungen zum Oktoberfest 2016" enthalten. Auf Wunsch der SPD wird in öffentlicher Sitzung darüber diskutiert. Im Punkt 1.4 "Vermeidung einer drohenden Überfüllung" ist unter anderem aufgeführt: "Errichtung von vorbereiteten temporären baulichen Sperren (z.B. Secu-Fence-Boxen)." Der Beschluss wird vertagt, die SPD will mehr Informationen zum mobilen Zaun. Ein eigenes Sicherheitskonzept soll vorgelegt werden.

14. Juni 2016, dritte Sicherheitsbesprechung: Ein kleines Team aus Polizei, Branddirektion (KVR) und Referat für Arbeit und Wirtschaft beschließt den neuen Entwurf. Darin heißt es: Bei Überfüllung "muss der offene Bereich entlang der Theresienhöhe (. . .) mit den vorbereiteten baulichen Sperren (Secu-Fence-Boxen) geschlossen werden, um ein Einströmen von Besuchern über den Hügel zu verhindern". Auch die Forderung der Feuerwehr nach einer "Entlastungsöffnung" wird Rechnung getragen. "Hierbei sind Durchlässe (nur) als Ausgang alle mindestens 50m vorgesehen."

14. Juni 2016, Interview Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD): In der Bild-Zeitung erklärt Reiter: "Ich kann mir keinen Zaun um die Wiesn vorstellen."

23. Juni 2016, zweiter Brief KVR-Chef Blume-Beyerle an Bürgermeister Schmid: Grundsätzlich sei er als oberster Ordnungshüter mit dem neuen Sicherheitskonzept einverstanden, schreibt der KVR-Chef. Nur Punkt I.4.4 mit dem Secu-Fence-Zaun könne er "jedenfalls derzeit" nicht unterschreiben. "Das konkrete Konzept des Veranstalters zur Errichtung und zum Betrieb baulicher Sperren bzw. zur Sperrung der Zugänge zum Oktoberfest-Festplatz" sei nicht beschrieben.

30. Juni 2016, Pressekonferenz des neuen KVR-Chefs Thomas Böhle: Einen Tag, bevor Böhle das Amt von Blume-Beyerle übernimmt, bezieht er Stellung zum Problem der Überfüllung des Oktoberfest-Geländes. Ein Zaun von ein paar Hundert Metern Länge sei eine naheliegende Überlegung, sagt Böhle. Er dürfe allerdings nicht zur Falle für die Besucher werden.

4. Juli 2016 , Böhle steht zum Zaun: Der KVR-Chef schreibt in einem Statement zum Zaun an die TZ: "Als zuständige Sicherheitsbehörde halten wir die Vorschläge für sachgerecht."

5. Juli 201 6, Sitzung des Wirtschaftsausschusses: Ein Prospekt zum mobilen Zaun mit genauer Beschreibung seiner Funktionen liegt vor. Der KVR-Chef hat nun "aber Zweifel, ob dieser Vorschlag hinreichend durchdacht ist". Die Polizei erklärt, mit Personal allein sei es extrem schwierig, die Leute vom Betreten der Wiesn abzuhalten. Insofern seien die Secu-Fence-Boxen eine Möglichkeit, den Druck aufs Gelände zu lindern. Gegen die Stimmen der CSU und ÖDP wird der Zaun aus dem Konzept gestrichen.

7. Juli 2016, vierte Sicherheitsbesprechung: Die Experten der Referate treffen sich. Eine Alternative für den Zaun bei drohender Überfüllung gibt es nicht. Ein Vertreter der Polizei sagt nur, die 100 Beamten, die nötig wären, um die Theresienhöhe ohne Hilfsmittel abzusperren, habe man nicht. Man geht ohne Plan auseinander, was mit der dortigen Sicherheitslücke bei drohender Überfüllung passieren soll. Das Oktoberfest 2016 beginnt in zehn Wochen.

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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