Protest:Ein Ort will nicht sterben

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Eittingermoos ist für sie nicht nur eine Adresse, sondern Heimat: Marianne Träger vor ihrem Haus. (Foto: Renate Schmidt)

Franzheim fiel vor 40 Jahren dem Flughafen zum Opfer. Jetzt droht auch Eittingermoos die Verdrängung.

Von Regina Bluhme, Eitting

"Selbst die Toten ziehen um" - so titelte die SZ Erding vor 40 Jahren ihren Bericht über den sterbenden Ort Franzheim. 1977 standen von ehemals 69 Häusern gerade noch 29. Heute liegt der Ort unter der Start- und Landebahn des Münchner Flughafens begraben. Das benachbarte Schwaigermoos gleicht einer Geisterstadt. Eittingermoos aber hält sich, mit angehaltenem Atem. Keine 500 Meter entfernt soll die dritte Startbahn gebaut werden. Doch bange machen gilt nicht: Demnächst wird die Ortschaft ans schnelle Internet angeschlossen und neben dem frisch renovierten Sportheim hat Eittingermoos wieder einen Maibaum aufgestellt.

Franzheim war das jüngste Mitglied der Gemeinde Oberding, so beschreibt es Ortsarchivar Georg Gruber in der Oberdinger Chronik. Der Ortsname leitet sich von Franz Pariser ab, der in der Oberdinger Ortschaft Schwaig eine Tuchfabrik leitete, nach dem Ersten Weltkrieg zwei Höfe erwarb und zu einem Gut erweiterte. Verwalter Hans Lutzenberger begann in "Franzens Heim" erfolgreich mit dem Anbau von Pfefferminze, die sich auf dem Moosboden prächtig entwickelte. So richtig in Schwung kam die Besiedlung nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie Gruber schreibt, wurde die Kirche 1957 eingeweiht, 1958 eine neue Schule errichtet. Dann kam 1969 der Beschluss der Bayerischen Regierung, den neuen Flughafen im Erdinger Moos zu bauen. Genau auf Franzheim. Es ging schnell: Am 31. Juli 1977 fand der letzte offizielle Gottesdienst in Sankt Rasso statt.

Johann Reiss ist in Franzheim geboren. Er war 15 Jahre alt, als seine Familie 1974 nach Notzingermoos umsiedelte. Der Tod von Franzheim kam früh: "Zum Teil standen die Häuser in Franzheim noch im Rohbau", erinnert sich Reiss. Fünf Familien zogen nach Notzingermoos um. Acht Familien bauten neu auf dem Gelände des ehemaligen Guts Zengermoos, im Gemeindebereich Moosinning. Die Siedlung Zengermoos entstand erst mit den Franzheimern. "Die anderen wurden in alle Winde verstreut", sagt Reiss. Am härtesten habe es Eltern und Großeltern getroffen, die sich oft auch noch anhören mussten, dass sie ohnehin viel Geld für ihr neues Haus bekommen. Doch einige seien nie über den Verlust der Heimat hinweggekommen.

Wie sehr die Menschen an ihrem Zuhause hängen, zeigte sich auch im vergangenen Jahr. Zur Vorstellung der frischgedruckten Chronik der mittlerweile verlassenen Ortschaft Schwaigermoos kamen 200 Menschen. Der Band von Georg Gruber, Hildegard Zörr und Waltraud Franzspeck musste bald nachgedruckt werden. Vor zwei Jahren organisierte Johann Reiss ein Treffen aller ehemaligen Franzheimer. Archivar Gruber hatte Fotos von allen Gebäuden beigesteuert. Es kamen mehr als 330 ehemalige Franzheimer mit Kindern und Enkelkindern. "Es war traurig und schön zugleich", sagt Reiss.

Franz Pretzl war beim Treffen dabei. Er war 17 Jahre alt, als seine Eltern 1978 Franzheim verließen und nach Zengermoos zogen. Pretzl ist Vorstand der Schützengesellschaft "Jennerwein Franzheim". "Ich möchte die Schützengesellschaft am Leben erhalten, denn ich sehe es schon als meine Pflicht, die Tradition aufrecht zu erhalten und so gerät auch der Name Franzheim nicht in Vergessenheit", sagt er.

An die verschwundene Ortschaft erinnern neben dem Schützenverein auch die Franzheimer Straße in Notzingermoos und der Franzheimer Ring in Zengermoos. Außerdem steht in Notzingermoos auch noch das Original Franzheimer Feldkreuz, das mit den fünf Familien nach Notzingermoos gekommen ist. Johann Reiss hat es erst im vergangenen Jahr liebevoll restauriert. Die kleinste der Kirchenglocken aus Sankt Rasso hängt heute in der Kapelle in Zengermoos. Pretzl findet es wichtig, die Erinnerung wach zu halten. "Meine Söhne kennen Franzheim nur aus Erzählungen, aber sie sind letztes Jahr mitgekommen zum Treffen. Ich denke, jeder Mensch will wissen, wo seine Wurzeln sind."

Marianne Träger weiß, wo sie verwurzelt ist: in Eittingermoos. "Das ist für mich nicht bloß eine Adresse, das ist meine Heimat", sagt die 74-Jährige. Vor 36 Jahren ist sie durch ihren Mann, der aus Eittingermoos stammt, hierher gezogen. Zuvor hat sie in der Einflugschneise des ehemaligen Flughafens in Riem gewohnt. In Eittingermoos lebt sie nun erneut ganz nah am Flughafen. Wer mit Träger in dem gemütlichen Zimmer mit dem Kachelofen und dem liebevoll geschmückten Herrgottswinkel sitzt, blickt auf einen Garten mit alten Bäumen. Von den Autos, die ab und zu vorbeifahren, ist nichts zu hören, vom Vogelgezwitscher auch nicht. Seit Jahren hat das Ehepaar schalldichte Fenster. Sie habe sich mit dem Lärm so gut es geht arrangiert, sagt Träger, aber gegen den Bau der dritten Startbahn, da kämpft sie.

Träger ist bei den Schweigemärschen "Lichterzeichen" gegen die Bahn dabei, schreibt Texte für die Reden. Sie geht auf Demonstrationen und sie sagt: "So lange es mir möglich ist, werde ich gegen die dritte Bahn kämpfen - mit Vertrauen und Ausdauer." Kraft geben ihr dabei nicht zuletzt die Veranstaltungen in Eittingermoos, die sie organisiert, wie das Passionssingen in der Bruder-Konrad-Kirche oder die Konzerte mit bayerischer Volksmusik, "denn das bedeutet für mich auch Heimat". Eittingermoos ist ein lebendiger Ort, "eine kleine, idyllische Ortschaft mit drei aktiven Vereinen und einem 2006 neu erbauten Feuerwehrhaus und einem 2016 generalsanierten Sportheim", sagt der Eittinger Bürgermeister Georg Wiester. 226 Menschen mit Hauptwohnsitz leben hier. Es gibt auch immer noch den "Mooswirt", der sonntags zum Frühschoppen öffnet. Die Wirtsfamilie möchte das traditionsreiche Gasthaus nicht sterben lassen.

Doch das Damoklesschwert hängt über dem Ort: "Eittingermoos wäre von einer dritten Startbahn hart betroffen", sagt Wiester. Nach den Planungen liegt der Ort dann keine 100 Meter vom Flughafenzaun und keine 500 Meter von der Bahn entfernt. Bereits jetzt ist die Ortschaft von Lärm geplagt - durch die Nordbahn des jetzigen Flughafens und durch die A92, auf der schon jetzt täglich 50 000 Fahrzeuge nördlich an Eittingermoos vorbeirauschen. Der Ort ist also zwischen zwei gewaltigen Lärmpunkten eingezwängt. "Wenn jetzt die dritte Startbahn kommt, dann ist dort ein verträgliches Wohnen nicht mehr vorstellbar", sagt der Bürgermeister.

Auch Attaching und Berglern fürchten die dritte Bahn. Oberding wird nach Franzheim auch noch Schwaigermoos verlieren. "Der Bau wäre eine Katastrophe für die Ortschaften", betont Wiester. Und dennoch: "Eittingermoos wird mit dem Breitbandausbau genauso ausgestattet wie die Hauptgemeinde Eitting. Von den Gesamtkosten in Höhe von 210 000 Euro trägt die Gemeinde einen Anteil von 64 000 Euro", sagt Wiester. Demnächst beginnt der Ausbau, voraussichtlich im Spätsommer soll es schnelles Internet geben. "Es ist mir und dem Gemeinderat wichtig, dass Eittingermoos weiter gut funktioniert", erklärt Wiester und lobt die "engagierten" Vereine. "Ich muss sagen: Ich habe allen Respekt vor dieser kleinen Ortschaft."

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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